Katzenschreck

38 2 0
                                    


Ein klagendes Miauen begrüßte sie, als sie die Türe zu ihrer Dachgeschosswohnung öffnete. Sie war heilfroh endlich etwas alleine sein zu können. Wie immer viel sie fast über ihren schwarzen Kater Max auf dem Weg zu ihrer offenen Küche. "Ist ja schon gut, du kriegst ja gleich etwas", meckerte Silvia zu ihm zurück. Sie füllte seine Schale mit etwas Katzenfutter und blieb noch für einen Moment bei ihm auf dem Boden sitzen. Das friedliche Schmatzen von Max brachte sie wieder etwas in die Realität zurück. Unweigerlich musste sie lächeln, als der Kater schon nach ein paar Sekunden seine Schale geleert hatte. "Du bist so ein Vielfraß! Wenn du weiterhin so schlingst, dann kotzt du mir wieder auf meinen Teppich", ermahnte Silvia ihren Kater und hatte das Gefühl, dass er genau wusste was sie meinte. Erschöpft ließ sie ihren Kopf nach hinten gegen die Küchengarnitur fallen und schloss ihre Augen. Ihr Kopf brummte schmerzhaft und verlangte nach etwas Schlaf. Doch ihre Gedanken drehten sich um den Fremden. Von dem sie immernoch hoffte er wäre eine Haluzination, auch wenn sie wusste, dass dies nicht der Fall war. Max legte sich in ihren Schoß und sie kraulte ihn aus Reflex. Sie zuckte zusammen, als dieser sie in die Hand zwickte. "Au!..Tut mir leid, Max, ich hatte es vergessen", entschuldigte sie sich bei dem Kater, der bereits beleidigt weg lief. "Diese Katze ist eine größere Dramaqueen als ich, wenn ich hunger habe", prappelte sie vor sich hin. "Bzz...bzzz..." Ihr Handy vibrierte in ihrer Jacke, die auf der Kochinsel lag. Silvia zog sich an einem Henkel nach oben und kramte es aus der Jackentasche. "Hallo Papa", sagte sie in ihr Handy. "Hallo, mein Schatz. Soll ich schon Mal los laufen oder bist du gleich da?"; fragte ihr Vater von der anderen Seite des Anschlusses. "Verdammt!", fluchte sie so leise, dass er es hoffentlich nicht hören konnte. "Keine Sorge, ich bin in einer Minute da. Ich hatte nur noch nach der Vorlesung etwas mit meinem Proffessor besprochen." "Na dann, bis gleich." "Bis gleich." Silvia lag auf und zog sich schnell ihren Mantel und ihre Schuhe wieder an. "Wieso braucht es bloß so lange bis man diese Dinger gebunden hat!", jammerte sie und stürmte nach draußen. Und schon wieder war sie die Verrückte, die durch München rannte. 

Kurz vor der kleinen Brücke am Eingang vor dem Englischen Garten lief sie langsam, damit ihr Vater nicht dachte sie hätte ihn vergessen. Das wollte sie eigentlich auch nicht, denn er war normalerweise nie unter der Woche in der Stadt und das wollte sie auskosten. Diese dumme Frage und dieser dumme Fremde! "Schieb die Schuld für deine Fehler nicht auf andere", ermahnte sie sich selbst und ging an dem letzten parkenden Auto vorbei. "Hi!", begrüßte sie ihren Vater und umarmte ihn kurz. Jeder sagte ihr immer wie ähnlich sie ihm doch sah, aber das lag wahrscheinlich nur daran, dass er auch dunkelhäutig war und dunkelbraune Locken hatte. Auch ihre caramelfarbenen Augen ähnelten seinen sehr, aber ihre Sommersprossen hatte sie von ihrer Mutter. Sie war zwar hellhäutig mit hellbraunem Haar, aber dafür waren sie sich charakterlich so ähnlich, dass man sie für Zwillinge hätte halten können. "Und über was hast du noch mit deinem Proffessor gesprochen?", fragte ihr Vater mit seiner tiefen und ruhigen Stimme. "Ach,  nur über so eine Aufgabe, die er uns gestern gegeben hat", antwortete sie. "Was für eine Aufgabe?" "Wir mussten eine Antwort auf die Frage 'Wer bin ich' finden." Ihr Vater lächelte belustigt. "Ich dachte ihr würdet dort so etwas nützliches lernen wie Gesellschaftsformen oder den Umgang mit Straftätern." "Ja, wir besprechen auch beispielsweise die Demokratie im Anthiken Griechenland, aber wie soll man Gesetze für andere Menschen hinterfragen, wenn man sich selbst und das Große Ganze nicht versteht." Ihr Vater schwieg und sah sie ungläubig an. "Wie läuft es auf der Arbeit?", fragte sie um von dem Thema abzulenken. Sofort fing ihr Vater an zu erzählen und es schien auch nicht so, als würde er bald wieder damit aufhören wollen. 

Silvia hörte ihm zuerst wie immer aufmerksam zu, bis sie an dem kleinen See ankamen und jemandem am Ufer sitzen sah. Diesen makelosen Mantel und die feinsäuberlichen gestylten Haare würde sie überal wiedererkennen. Wie als hätte er ihren Blick gespürt schaute er über seine Schulter zu ihr. Als er sie bemerkte stand er auf und lief auf sie zu. "Was hältst du davon, wenn wir heute mal hier lang laufen?", fragte sie ihren Vater und zog ihn zu einem anderen Weg weg von dem Fremden, ohne auf eine Antwort zu warten. Ihr Vater nahm es einfach hin und ließ sich nicht in seinem Erzälfluss stören. Jeder Minischritt, den sie wegen dem langsamen Tempo ihres Vaters machen musste fühlte sich wie eine Qual an. Silvia warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah wie befürchtet, dass der Fremde ihnen folgte, aber er kam nicht näher. Den ganzen Weg zurück zu der kleinen Brücke folgte er ihnen mit einem großen Abstand, wodurch Silvias Herz wie wild raste. So wild, dass sie es selbst in ihren Ohren pulsieren hörte. 

Eine kleine GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt