Wenn du wüsstest, wie gern ich dich habe

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Von lostinthedawn



Emma

Manchmal denke ich, dass die ganze Welt gegen mich ist. An solchen Tagen weiß ich schon in dem Moment, wenn ich morgens die winzigen Creolen nicht zu kriege, ohne mir fast ein Ohr abzureißen, dass mir gleich die Handcreme vom Tisch fällt, ich das halb volle Glas beim Aufheben umwerfe und meinen Laptop schließlich aus einem See an Orangensaft retten muss.

An solchen Tagen gehe ich raus und laufe solange über Wiesen und Felder, bahne mir meinen Weg durchs Gestrüpp und durch Wälder, bis mein Kopf wieder einigermaßen klar ist. Als selbstständige Grafikdesignerin ist das glücklicherweise absolut problemlos für mich. Außerdem habe ich keinen Freund. Seit dem letzten Valentinstag schon nicht mehr. Da habe ich ihn mit einer Kollegin in seinem Büro erwischt, als ich ihn mit einem reservierten Tisch für den Abend überraschen wollte. Ich weiß gar nicht mehr so richtig, wie ich überhaupt reagiert habe. All meine Erinnerungen sind nur noch schemenhaft vorhanden und wahrscheinlich wäre es besser, würden auch diese bald verschwinden. Besonders den erniedrigenden und furchtbar demütigenden Heulkrampf hätte ich mir sparen können. Viel lieber hätte ich die Tränen und den Schmerz in eines meiner nächsten Projekte im Job stecken können, als seinem Ego noch zu schmeicheln.

Seufzend hebe ich meine in selbst gestrickten, dunkelroten Handschuhen verborgenen Hände und schiebe die Zweige eines Busches zur Seite. Vor mir befindet sich eine große Wiese, die direkt an eine Landstraße grenzt. Braunes Laub liegt feucht und matschig unter den drei großen Eichen, an denen ich mich stets orientiere. Noch zehn Minuten bis nach Hause.

Hinter den schlammigen Reifenspuren endet die Wiese. Ich drehe mich ein letztes Mal um und lasse meinen Blick über die Landschaft gleiten. Meine Vorfreude auf den Frühling wächst von Sekunde zu Sekunde mehr. Endlich keine durchnässten Schuhe mehr. Ich lächle. Und überall würden die Krokusse blühen, so wie letztes Jahr. Dann recken sie ihre violetten und weißen Hälse wieder der sich langsam erwärmenden Sonne entgegen, während das saftig grüne Gras den ersten Wachstumsschub macht. Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist es schon in einem Monat soweit. Im März wird es draußen merklich heller. Dann ist der April auch nicht mehr weit entfernt. Meine Stimmung hellt sich auf. Gedanklich drifte ich wieder ab zu meinem Exfreund. Vielleicht ist es mit ihm ja wie mit dem Winter. Er kommt und er geht. Ich muss die gemeinsame Zeit nicht bereuen, so wie ich die Erfahrung nicht bereue, dass es im Winter kalt ist. Eigentlich brauche ich mir nicht mal etwas aus der Sache zu machen, denn ich kann und werde nichts an der Tatsache ändern, dass er mich einfach nicht so sehr respektiert hatte wie ich ihn. Er ist es nicht wert. Und doch bleibt das Gefühl des Betrogenwerdens und ich kann mich nicht daran hindern, mir immer wieder dieselbe Frage zu stellen. Wie oft hat er sich mit ihr getroffen und mir erzählt, er müsse länger arbeiten? Oder gibt es so etwas wie Schicksal und eben dies hat uns auseinandergebracht? Vielleicht war alles völlige Absicht.

„Warum so nachdenklich?"

Erschrocken zucke ich zusammen. Luca tritt in mein Sichtfeld und grinst mich an. Seine Haare sind so braun wie der Matsch, durch den ich gerade gestapft bin und seine Augen ... die sind so tiefdunkel und funkelnd, dass man meinen könnte, sie seien unecht. Mein Herz schlägt höher.

„Hey, wolltest du nicht erst in einer Viertelstunde kommen und dann am Auto warten?", frage ich verwirrt.

Luca ist seit Ewigkeiten mein allerbester Freund. Es ist so, als wären in ihm all die guten Eigenschaften vereint, die den meisten anderen Männern fehlen.

„Hab's mir anders überlegt." Luca sieht sich um. „Schön hier. Wieso hast du mir das nie gezeigt?"

Ich werde rot und greife nach seiner Hand, um ihn zur Straße zu ziehen. „Komm schon."

Herzgeflüster - Eine Anthologie zum ValentinstagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt