Die Blamage

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Von Kuralie



Ich war so nervös wie schon lange nicht mehr.

Hier stand ich nun auf dem Schulhof und sollte zu dem Typen rüber gehen, in den ich schon seit Ewigkeiten verknallt war.

Mila stand ein paar Schritte hinter mir und hatte die Arme verschränkt. Als ich mich zu ihr umdrehte, konnte ich das herablassende Funkeln in ihren Augen sehen. Dasselbe Funkeln, das sie vor wenigen Minuten schon gehabt hatte, bevor sie mich gepackt und hierher geschleift hatte, damit ich meinen Teil der Wette einlösen konnte.

Ich hätte niemals mit ihr Wetten sollen, dachte ich jetzt und spürte, wie mein Magen sich umdrehte, als meine Augen wieder zu der Gruppe Jungs schweiften, die am anderen Ende des Hofes stand.

Ich richtete meinen Blick auf den Typen im Rollstuhl und schluckte.

Mir hätte gleich klar sein müssen, dass Mila bei ihrem Projekt betrügen würde. Sie hätte niemals gegen mich gewonnen, ohne die Regeln zu brechen. Ich war mir absolut sicher, dass sie einen der Nerds dafür eingespannt hatte, ihre Arbeit zu machen, das konnte jeder sehen, der nicht mit Blindheit geschlagen war.

Nur leider waren die meisten hier genau das. Oder wollten es zumindest sein.

Einfach nur um dazu zu gehören.

„Wird's bald?", hörte ich Mila hinter mir sagen und ein paar ihrer Freundinnen kicherten. Sie waren alle mitgekommen, um das Desaster mit eigenen Augen zu verfolgen und ich spürte ihre Anwesenheit in meinem Rücken, wie ein glühendes Stück Metall, das man mir zwischen die Schulterblätter drückte.

„Was ist?", höhnte Mila, als ich mich immer noch nicht bewegte. „Du hast gesagt, dass du kein Problem damit hast, dem Krüppel deine unsterbliche Liebe zu gestehen."

Ein erneutes Lachen ging durch die Runde und ich presste die Lippen zusammen.

Ja, das hatte ich gesagt und ich hatte meine Gründe dafür.

Sie alle gingen davon aus, dass es sich hier nur um einen Scherz handelte. Sie wollten Elias vor seinen Freunden blamieren, indem sie ein Mädchen zu ihm schickten, das so tat, als wäre es ihn verliebt. Sie sollte ihm stotternd ihre Liebe gestehen und dann mit dem Finger auf ihn zeigen, während alle umstehenden in Gelächter ausbrachen.

Wahrscheinlich hatten sie diesen Streich schon lange geplant. Aber ich wusste genau, dass keine von ihnen den Mumm hatte es selbst zu tun.

Deshalb nutzte Mila meine Wettschuld nun auf diese Weise aus.

Mein Blick wanderte über Elias, blieb an seinen rabenschwarzen Haaren hängen und streifte dann über seine breiten Schultern und die muskulösen Arme. Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen kroch und hörte Mila und ihre Freundinnen hinter mir, wie sie mich anstachelten.

Ich schüttelte den Kopf.

Wäre er nicht im Rollstuhl gewesen, hätten sie sich ihm alle an den Hals geworfen. So viel war sicher. Aber kein Mädchen hier konnte über seine Behinderung hinausblicken... sie sahen nur den Rollstuhl, nicht ihn selbst.

Sie starrten auf seine Beine, die selbst in der Jogginghose deutlich schmaler waren als sein Oberkörper und tuschelten hinter seinem Rücken, wenn er im Alltag Schwierigkeiten hatte.

Wäre das hier nur eine Wette gewesen, mit der Mila Schindluder trieb, um Elias bloßzustellen, dann hätte ich mich ganz einfach geweigert, hinüber zu gehen. Es war mir völlig egal, ob man mir dann die kalte Schulter zeigte oder mich einen Feigling nannte.

Herzgeflüster - Eine Anthologie zum ValentinstagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt