Gordischer Knoten

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Von designatedguys



»Grace?«

Ich blickte von meinen Matheaufgaben auf und sah zu meiner besten Freundin Izzy hinüber, die neben mir an dem mahagonibraunen Arbeitstisch in der Bibliothek saß. Sie schob nachdenklich ihre runde Brille auf der Nase hin und her.

»Was ist los?«, fragte ich und zog etwas verärgert die Augenbrauen zusammen. Eigentlich hatte unser Plan nämlich vorgesehen, uns die nächsten zwei Stunden um die Hausaufgaben zu kümmern – ich erledigte Mathe, während sie sich Französisch widmete. Izzy tippte auf ihrem Handy herum.

»Ähm... Caleb hat mir gerade geschrieben«, rückte sie schließlich heraus. Ich zog eine Braue hoch. Seit Anbeginn unserer Zeitrechnung war Caleb ihr Crush, der Typ, auf den sie stand, der ihr das Lächeln an einem Montagmorgen ins Gesicht pflanzte und ihre Augen zum Leuchten brachte, wenn er vorbei ging.

»Und?«, fragte ich mit schiefgelegtem Kopf.

»Er, Hayden und Cole gehen zum Christkindlmarkt«, antwortete Izzy. Sie kaute auf ihrem Daumennagel.

»Und?«

Izzy rollte die Augen. »Er lässt fragen, ob wir nicht mitkommen wollen.«

»Du kannst gerne mitgehen«, sagte ich und räusperte mich. »Aber ich kann nicht.«

»Wieso? Du weißt noch nicht einmal, wann sie überhaupt zum Christkindlmarkt gehen wollen«, rief Izzy und tippte etwas in ihr Handy ein. Ich wollte wetten, dass sie zusagte – und ehrlich gesagt freute ich mich für meine beste Freundin. Caleb hatte sie nie wirklich wahrgenommen, doch das war der Moment, in dem sich das alles verändern konnte.

»Ähm... Ich weiß, aber ich will Hayden und Caleb nicht zu nahe kommen«, sagte ich schließlich ehrlich.

»Du weißt aber, dass Caleb und ich... naja, dass ich ihn mag? Gerne mag?« Sie legte ihr Handy zur Seite. »Wieso willst du Hayden nicht treffen? Du kennst ihn ja gar nicht.«

Ich zuckte zusammen, als ich das hörte. »Ich kenne ihn nicht? Vergisst du die Schikanen, als er mich in der Grundschule immer bloßgestellt und geärgert hat?«

»Gott, Grace, das ist zehn Jahre her!«, rief Izzy. Die Bibliothekarin warf uns einen strengen, mahnenden Blick zu, woraufhin sie ihre Stimme etwas senkte. »Denkst du nicht, dass er sich verändert hat?«

Ja, natürlich hat er sich verändert. Äußerlich jedenfalls. Er ist groß geworden, hat einen Bartwuchs bekommen, seine ehemals blonden Haare haben sich zu karamellfarbenen Locken entwickelt und sein verschmitztes Jungengrinsen wurde zu einem von Zahnspangen perfekt gereihten Zahnpastalächeln.

»Ist mir egal«, murmelte ich stur. Ich schloss das dicke Mathebuch geräuschvoll, um meine Aussage zu unterstreichen.

»Das ist doch schon längst vergessen«, murrt Izzy und verdreht die Augen. »Bitte, das ist so lange her! Seitdem hat er sich verändert, und außerdem musst du ja nicht mit ihm reden! Du kannst ihn einfach ignorieren. Tu es für mich, Gracie.«

Sie schob ihre große Unterlippe vor und machte das ulkigste Schmollgesicht, das ich je gesehen hatte. Sicherheitshalber schüttelte ich jedoch den Kopf und stand auf, denn ich wusste, dass sie mich wahrscheinlich weichkochen würde, wenn sie noch weiter mit logischen Argumenten daherkam.

»Du spinnst doch«, murrte Izzy und schüttelte den Kopf.

»Und was war das vor einem Jahr? Da hat er ein Foto von mir in den Newsletter der Schule gegeben und daruntergeschrieben, dass ich eine tapfere Hausfrau sei und nach Rezepten suche, um meinen Mann zu bekochen. Geht's noch bescheuerter?« Allein der Gedanke brachte die Wut in mir zum Kochen. »Ich bekomme immer noch wöchentlich Rezepte von allen möglichen Fremdlingen mit ziemlich komischen Nachrichten!«

Herzgeflüster - Eine Anthologie zum ValentinstagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt