Unbewusst halte ich meinen Atem an als sich das verwackelte Bild langsam beruhigt und Corbyn auf dem Bildschirm erscheint.
Als erstes fällt mir der orangefarbene Hoodie auf, den ich ihm damals zum Anziehen ausgesucht habe als mein Bruder ihn ins Pool geschmissen hatte. Wieso ich das noch so genau weiß? Ich habe keine Ahnung. Dann wandert mein Blick über eine Kette mit einem Löwenanhänger zu seinem Gesicht. Seine Lippen, bei deren Anblick mir sofort um einige Grad heißer wird. Die feinen Bartstoppeln, die vermuten lassen, dass er sich einige Tage nicht mehr rasiert hat. Doch dann stechen mir seine Haare ins Auge. Sie sind inzwischen braun. Und das steht ihm wirklich verdammt gut. Ich lasse meinen Blick wieder etwas tiefer wandern. Und da ist er. Mein Lieblingsplatz... Mein Rückzugsort... Doch gleichzeitig auch meine persönliche Hölle. Der Ozean in seinen Augen. Sogar über Videoanruf haben sie diese besondere Wirkung auf mich. Sobald wir uns in die Augen schauen fühle ich mich als würde ich direkt in die Wellen eines tiefblauen Ozeans eintauchen. Und wenn ich nicht aufpasse, verliere ich im sanften Zusammenspiel dieser Wellen den Kontakt zur Wasseroberfläche. Dann werde ich von Welle zu Welle wie ein Ball hin- und hergeworfen, niemals sicher wo oben und wo unten ist. Doch das Adrenalin verdrängt meine Angst zu ertrinken. Es ist berauschend. Angst einflößend und wunderschön zugleich.
In diesem Moment wird mir bewusst, dass, egal wie sehr Corbyn sich verändert haben mag, seine Augen die gleichen sind. Ich würde sie überall wiedererkennen. Ob es ihm bei mir auch so geht?
Ich blinzele um unseren Blickkontakt zu unterbrechen. Wer weiß, wie lange ich Corbyn ansonsten angestarrt hätte.
"Hey, was ist los?", fragt Corbyn plötzlich besorgt. Verwirrt blicke ich ihn an und merke erst jetzt, dass mir eine kleine Träne über die Wange läuft. Schnell wische ich sie weg. Ich will jetzt nicht weinen. "Nichts, alles gut." Doch Corbyns Blick ist so sanft und... vertraut, dass sich sofort die nächste Träne ihren Weg über meine Wange sucht. So viel also dazu, dass ich jetzt nicht weinen will. Ich bin wohl ziemlich nah am Wasser gebaut. Mit verschwommener Sicht lache ich, denn obwohl es so aussehen mag, als wäre ich traurig, bin ich in Wahrheit so froh ihn zu sehen, dass meine Augen sofort überlaufen. Argh. "Ich... ich denke, ich vermisse dich nur einfach ein bisschen.", gebe ich also zögernd zu und fühle mich dabei als wäre diese Tatsache verrückt. Schließlich bin ich es gewesen, die den Kontakt zu allen Jungs der Band - außer meinem Bruder natürlich - abgebrochen hat. Und trotzdem wird mir im nächsten Moment bewusst, dass das was ich gesagt habe nicht wahr ist. Ich vermisse Corbyn nicht nur ein bisschen. Er fehlt mir gerade so sehr, dass ich wünschte, durch mein Handy hindurchsteigen und ihn umarmen zu können.
Plötzlich wackelt das Bild ein wenig. Der inzwischen braunhaarige Junge steht mit dem Handy in der Hand auf, schiebt leise einen Vorhang zur Seite und tapst, ohne mich aus den Augen zu lassen, durch einen schmalen Gang. Bevor ich fragen kann, wo Corbyn überhaupt ist, dreht er plötzlich seine Kamera um. Verwundert versuche ich im, daraufhin zu sehenden, Schwarz irgendetwas zu erkennen. "Warte kurz, ich versuche nur... Ah. Da ist er ja.", murmelt er leise vor sich hin. Im Bild erscheint auf einmal ein heller Fleck. Kurz wackelt es, dann stellt sich das Bild scharf und ich erkenne, was Corbyn mir zeigen will. "Siehst du? Das ist der Mond, den ich von hier aus sehe. Wunderschön, oder?" Lächelnd sehe ich auf das Handydisplay. "Ja. Wunderschön." "Und jetzt sieh nach oben." Verwirrt hebe ich meinen Blick. Und tatsächlich. Genau über mir erblicke ich den blassen Sichelmond. Noch erstrahlt er nicht in diesem leuchtenden Weiß wie auf dem Bildschirm und trotzdem - er ist bezaubernd. "Vergiss nie, dass wir unter dem selben Mond schlafen. Wenn du... wenn du mich vermisst, dann schau einfach nach oben und denk daran, dass ich da bin. Man muss nicht zusammen sein um sich nah zu sein.", flüstert Corbyn sanft. Eine Gänsehaut breitet sich von meinem Nacken über den gesamten Körper aus. "Das ist ein schöner Gedanke.", flüstere ich zurück. Und plötzlich fühlt es sich wirklich so an, als würde Corbyn neben mir sitzen. Als würden seine Finger zart über mein Haar streichen. Doch im nächsten Moment wird mir bewusst, dass es nur ein Windhauch war. "Cass...", flüstert Corbyn so leise, dass es gut möglich ist, dass ich mir auch das nur eingebildet habe. Ich atme tief durch, dann wende ich meinen Blick vom Sichelmond ab und richte ihn stattdessen wieder auf das Display. Mir stockt der Atem.
Corbyns Lächeln erleuchtet so hell, dass ich automatisch auch anfange zu strahlen. "Was ist?", frage ich grinsend. Er schüttelt den Kopf und lacht leise in sich hinein. Dann hebt er seinen Blick wieder und blinzelt mich an. "Ich bin einfach nur so glücklich, dich endlich mal wieder zu sehen." Bei diesen Worten breitet sich von meinem Herzen eine angenehme Wärme aus und durchströmt innerhalb von kürzester Zeit meinen ganzen Körper. Mein Lächeln wird noch breiter. "Das kann ich nur zurückgeben." Er schaut mich für eine Weile an, dann fährt er plötzlich herum, woraufhin der Bildschirm erneut wackelt. "Nicht auflegen.", zischt er noch leise, dann wird alles schwarz.
"Was machst du denn hier draußen? Um diese Uhrzeit?", höre ich eine verschlafene, mir bekannte Stimme fragen. Zach. Anscheinend hat Corbyn ihn kommen gehört und schnell Danis Handy irgendwo versteckt. "Ich... wollte nur kurz an die frische Luft." Ich höre ein Schnauben. "Verständlich. Irgendjemand von uns hat definitiv zu viele Bohnen zu sich genommen, das ist ja echt kaum auszuhalten da drin." Zu spät unterdrücke ich ein Kichern. "Was war das denn?", fragt Zach verwirrt. Ups. "Was meinst du?", entgegnet Corbyn allerdings nur gelassen. "Ich dachte ich habe irgendwas gehört, aber anscheinend haben die Gase da drin mir schon so großen Schaden zugefügt, dass ich unter Halluzinationen leide. Unfassbar." Diesmal beiße ich mir rechtzeitig auf die Unterlippe um nicht loszulachen. "Naja wie auch immer, ich gehe jetzt lieber wieder schlafen. Sonst kipp' ich morgen auf der Bühne noch um, und das kann ich meinen Anbeterinnen nun wirklich nicht antun. Sie würden sich zu Tode erschrecken.", lacht Zach und ich kann mir sein schelmisches Grinsen nur zu gut vorstellen. "Mach das. Ich komm auch gleich wieder rein.", meint Corbyn, sein Schmunzeln deutlich hörbar. "Gut. Nicht, dass du uns wegläufst. Dir würde ich nämlich zutrauen, dass du schon deine Flucht geplant hast um endlich wieder bei deinem Schatz zu sein." Irritiert ziehe ich meine Augenbrauen zusammen. Anscheinend geht es auch Corbyn so: "Meinem Schatz?" "Du weißt schon, Cash." Geschockt halte ich den Atem an. Wie kommt Zach denn da drauf? Auch Corbyn lacht nur unsicher. "Sie... ist nicht mein Schatz, Zach. Keine Ahnung wo du das her hast, von mir auf jeden Fall nicht." Ich schlucke. "Ja ja, wie du meinst.", sagt Zach heiter, dann höre ich sich entfernende Schritte. Es dauert einen Moment, dann wird Danis Handy wieder hervorgeholt und Corbyn erscheint auf dem Bildschirm. "Sorry, Zach hat mich anscheinend gehört.", entschuldigt er sich, jedoch ohne mich anzuschauen. "Alles gut.", meine ich und zwinge mich zu einem Lächeln. Irgendwie ist die Stimmung zwischen uns jetzt anders. Viel mehr wie zu der Zeit als Corbyn und ich noch andauernd aneinander geraten sind, nicht mehr wie die... fast schon unbeschwerten Momente gerade eben.
Ich seufze, enttäuscht weil wir anscheinend auch nach 8 Monaten noch nicht schaffen "normal" miteinander umzugehen. Es gibt die Augenblicke, in denen wir so vertraut und ja, sogar liebevoll zueinander sind, dass ich fast glauben könnte wir wären... ich weiß nicht, als würden wir uns... verstehen. Doch dann kippt die Stimmung auf einmal und wir sind Welten voneinander entfernt. Unerreichbar füreinander. Und damit komme ich nicht klar.
"Ich sollte schlafen gehen.", murmelt Corbyn und sieht mich nun doch an. Ich nicke nur. "Gute Nacht, Cassandra." Ausdruckslos blicke ich ihn an. Das war's also? Einfach nur ein Gute Nacht... und was dann? Dann hören wir uns in 8 Monaten wieder, weil er zufällig ans Handy von meinem Bruder geht als der gerade nicht kann?
"Corbyn", fange ich also an, doch ich weiß nicht was ich überhaupt sagen will. Ich weiß nicht wie ich diese ganzen Gedanken und Gefühle in Worte fassen soll. Das ist aber anscheinend auch gar nicht nötig. "Ich weiß.", flüstert Corbyn, der mich trotz allem wohl auch ohne Worte versteht, verzweifelt. "Ich weiß...", wiederholt er noch einmal, schaut mich noch einen Moment an, dann legt er auf. Einfach so. Obwohl noch lange nicht alles gesagt ist, nicht ansatzweise. Doch wahrscheinlich ist es besser so. ...Das rede ich mir zumindest ein.
In meinen Händen leuchtet das Display nochmal auf. Für einen kleinen Augenblick blitzt Hoffnung in mir auf. Doch es ist kein Anruf. Es ist eine Nachricht.
Es tut mir Leid.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und versuche ein Schluchzen zu unterdrücken.
Wie von selbst hebe ich meinen Blick.
Man muss nicht zusammen sein um sich nah zu sein.
Wieso fühlt es sich dann so an als wärst du Millionen von Lichtjahren von mir entfernt?
DU LIEST GERADE
𝐈 𝐡𝐚𝐭𝐞 𝐭𝐡𝐚𝐭 𝐈 𝐥𝐨𝐯𝐞 𝐲𝐨𝐮 || 𝐖𝐡𝐲 𝐃𝐨𝐧'𝐭 𝐖𝐞 𝐅𝐅
Fanfiction𝕄𝕒𝕪𝕓𝕖 𝕤𝕠𝕞𝕖𝕕𝕒𝕪, 𝕨𝕙𝕖𝕟 𝕨𝕖'𝕣𝕖 𝕣𝕖𝕒𝕕𝕪, 𝕨𝕖 𝕨𝕚𝕝𝕝 𝕞𝕖𝕖𝕥 𝕒𝕘𝕒𝕚𝕟. **Fortsetzung** meines Buches "I hate you, I love you || Why Don't We FF" Eine Weltreise. Ein großes Wiedersehen. Eine Liebe, die vielleicht doch eine Chanc...