Zwischenkapitel V - Wir waren einmal Freunde III

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Zwischenkapitel V – Wir waren einmal Freunde III

MATTHEW ALCRIS

14:42 Uhr; Regierungsgebäude von Lisamis

„Du hast davon gewusst, nicht wahr?", fragte Alex, als wir gerade den Fuß der Treppe hinunter zur Eingangshalle erreichten. Liam und Mika standen dort, wobei letzterer leise auf den Xernox Leiter einredete.
Langsam nickte ich. „Bei Liam wusste ich es. Ich habe ihm damals geholfen, dass der Techno-Virus wirkt. Bei Mika wusste ich es nicht."
Alex erwiderte nichts darauf, der Ausdruck in seinen Augen wurde lediglich für einen Moment resigniert, während er weiterhin Liam und Mika beobachtete.
Ich folgte seinem Blick und fragte mich unwillkürlich, was wir hier eigentlich genau taten. Nicht zu aller letzte, weil eben unser gesamter Freundeskreis nach vielen Jahren das erste Mal wieder vollständig an einem Tisch gesessen hatte. Genau das begab mir zu denken und hatte mir umso mehr bewusstgemacht, dass ohne uns fünf die Stadt nicht in einem solchen Chaos sein würde. Natürlich spielten eine Menge Faktoren von außerhalb mit hinein, aber im Endeffekt war so gut wie alles auf uns zurückzuführen.
Mika brach seinen Satz ab, kaum dass wir ihn und Liam erreicht hatten, woraufhin der Xernox Leiter sich uns zuwandte. „Tut mir leid was da oben gerade passiert ist", begann er und ich war mir nicht sicher, ob ich eine Entschuldigung von ihm erwartet hätte. „Eigentlich war das anders geplant."
Alex zog eine Augenbraue hoch. „Hätte mich auch gewundert, ich habe dich glaube ich seit dem Studium nicht mehr so erlebt."
Alex hatte recht. Liam war zwar immer noch bekannt dafür, vor allem im Ratsitz, sich immer mal wieder mit den unterschiedlichsten Leuten anzulegen, aber einen solch emotionalen Ausbruch hatte ich kaum noch in Erinnerung.
„Darf ich eigentlich fragen, was Michael genau gemeint hatte, oder ist das ein ganz empfindliches Thema bei dir?", hackte Alex schließlich nach und mir entging der alarmierte Blick von Mika nicht, der gleich zu seinem Bruder schoss.
Liam seufzte und rieb sich über das Gesicht. „Werdet ihr wahrscheinlich sowieso gleich erfahren. So wie ich sie kenne, ist sie eh nicht im HQ geblieben", der letzte Satz murmelte er nur vor sich hin, ganz so als sollte ihn keiner mitbekommen. Mika allerdings schnaubte amüsiert. „Zu viel McChash Gene", erwiderte er nur und deutete dann zum Ausgang. „Sollen wir gehen? Ich habe keine Lust auf eine weitere Begegnung mit einem Marver."
Liam war eh schon halb an der Tür, Alex und ich folgten den beiden Brüdern schließlich auch. Auf den Treppen, die vom Gebäude hinunter auf den großen Vorplatz führten, ließ Mika sich wie nebenbei zu mir zurückfallen.
„Du warst auch schon mal zuverlässiger", murmelte ich ihm leicht belustigt entgegen, in einer Lautstärke in der nur er mich verstand. Ich wollte Liam nicht direkt unter die Nase reiben, dass ich schon länger Kontakt zu seinem Bruder hatte, währen ich ihm nicht einmal eine Chance gegeben hatte, die ganzen Lügen um ihn herum richtig zu stellen.
Mika gluckste nur, während er die unverletzte Hand in die Jackentasche schob und aus dem Augenwinkel zu mir sah. „War auch nicht mein Plan gewesen, in einer Zelle zu landen." Er wurde danach gleich wieder ernst und auch der unbeschwerte Funke in seinen Augen, der ihn immer von Liam unterschieden hatte, verschwand. „Es macht mir ehrlich gesagt ziemlich Sorgen, dass der Rote Stern uns abfangen konnte. Ilias und mein Netzwerk hat nichts mit Lisamis zu tun und auch die wenigen Verbindungen, die wir hierher haben, sind alle hundertprozentig sicher."
„Glaubst du, wir unterschätzten Michael noch immer?"
Er zuckte mit den Schultern. „Das ist zumindest Ilias Meinung."
„Und deine?" Ich wusste, dass Ilias vorschneller Schlüsse als Mika zog. Obwohl Mika den Ruf hatte, der wildeste der McChash Brüder zu sein, ging er stets überlegt vor und spielte den Vorteil, den er durch seine überdurchschnittliche Intelligenz hatte, immer gut aus. Er war der Denker von diesem ungleichen Brüderduo, Ilias der der handelte.
„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht", gab er schließlich zögerlich zu. „Ich weiß nur, dass ich mich eigentlich nicht einmischen will, aber ich kann Liam das nicht alleine überlassen."
Mika und Liam waren etwas, aus dem ich noch nie schlau geworden war. Auf der einen Seite würden die beiden alles für einander tun, auf der anderen hätte ich immer das Gefühl, als würde sie manchmal versuchen, dieser Abhängigkeit zwischen Zwillingen zu entkommen. Inzwischen glaubte ich, dass die beiden das selbst nicht einmal bemerkten.
Ich sah wieder zu Liam, der sich ebenfalls mit gesenkter Stimme mit Alex unterhielt und dabei mehrere Autos ansteuerte, die auf der anderen Seite des Platzes standen. Einige Leute standen bei diesen und das Xernox Logo auf den Wagen war schon von weitem zu erkennen.
Liam schien immer noch aufgebracht, aber so wie er sich gerade mit Alex beriet, fühlte ich mich beinah in der Zeit zurückversetzt. Kurz blickte ich über die Schulter zurück zum Regierungsgebäude. „Vielleicht hat Michael ja gerade einen seiner größten Vorteile verloren", stellte ich leise fest. „Er hatte es damals sehr erfolgreich geschafft, einen Keil zwischen uns alle zu treiben."
„Und jetzt habt ihr eine Front gegen ihn gebildet", nickte Mika und schmunzelte leicht. „Ja, das hat ihm ganz und gar nicht gefallen. Ich dachte schon beim Eintreten, dass er gleich an die Decke gehen wird."
Ich war ohne großartige Erwartungen hierhergekommen, nachdem ich die Einladung von Michael zu einem Gespräch bekommen hatte. Mich neben Alex zu setzten und mich damit deutlich auf seine Seite zu setzten, war eine Kurzschlussreaktion gewesen, als ich das erste Mal seit vielen Jahren wieder Michael gegenübergestanden hatte und mir innerhalb von wenigen Sekunden durch den Kopf gegangen war, was dieser Mann alles getan hatte.
Das Liam und Alex sich bereits verbündet hatte, konnte ich immer noch nicht wirklich glauben. Als ich durch Jin und Jason die letzten Monate etwas enger mit den Rebellen zusammengearbeitet hatte, war auch der Kontakt zu Alex wieder ein wenig enger geworden. Er hatte beinah zwanghaft versucht, sich von Liam fern zu halten und auch zu mir hatte er stets Distanz gewahrt.
Aber schlussendlich war Alex auch derjenige, der von uns allen am meisten von Sektorenpolitik verstand. Nur zu gerne würde ich wissen, ob er wirklich Frieden mit Liam geschlossen hatte, oder ob Liam für ihn einfach nur das kleiner Übel war. Aber wenn letzteres zu treffen würde, dann würden die beiden sich wohl kaum gerade so vertraut unterhalten.
Was mich wieder zurück zu der Frage führte, ob es schlau war, mich vor Michael so deutlich zu positionieren. Im Gegensatz zu Liam und Alex hatte ich keine der größten Sektororganisationen hinter mir stehen und ich hatte bei weitem auch nicht den Einfluss wie die beiden. Schließlich hatte ich auch die Verantwortung für Luxanus und dessen gesamten Sektor, war es da wirklich so schlau gewesen, so deutlich gegen Michael Partei zu ergreifen?
In den Zweifeln gefangen, sah ich aus dem Augenwinkel zu Mika. Wenn ich ehrlich war, hatte ich diese Entscheidung schon vor einigen Monaten getroffen, genauer gesagt in dem Moment, als ich Mika um Hilfe gebeten hatte und mir über ihn ein Rettungsseil aus diesem ganzen Machtspiel gebaut hatte. Im Endeffekt würde es Michael egal sein, ob ich mich nun mit Liam oder mit Mika verbündet hatte, denn für ihn war ein McChash ein McChash, er machte da keinen Unterschied zwischen den Brüdern.
Also konnte ich nur hoffen, dass Luxanus unter meinen Entscheidungen nicht leiden würde.
Ich versuchte die Gedanken abzuschütteln, als wir die Wagen von Xernox erreichten und erkannte, dass auch einige meiner Polizisten nicht weit standen, genauso wie die von Nechus. Unabhängig von dem, was gerade im Regierungsgebäude passiert war, hatte diese sich also auch nicht weit voneinander weg positioniert, hatten anscheinend auch den Gedanken gehabt, dass es so besser war, als alleine gegen die Einsatzkräfte der Marvers anzukommen, falls es hart auf hart kommen sollte.
Mein Blick viel auf Rabia, die mit verschränkten Armen dort stand und sich anscheinend mit zusammengekniffenen Augen vergewisserte, dass der Xernox Leiter in Ordnung war. Man musste sie vermutlich nicht einmal so gut kennen wie ich, um zu sehen, dass es ihr gar nicht gepasst hatte, dass Liam in Begleitung von Mika gegangen war und sie selbst hier draußen hatten warten müssen. Egal wie weit ich mich von Xernox distanziert hatte, Rabia arbeitete von Anfang an mit Leib und Seele für diese Organisation und nahm vor allem den Teil ihres Jobs, für Liams Sicherheit zuständig zu sein, verdammt ernst. Kurz trafen sich unsere Blicke und der besorgte Schimmer wurde noch stärker, eh ich ihr zunickte, als Zeichen, dass bei mir auch alles in Ordnung war. Sie nickte zurück, eh sie sich wieder Liam zu wandte und sich eben auf den aktuellen Stand der Dinge bringen ließ.
„Das heißt so viel wie, wir dürfen damit rechnen, dass die Situation jetzt erst recht eskaliert, wenn ihr drei euch nun offiziell gegen ihn positioniert hat", stellte Rabia fest, als Liam fertig war.
„So ziemlich", bestätigte Liam, während er eben den Blick über seine Leute schweifen ließ und schließlich bei Jin hängen blieb, neben die sich Mika gestellt hatte. Liams Bruder stieß Jin mit einem belustigtem Schnaubten an. „Ich glaube, du bekommst Ärger."
„Als hätte ich es nicht geahnt. Was tut sie hier?", fragte Liam an Rabia gewandt.
Diese schüttelte entnervt den Kopf. „Sie hat mich in den Wahnsinn getrieben, bis ich sie endlich mitgenommen habe. Zieh mich da nicht mit rein, dass könnt ihr unter euch klären."
Während Liam und Jin ein stummes Blickduell ausfochten, bemerkte ich den irritierten Blick von Alex, den er mir zu warf. Ich zog nicht minderer verwirrt die Augenbraue hoch, als Liam schließlich seufzte und abwandte, ganz so, als würde er in diesem kleinen Kampf zwischen ihnen klein beigeben. Etwas, dass er bisher nur bei Lea oder Mika getan hatte, sonst hatte er sich stets gegen alle anderen versucht durchzusetzen.
Mika lachte neben Jin auf. „Mensch, einen Tag her und du hast ihn ja total unter Kontrolle."
Jin erwiderte sein Grinsen und zuckte mit den Schultern. „Ich kann jetzt die Tochter-Karte ausspielen, die ist sehr effektiv."
„Jaja", brummelte Liam, allerdings schien er ein paar Sekunden später ein Schmunzeln nicht zu unterdrücken können.
Fassungslos sah ich Jin an. „Bitte was?"
Das Grinsen verlor die Hälfte des Strahlens, als wenn ihr erst jetzt wieder bewusstwurde, wer hier alles mit dabeistand. Sie sah einen Moment zu mir, eh sie einen fragenden Blick zu Liam warf.
Es war auch dieser, der schließlich antwortete. „Sie ist Aylin."
Ich weiß nicht, wenn der beiden ich länger perplex anstarrte. „Aylin McChash?", hackte ich sicherheitshalber nach, da mir das völlig unmöglich schien. Aber Liam nickte.
Während ich versuchte, dass zu verarbeiten und irgendwie sinnvoll zusammen zu bekommen, fragte Alex lieber gleich direkt nach. Es war schwer zu sagen, was mich mehr schockte, das Jin Liams Tochter war oder was Michael getan hatte, als Liam uns erzählte, was sie in der Lagerhalle von Michael erfahren hatten.
Aber im Endeffekt erklärte es so einiges, wenn Jin...Aylin, verbesserte ich mich in Gedanken, eine McChash war.
„Deswegen bist du eben auch so ausgetickt", konnte Alex nun nachvollziehen und kniff dann die Augen zusammen. „Michael spielt mit extremeren Mitteln, als wir dachten."
Ich folgte den Gespräch der beiden nicht weiter, denn ich war immer noch zu geschockt davon, dass das Mädchen, dass ich quasi seit elf Jahren großzog, tatsächlich Aylin McChash war.
Schlagartig wurde mir aber auch umso mehr bewusst, dass all meine Bemühungen, die TVIs aus diesem Machtkampf herauszuhalten völlig sinnlos gewesen war. Michael hatte Aylin zu einem Spielball in seinem Kampf gegen Liam gemacht und es war unabdingbar, dass sie früher oder später selbst in dort hineingezogen werden würde. Genau wie Jason, der als Jonas Sohn genauso sehr mit darin hing. Andrew war von Michael von klein auf eingespannt worden und zu guter Letzt, hätte ich auch Laurin nie ganz davon fernhalten können, weil er viel zu loyal Aylin und Jason gegenüber war, als dass er die beiden im Stich lassen würde.
Immer noch fassungslos schüttelte ich den Kopf und versuchte meine Gedanken wieder zu sortieren, während ich meinen Blick herumschweifen ließ. Besorgt entdeckte ich Caleb, der am Eingang des Regierungsgebäudes stand und in unsere Richtung sah.
„Ich glaube, wir sollten gehen", wandte ich mich an die anderen, denn mir reichte es definitiv für heute.

SKYLINE - VerschwörungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt