Der größte Käfer unter dem Ungeziefer

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Der Wagen bremste endlich ab. Die Türen wurden geöffnet und nach den Schritten zu beurteilen, kamen zwei der Terroristen rein. Ich spürte nur noch einen festen Druck gegen meinen Rücken und fiel aus dem Lastwagen auf einen harten Boden. Nacheinander traten sie und wortwörtlich raus. Einer packte mich an den Fesseln meiner Handgelenke und riss mir das Tuch von meinen Augen herunter. Ich kniff sie mehrmals ganz fest zusammen, um das Brennen zu mindern. Ich öffnete sie langsam und sah nur noch Gitter vor mir. Gitter und Menschen, die hinter diesen Gittern gefangen waren. Wie konnte ich nur so naiv sein, wie konnte ich nur glauben, dass die Halle das Schlimmste war. Dieser Ort war viel schlimmer, es war nicht nur ein Gebäude, welches als Gefängnis genutzt wurde, es war ein Gefängnis! Es war ein erobertes Gefängnis der irakischen Regierung. „Was stehst du hier so rum, geh da rein", brüllte mich das Ungeziefer an und schubste mich in die Zelle rein. Wir waren über 30 Menschen in dieser Zelle. Es war so unglaublich stickig, die Wände waren feucht und es war so eng, dass unsere Körper aneinander gedrückt wurden. Immerhin wurden unsere Fesseln am Abend abgenommen. Sie brauchten sie für die anderen. Der Abdruck der Fesseln hinterließ einen lila-blauen Schimmer auf meinem Handgelenk. Ich versuchte sie abwechselnd zu massieren, um das Blut wieder regulieren zu können. Auch in dieser Zelle war jeder für sich allein. Wir waren so viele Menschen und doch konnte keiner von uns sprechen. Es gab noch viele weitere Zellen, die ebenfalls überfüllt waren.

Wie viele Menschen hielten sie gefangen und wie viele waren bereits tot? Ich konnte nicht glauben, dass uns niemand half. Zwanzig Tage saßen wir in der Zelle fest. Ab und zu bekamen wir ein Stück Brot oder paar Tropfen Wasser, das reichte gerade so um zu überleben. Aber der Hunger und der Durst übernahmen mich an jedem Tag. In jeder Nacht knurrte mein Magen und meine Kehle war bereits vollkommen ausgetrocknet.

Die meiste Zeit wurden wir schikaniert. Einige Terroristen wollten unbedingt, dass wir zum Islam konvertieren. Andere wollten nur unseren Tod. Aber sie alle verachteten unseren Glauben. Sie alle sahen uns als Ungläubige an. Nach zwanzig Tagen wurden auch mein Onkel und mein anderer Cousin zu uns gebracht. Sie saßen in der Zelle gegenüber. Beim Anblick von ihnen wurde mein Herz etwas leichter. In den letzten zwanzig Nächten fragte ich mich nämlich stetig, ob sie noch leben würden.
„Steht alle auf", wurde uns lautstark befohlen. Ein großer schwarz gekleideter Mann betrat den Raum. Ihm folgte eine weitere Truppe von Terroristen, die alle bewaffnet waren. Anders als die anderen, war die Kleidung von diesem Mann sauber, er sah beinah schon gepflegt aus. Naja.. so gepflegt wie ein Käfer nunmal aussehen kann. Im Anschluss wurde mir erklärt, dass er der Chef von alldem hier war. Er war also derjenige, der verantwortlich für diese Grausamkeit war. Triumphierend stellte er sich in die Mitte. Mit erhobener Brust fing er an zu lächeln. Dieses Grinsen war wirklich mehr als nur böse und dreckig. Es war das Grinsen der Hölle. Nachdem er sich genug präsentierte ging er wieder nach draußen und wir alle mussten ihm folgen.
Eine gute Sache hatte es: ich konnte endlich wieder die Sonne fühlen. „Stellt euch alle geordnet auf!", befahl man uns. Ich versuchte etwas nach hinten zu rücken, um zu meinem Onkel zu gelangen.

„Wollt ihr zum Islam konvertieren oder Yeziden bleiben", erklang die Stimme vom Oberhaupt. Ich blieb sofort stehen. „Hebt eure Hand, wenn ihr nicht konvertieren wollt", ergänzte er. Das war ein Ultimatum. Als ich meine Hand erheben wollte, wurde ich daran gehindert. Es war mein Onkel, der mich aufhielt. Ich verstand erst nicht warum, denn ich wollte meinen Glauben nicht aufgeben, ich wusste einmal was der Islam überhaupt war.
Sechs aus der Gruppe, dessen Hand nach oben ausgestreckt war, wurden aufgefordert zu dem Oberhaupt zu gehen.
„Kniet euch hin", seine Stimme wurde dunkler. Noch bevor ihre Knie den sandigen Boden berühren könnten, wurden ihre Köpfe von ihren Körpern getrennt. Das ging so unglaublich schnell, das warme Blut spritzte überallhin. Sie wurden alle gleichzeitig getötet und wäre meine Onkel nicht gewesen, wäre auch ich tot. Das Blut fließ bis zu meinen Fußen und dabei stand ich nicht mal in der ersten Reihe. Ich blickte zu meinem Onkel, dessen Augen den roten Boden anstarrten. Wir hatten also keine Wahl, wir hatten nie eine Wahl. Erneut hätte ich mich am liebsten selbst geohrfeigt. Wie konnte ich für eine Sekunde glauben, dass sie uns verschonen würden? Das sie unser Volk abgrundtief hassen, machten sich doch in jeder einzelnen Stunde deutlich.

Ardawan - Gefangen in den Händen von BarbarenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt