Kapitel 10

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Eine Frauenstimme, frische Kräuter, Schmerz. Das war das erste, was ich erfassen konnte, als ich meine Sonne wieder fand. Die Hitze war aus meinem Körper verschwunden, da war nur noch der Schmerz, gegen den ich nicht ankam. Der Geschmack von Eisen in meinem Mund war ebenfalls verschwunden. Ich spürte etwas kaltes an meiner Hand. Ich fühlte mich schwach und hilflos. Langsam kamen meine Erinnerungen zurück. Der Schimmel, das Wirtshaus, Kaldan, glühende Augen und schließlich ein schmerzvoller Stich in meine Seite.
Erschrocken atmete ich tief ein und schlug meine Augen auf. Ich wollte mich aufsetzen, aber ein Verband an meinem Bauch hielt mich davon ab. So konnte ich nur schwer atmend liegen bleiben. Einen braunhaarige Frau beugte sich über mich. Sif.
„Sie ist wach!“, rief sie erleichtert und umarmte mich. Überrascht zuckte ich zusammen. Sofort zog sie sich zurück. „Oh, tut mir leid. Hab nicht nachgedacht.“, murmelte sie.
Zuerst hatte ich Angst zu sprechen, aber ich merkte, dass mein Hals nicht mehr ganz so weh tat. „Schon gut.“ Für mehr reichte es dennoch erst einmal nicht. Langsam richtete ich mich ein wenig auf und lehnte mich an die Wand hinter mir.
Ich sah die beiden Prinzen, die mich, so wie auch Sif, mit einem sorgenvollen Ausdruck ansahen. Sogar Loki hatte seine kühle abweisende Maske wohl abgelegt.
„Wie geht es dir.“, fragte er. Ich zögerte. Ja, wie ging es mir? Besser, auf jeden Fall, aber nicht gut. Ich spürte den Schmerz in meinem Bauch und wahrscheinlich hatte ich eine Art Trauma erlitten.
„Den Umständen entsprechend. Aber besser.“, gab ich deshalb ehrlich zu. Seine Mundwinkel zuckten kurz, aber dann wurde er wieder ernst. Ich konnte mir vorstellen, welche Frage er sich in diesem Moment stellte, jedoch war es Thor, der sie laut aussprach. „Wer hat dir das angetan?“
Seine Stimme war sanft und bedacht, so hatte ich ihn noch nie erlebt. Er schien sich wirklich zu sorgen.
„Tchort und Kaldan. Beide, irgendwie.“, stammelte ich. Die Augen des Mannes hatten sich so oft verändert, dass ich es nicht recht sagen konnte. Beide waren wütend auf mich gewesen. Kaldan, weil ich seinen Sohn hatte sterben lassen, Tchort, weil ich dabei zugesehen hatte.
„Wer ist Tchort? Und warum Kaldan dir das angetan.“, fragte nun Sif. Wie auch die anderen war sie sichtlich verwirrt.
„Ich habe mein Versprechen nicht gehalten. Das alles ist meine Schuld.“, sagte ich ohne wirklich auf die Fragen einzugehen.
Ich konnte erkennen, dass es hinter Lokis Stirn ratterte, es konnte nicht lange dauern, bis er herausgefunden hatte, was ist getan hatte. Ich wollte es ihm nicht überlassen, das zu sagen. „Tchort hat Kaldans Sohn umgebracht. Er hat ihn von einer Klippe gestoßen und ich habe dabei zugesehen. Ich könnte nichts tun. Der Name des Fremden ist Tchort.“, erklärte ich.
Stille. Für wenige Sekunden hätte man eine Feder auf dem Boden aufkommen hören können. Dann wandte Loki sich ab und schrie die Wand an, obwohl seine Worte ganz offensichtlich an mich gerichtet waren. „Hab ich dir nicht gesagt, dass du es lassen sollst?! Ich sagte, dass ein Leben sowieso auf dem Spiel stand und wegen deiner Naivität waren es plötzlich zwei! Kannst du nicht einmal hören?“ Seine Stimme hallte durch den ganzen Raum und dröhnte in meinem Kopf. Ich war überrascht, dass ich nicht zusammenzuckte, aber ich hatte sowas in der Art bereits erwartet.
„Loki!“, zischte Thor wütend, aber sein Bruder dachte gar nicht daran sich zu beruhigen. Wie eine Raubkatze tigerte er durch den Raum und wartete darauf, dass ich weiter sprach.
„Ich bin zu Kaldan geritten, um ihm alles zu erzählen. Aber Tchort lebt noch in ihm und hat alles mitbekommen. Beide waren wütend auf mich gewesen, dann hat er mich angegriffen. Ich konnte nichts mehr tun. Ein Gast im Wirtshaus hat mir geholfen.“, sprach ich weiter. „Arbeitet er dort?“, hakte Thor nach und ich nickte stumm. Thor warf Sif einen Blick zu und sie verstand sofort. Sie wollten ihn herholen.
„Es ist meine Schuld. Ich habe es versprochen. Er kann nichts dafür.“, rief ich, aber sie drehte sich nicht mehr um. Stattdessen kam Loki nun wieder an das Bett. „Ganz recht, es war deine Dummheit, die dich hierher gebracht hat, aber dieser Mann wird dennoch für das bezahlen, was er dir angetan hat.“, sagte er gefährlich ruhig.
Man hätte vermuten können, dass er das machte, weil er mich mochte, mich rächen wollte, aber er tat das ganz ab aus reiner Selbstgefälligkeit. Vielleicht spielte ein gewisser Freundschaftsaspekt noch eine Rolle, aber mehr war da nicht.
„Er hat-...“
Thor unterbrach mich. „Loki hat recht, er wird nicht ungestraft davonkommen. Wahrscheinlich lässt Vater sowieso schon nach ihm suchen. Wir werden uns dem jetzt anschließen und du wirst dich weiterhin ausruhen, bis deine Wunde verheilt ist.“ Seine Worte waren klar und eindringlich. Ich nahm es einfach hin und wehrte mich nicht weiter dagegen. Gegen zwei Prinzen konnte ich unmöglich ankommen.
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Ich erholte mich innerhalb weniger Tage vollständig und konnte endlich wieder auf mein eigenes Zimmer. Kaldan, hatte Sif mir erzählt, saß in einer Zelle im unteren Teil des Palastes. Ich erinnerte mich noch gut daran, als Loki in solch einer gesessen hatte. Damals war er förmlich verrückt geworden. Thor hatte damals seinen Vater überreden können ihn wieder rauszulassen. Zwar war auch Thor damals nicht ganz angetan von der Idee gewesen, da Loki zuvor Midgard angegriffen hatte, wo er damals eine Menschenfreundin gehabt hatte. Ich wusste nicht recht, ob sie immer noch ein Paar waren, denn Thor war schon ewig nicht mehr fort gewesen. Außerdem spürte ich deutlich etwas zwischen ihm und Sif, was ich aber doch eher als enge Freundschaft abstempelte. Abgesehen von ein bisschen Tumult im Dorf schien alles um mich herum wieder völlig normal zu sein. Nur Loki, dessen "Befehl" ich missachtet hatte, bestrafte mich nun mit Schwiegen und Ignoranz mit gegenüber. Eigentlich war es schade, da ich gerade das Gefühl gehabt hatte, dass wir uns irgendwie näher gekommen war. Aber ich konnte mir weit aus schlimmer Strafen vorstellen. Ich konnte nicht sagen, dass ich so glücklich war, aber immer hin konnte ich ganz gut damit leben. Schließlich unternahm ich wieder mehr mit Sif, Hogun, Volstagg und Fandral, die mir die Kampfkunst beibrachten. Eigentlich war es lächerlich, Göttin des Krieges, mich nicht selbst verteidigen konnte, aber das war wohl die Ironie des Schicksals wie Thor es so schön nannte. Alles in allem war mein Leben also wieder normal. Auch von Tchort hatte ich nichts mehr gehört, was meine Tags um einiges erträglicher machte. Ich hatte wirklich die Hoffnung, dass all das endlich ein Ende finden würde.

Gemeinsam saßen wir alle beisammen und speisten zu Abend. Stille lag im Raum, aber es war keine unangenehm peinlich Stille, eher eine beruhigende friedliche Stille. Bis Odin das Wort ergriff. „Ich werde morgen Abend eine Feier geben. Auf die Normalität, die wieder in Asgard eingekehrt ist.“, kündigte er feierlich an. Die anderen hoben freudig ihre Bierkrüge und prosteten Odin zu. Der lächelte nur müde. „Sif, du wirst Thor und du Skadi, wirst Loki begleiten. Ich möchte, dass meine Familie an diesem Abend stark wirkt, weshalb meine Söhne eine Frau an ihrer Seite brauchen.“, fügte er hinzu.
Überrascht verschluckt ich mich an meinem Fleisch und musste mich räuspern. Der Blick des Allvaters traf mich kurz, wirkte jedoch ausdruckslos. Ich dachte gar nicht daran zu Loki zu sehen, denn ich wusste, dass er mich ignorieren würde. Das konnte ja nur ein lustiger Abend werden. Bestimmt sehr gesprächig, wenn das so weiter ging.

Loki Laufeyson - GoddessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt