Auf jeden Fall wusste ich eben, dass sie immer Block und Stift bei sich trug, um mögliche Geistesblitze sofort schriftlich festzuhalten. Marc reichte mir den Block und einen Stift und ich begann zu zeichnen. Ich zeichnete auf der einen Seite des Blattes meine „Uniform", die ich in dem weißen Raum getragen hatte und auf der anderen Seite das Bild von Avery auf dem Computer. Zeichnen konnte ich mehr oder weniger. Tendenz eher zu Kindergartenkunst schwankend. Jedoch konnte ich mir Sachen gut merken. Während viele anderen Mädchen zum Beispiel die Matheformeln immer wieder nachschlagen mussten, sie aber doch nie lernten, konnte ich mir sie schon beim ersten Mal merken. Das Anwenden war dann ja wieder eine andere Sache. Aber bei Bildern war das ziemlich nützlich, wenn man in Gedanken das Bild immer noch vor sich hatte. Zumindest in diesem Fall hier.
Also krakelte ich nicht ganz so Picasso-like meine zwei Kunstwerke quer über die Linien des Blocks. Charlie trat zu dem Kopfende des Betts und beäugte neugierig meine kläglichen Zeichenversuche. "Hmm... Sieht ganz nach dem Gefängnisraum der Goldenen Schlange aus. Das mit den Klamotten ist allerdings komisch. Es gibt keinen Grund für sie, dein Outfit zu ändern..." Ich tippte mit dem Stift auf die „Pistole". "Das ist ein Zeitwächter. Zeitwächter haben die Funktion, die verbotenen Augenblicke einzusammeln. Diese verbotenen Augenblicke kommen in Form von Sand wieder in die große Sanduhr. Und den Sand in der Sanduhr..." "Sie weiß, dass wir den Sand bekommen.", unterbrach Leon Charlie genervt. Also anscheinend hatte ich doch so einiges verpasst, während ich „weg" war. Zum Beispiel den Grund dieser Rivalität zwischen Leon und Charlie. Wie zwei Hunde, die verschiedene Reviere haben und diese unbedingt und unter allen Umständen gegeneinander verteidigen müssen. Jungs. Ich werd' sie wohl nie verstehen. Apropos Jungs. Da fielen mir wieder Liam und Jacob ein. Jacob hatte nicht wirklich zu den anderen dreien gepasst. Liam und Marc hatten nämlich offensichtlich wenig Probleme damit, einfach mal Mädchen anzusprechen, die sie zufällig kennenlernten und auch Charlie wirkte irgendwie ziemlich mutig und selbstbewusst. Jacob passte da irgendwie nicht dazu. Er kam mir fast so vor, wie bei einem dieser Rätsel in der Grundschule, wo man ein Wort aus der Zeile rausstreichen sollte, das da nicht hingehörte. Jacob war definitiv dieses eine Wort. Nur warum? War das Zufall? Denn eigentlich war Jacob echt hübsch... Shit! Ach egal. Als Mädchen fand man doch eh jeden zweiten Schauspieler oder Sänger cool und hübsch, aber das bedeutete ja auch nichts. Nur Schwärmerein. Unwichtig. Und vor allem nicht lange andauernd.
Jacob hatte blondbraune Haare. Er trug ein offenes rotkariertes Hemd, darunter ein weißes T-Shirt und eine schwarze Jeans. Er wirkte nachdenklich und zurückhaltend, fast schon ängstlich. Aber wovor hatte er Angst gehabt? Klar wusste ich nicht, ob das bloß Zufall war und er an dem Tag generell einfach nur total nachdenklich war, aber irgendwie hatte er generell so eine ruhige, schüchterne Ausstrahlung. So als würde er selber nicht wissen, was er da bitte mit den anderen Jungs und Ave und mir in dem Eiscafe zu suchen hatte. Irgendwie fand ich das süß. Halt, Stopp, verdammt! Nachdem ich Jacobs Outfit also noch einmal Revue passieren lassen hatte, fiel mir auf, dass Charlie nicht mehr den grauen Hoodie anhatte und auch Avery hatte statt dem weißen Shirt, das sie zum Eisessen anhatte, ein dunkelgraues Oversize-Shirt an. Ich starrte Marc tief in die Augen um ihm zu zeigen, dass er meine Gedanken lesen sollte. Natürlich verstand er sofort. Wie lange bin ich schon hier drin? "Seit gestern Abend." So lang? Gott, ey, irgendwie wird das schon fast alltäglich, dass ich irgendwo umkippe und blöd in der Gegend rumliege. Das musste sich dringend ändern! Aber als erstes brauchte ich dafür meine Stimme wieder! Ich richtete mich auf und zog die Decke von meinen Beinen. Dann schwang ich mich aus dem Bett und ging an Leon vorbei, der mir wie alle anderen fassungslos zusah. Ich öffnete den Kleiderschrank, in den entweder Ave oder Elaine ein Outfit reingelegt hatte. Braunes Langarm-Shirt mit tiefem Ausschnitt und daher einem zusätzlichen schwarzen Top und eine blaue Jeans. "Bambi, ich glaub nicht, dass das jetzt so eine gute Idee ist." Ich warf einen Blick auf die Infusion. Sie war leer. Ich machte den Anschluss der Infusion an meinem Handgelenk kurzerhand ab und zog mich an. Charlie und Ave, die Marc die Augen zuhielt sahen mir mit offenem Mund zu. Leon sah aus, als wäre er kurz davor, Charlie eine reinzuhauen und Elaine verkniff sich ein Lachen.
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Verbotene Augenblicke
Fantasy*pausiert* Was wäre, wenn deine Vergangenheit aus Lügen bestehen würde? Wenn deine Existenz in einer verbotenen Liebe ihren Ursprung gefunden hätte? Wenn du nach 17 Jahren erfahren würdest, dass es deine Familie -so wie sie ist- gar nicht geben dür...