Kapitel 10

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Vorsichtig zog ich die Decke weg, in der Erwartung, mich würde nun gleich ein gewaltiger Schmerz durchzucken. Aber dem war nicht so. Ich spürte gar nichts. Weder an meinem Bein, noch an meinem Herzen spürte ich irgendeine Art von Schmerz. "Ähm... Jacob, wo sind meine Verletzungen. Also nicht, dass ich sie vermissen würde, aber... Weißt du, was ich meine?" Er nickte. "Tu ich. Und genau davon rede ich, Amber." Er seufzte tief. Hä? Wovon? "Wovon redest du?" "Ich kann Flüche brechen, das weißt du ja." "Mhm." "Ich habe... Einen Teil meiner... Seele an dich übertragen. Am See. Als ich dich von dem Fluch befreit habe. Aber ich hab das nicht aus Gier gemacht, das musst du mir glauben." Ich blinzelte. "Was?" "Hör zu, du hast allen Grund, auf mich sauer zu sein, aber lass mich dir bitte erklären, wieso ich das getan habe." "Jacob..." Er legte einen Finger auf meinen Mund. "Du bist das Wichtigste in meinem Leben und anders hättest du es nicht überlebt. Ich hätte niemals... Wenn es noch einen anderen Weg gegeben hätte, hätte ich den genommen. Das musst du mir glauben... Ich... Es tut mir so leid..." "Jacob!" "Ich hätte das nicht tun dürfen, ich weiß..." "Jacob, verdammt! Ich bin nicht wütend, ich habe auch keinen Grund dazu. Du hast mir das Leben gerettet. Ich bin dir dankbar und nicht sauer und außerdem versteh ich eh nur, dass ich wieder lebe oder noch lebe oder was auch immer und den Rest kapier ich sowieso nicht. Von dem her..." "Amber, du verstehst nicht richtig. Ich habe einen Teil von mir an dich übertragen. Du bist jetzt unsterblich, wirst nie wieder älter -Zumindest optisch nicht. Ich hätte das nicht tun dürfen, ich hatte deine Erlaubnis nicht..." "Ja, weil ich zufällig irgendwo zwischen Leben und Tod hing. Und du hast mich gerettet. Du bist der Held der Geschichte, nicht der Bösewicht."

Er lächelte matt. "Gut, wenn du mir so nicht glaubst, dann komm her." Er legte sich vorsichtig und skeptisch neben mich. "Das da oben ist Sirius." Ich zeigte auf den ungefähr einzigen Stern, den ich kannte. "Das ist für jetzt der hellste Stern am Himmel. Nicht für immer vielleicht, aber für jetzt. Dabei ist es allen egal, dass er das in 1000 Jahren vielleicht nicht mehr sein könnte. Weil man auf das Jetzt schaut. Auf die Gegenwart. Was ich damit sagen will ist, dass wir für jetzt leben, weißt du? Wir leben in der Gegenwart und in der Gegenwart wäre ich fast gestorben und du hast mich gerettet. Das ist was Gutes, nichts Schlechtes. Du hast alles richtig gemacht." "Nein, ich hätte dich fragen müssen." "Achso, okay und wie hättest du das bitte machen wollen? Das Einzige, was ich gehört hab, war Geschrei. Ich hätte nicht mal gecheckt, wenn du mich was gefragt hättest." Als ich mich wieder an diesen Dämmerzustand erinnerte, in dem ich mich zu dem Zeitpunkt befand, merkte ich, dass da ja zwei Stimmen waren. "Wo ist eigentlich Charlie?" "Charlie, Elaine und Leon sind in der Küche. Sie warten, bis du wach wirst, was du ja jetzt offenbar bist. Marc ist mit Ave in seinem Zimmer. Sie wollte ein bisschen allein sein. Nur Marc hat sie erlaubt." "Ave ist hier?" Jacob nickte. "Wissen sie, dass du...?" Er nickte. "Ja." Ich fasste mir an den Kopf. Besorgt setzte er sich auf. "Alles okay?" "Jaja, nur Kopfweh. Was muss ich denn jetzt eigentlich als Unsterbliche so beachten?" Ich setzte mich auch auf und lehnte mich an das Kopfteil des Bettes an. Jacob tat es mir gleich. Einen Sekundenbruchteil lächelte er. Er wollte nicht, aber er konnte nicht anders. "Gar nichts. Du kannst nur nicht sterben." "Aber meinte Violett nicht, dass sie euch auch umbringen könnte?" "Ja, es gibt theoretisch einen Weg." Ich zog fragend eine Augenbraue nach oben. "Und welcher wäre das?" "Darüber musst du dir keine Sorgen machen. Das wird nicht passieren." "Sagst du es mir trotzdem?" Er seufzte und seine Hand auf meine, die in meinem Schoß lag. "Gold. Echtgold. Der Kontakt mit ihm bringt uns um." "Im Ernst jetzt? Die Mitglieder der sogenannten »Goldenen Schlange« sterben an Gold?" "Ziemliche Ironie, stimmts?" "Aber das Armband..." Ich sah auf das Armband von Leon an meinem Handgelenk. "Das ist doch nicht echt, Amber." "Tut mir leid, aber ich bin kein Juwelier.", murmelte ich beleidigt. Er lachte. Wenigstens etwas. "Ich denke, ich sollte mal nach Ave schauen..." "Ja, das wäre wahrscheinlich am besten." Ich schwang meine Füße aus dem Bett und stand auf. Augenblicklich wurde mir schwarz vor Augen und ich hielt mich am Bettgestell fest. "Am?" "Kreislauf. Alles okay. Mir geht's gut." Schon stand er neben mir und legte seine Arme um meine Taille um mich zu stützen. Nachdem ich wieder begann, in Farbe zu sehen, hob ich den Kopf um ihm in die Augen schauen zu können. Er beugte sich runter und küsste mich. Vorsichtig und federleicht, als hätte er Angst, mich kaputt machen zu können. Ich geh nicht kaputt, Jake. Plötzlich spürte ich keinen Boden mehr unter den Füßen, denn er hob mich hoch wie ein Kleinkind. "Wow. War das jetzt nur ein Ablenkungsmanöver oder was?" "Eventuell..." Er grinste. "Blödmann... Man, lass mich runter. Du machst den anderen bloß Angst.", motzte ich. "Nein, vergiss es." Er trug mich also wie ein vierjähriges Mädchen durch den Flur an der Treppe vorbei, über die wir nach oben gekommen waren und zu der Tür eines weiteren Zimmers. "Lass mich wenigstens ab hier runter. Mir geht's gut." Widerwillig setzte er mich ab. Ich drückte die Türklinke und Ave blickte auf. Sie saß auf Marcs Bett, wo dieser seinen Arm um sie legte. Sie weinte. "Am..." Sie sah aus, als hätte sie ein Gespenst gesehen. "Laut meiner Mama hat mein Uropa mal gesagt: »Tot gesagte leben länger.«" Ich lächelte schüchtern. Wie sieht man seine beste Freundin an, die Todessorgen um einen hatte, weil man von einer Irren gefoltert und eigentlich auch getötet worden war? Ich konnte nicht gequält schauen, denn wie sollte ich das auch tun, wenn ich nicht mal mehr einen Kratzer hatte? Sie sprang auf und rannte auf mich zu. Erleichtert fiel sie mir um den Hals. "Du lebst! Oh mein Gott, ich hatte solche Angst um dich! Was erlaubst du dir auch, dich zu opfern! Wer macht sowas bitte? Gut, ich hätte es wahrscheinlich auch getan, aber trotzdem!"  "Aber mir geht's doch gut." Sie lehnte sich zurück und beäugte mich misstrauisch. "Ja, ich weiß.", sagte sie aber sah dabei mehr Jacob an als mich. "Sei bloß froh, dass ich nicht deine Mutter bin, sonst hätte ich dir mal grad eben lebenslänglich Hausarrest gegeben!" "Ave. Mir geht's gut." Auf einmal holte mich die Vergangenheit wieder ein. "Warte! Wo ist Violett?" Ängstlich drehte ich mich um und sah durch das Zimmer. "Sie ist weg." Marc starrte auf die Bettdecke, war aber mit den Gedanken weit weg. Ich ignorierte das. "Charlie!" Ich rannte durch die Türe und stolperte auf dem Weg zur Treppe über meine eigenen Füße. So schnell ich konnte stürmte ich die Treppe hinunter in Richtung Küche. Ich sah in gefühlt 100 Räume der riesigen unterirdischen Villa, bis ich endlich die richtige Tür aufstieß.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 28, 2021 ⏰

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