Kapitel 1

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Das erste was ich vernehme, als ich aufwache, ist das leise Knistern eines Feuers. Ich richte mich auf und blicke von dem Baum auf dem ich geschlafen habe. Mein großer Bruder Laneth kniet auf dem Boden und versucht, das kleine Feuer in Gang zu halten, welches er entzündet hat. Der Wald ist nass, aber mein Bruder bekommt alles hin, wenn er es sich vorgenommen hat. Bei diesem Gedanken schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht und ich gleite von der Astgabel, die ich meinen Schlafplatz nenne. Eigentlich sind Laneth und ich selten auf dem Boden, aber das Feuer auf einem Baum zu machen ist uns seit einem gewissen Vorfall zu riskant. Schon wieder muss ich schmunzeln, aber gleichzeitig ermahne ich mich, schließlich hätte es viel schlimmer enden können als mit ein paar verbrannten Ästen. "Das Essen ist fertig, Kleine" ruft mein Bruder leise. Er hockt immer noch am Boden, seine schwarz gelockten Haare fallen ihm in sein Gesicht. "Du sollst mich nicht Kleine nennen" antworte ich mit dem Versuch, ernsthaft beleidigt zu klingen, doch es gelingt mir nicht, und ich setze mich lachend zu ihm. Schweigend essen wir die Überreste vom vergangenen Tag, da unterbricht seine wohlklingende Stimme die Stille. "Wie wäre es, wenn wir uns heute einmal wieder Bruchtal aus der Nähe anschauen? Wir könnten durch die Bäume bis zum Rand der Schlucht. Was hältst du davon?" Ich nicke heftig, denn wir waren schon ewig nicht mehr in der Nähe der Elbenheimat.

Wir haben gerade unsere Sachen zusammengepackt, da vernehme ich ein leises Rascheln hinter mir. In Erwartung eines Angriffs ziehe ich zwei Dolche und drehe mich um. Doch dort ist nichts. Ich schwinge mich zeitgleich mit Laneth auf den nächstbesten Baum. "Was war das" frage ich ihn, während ich mich immer weiter nach oben ziehe. Auf den Bäumen fühle ich mich sicher, denn hier kann man mich schwer sehen, und wer mich sieht muss auch erst einmal hinter mir her klettern. "Spinnen?" Das Wort hallt lange in meinem Ohr nach, und ich muss tief einatmen.

*Flashback*

Ein leises Klicken reißt mich aus dem Schlaf. Es ertönt ein weiteres Mal, und dann noch einmal, es hört gar nicht auf. Und mit jedem Ton werden es mehr Klicklaute, sie kommen von oben und unten, von links und rechts. Noch kann ich die Ungeheuer nicht sehen, aber ich weiß, dass es Spinnen sind. Ich wecke meine Eltern, die die Situation sofort erfassen und mir und Laneth je einen Dolch zuwerfen. Laneth fängt seinen, aber ich bin immer noch erstarrt vor Angst und es fliegt an mir vorbei und fällt auf den Boden. Ich sehe meinen Bruder, meine Eltern, doch sie sind nur schemenhaft erkennbar. Erst der laute Schrei meiner Mutter reißt mich aus meiner Starre, aber es ist zu spät. Wie in Zeitlupe sehe ich sie fallen und aufschlagen. Sie zuckt ein letztes Mal und rührt sich nicht mehr. Eine Spinne krabbelt zu ihr und versucht, meine geliebte Mutter wegzuzerren. Da kommt Leben ich mich, meine Angst ist verschwunden und ich empfinde nur noch blanken Hass. Hass auf die Kreatur, die sie, meine Mutter getötet hat. Ein lauter Schrei entringt sich meiner Kehle, während ich auf das Monster springe. "Nana!" Da ich den Dolch nicht gefangen habe, bleibt mir nur mein kleines Taschenmesser, doch das reicht. Der Aufprall ist härter als gedacht, doch ich spanne mich an und setze mich rittlings auf die Spinne. Dann stoße ich ihr das lächerlich kleine Messer in den Schädel, einmal, zweimal, dreimal. Immer weiter. Die Kreatur ist schon lange tot, aber ich habe mich nicht mehr unter Kontrolle, und während mir die Tränen über das junge Gesicht laufen, kann ich nicht aufhören. Irgendwann höre ich nichts mehr, und mein Blickfeld engt sich ein. Dann wird alles schwarz, und das letzte was ich spüre ist, dass ich hochgehoben werde.

*Flashback Ende*

Ich schlage die Augen auf und sehe Laneth, der sich ängstlich über mich beugt. "Eru sei dank, du lebst." Zerknirscht fügt er hinzu: "Sorry, ich hätte es nicht erwähnen sollen." "Ach Unsinn, es kann doch nicht sein, dass ich wegen einem ganz normalem Wort zusammenbreche. Ich sollte mich entschuldigen" erwidere ich. "Gehen wir jetzt?" Wir klettern wieder auf den Baum, und erst jetzt fällt mir auf, dass er mich hinuntergetragen haben muss. Auf einmal höre ich ein Geräusch. Das Geräusch, welches ich am meisten von allen fürchte, welches mich in meinen Albträumen verfolgt. Ich höre ein Klicken.

Neriwyn - Mädchen des FeuersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt