Kapitel 7

210 19 0
                                    

Ich drehe mich zu meinen Begleitern um und bedeute ihnen, mir zu folgen. Wenige Meter vor uns befindet sich der Weg nach Bruchtal - von Orks besetzt. Sie sind in der Überzahl, und ich frage mich wo sie herkommen. Normalerweise trauen sie sich nicht in die Nähe von Elbenstädten, doch nun lagern sie in der Sichtweite von Bruchtal. Ein Handzeichen genügt, und die Wache, die ich anführe, verteilt sich lautlos und zieht einen Kreis um die Wegelagerer. Einen Moment verharren sie, dann gebe ich den Befehl zum Angriff und innerhalb weniger Momente sind die meisten tot. Einen halte ich fest, meinen Dolch an seine Kehle gepresst, da vernehme ich ein lautes Brüllen hinter mir. Aranel stürzt vor, um meinen Rücken zu decken. Das gibt mir genug Zeit, um meine Waffe fest durch die Kehle des stinkenden Ungeheuers zu ziehen. Der Kampf geht weiter, und auf einmal sehe ich Aranel, eine meiner besten Kriegerinnen, am Boden liegen, über ihr ein Ork. Mit einem Wutschrei stürze ich mich auf ihn und zerre das Ungeheuer von Aranel. Mein Dolch schlitzt ihm die Kehle auf, dann sinke ich auf den Boden, ziehe die tapfere Kämpferin auf meine Schulter und begebe mich aus dem Kampfgetümmel. "Macht weiter" brülle ich in Richtung der Wache, dann lege ich sie auf den Boden und betrachte ihre Wunden. Mein Herz wird schwer, als ich die riesige Wunde in ihrem Bauch sehe. "Ne... Neriwyn" keucht sie, und ihre Augenlider flattern. "War ich... war ich gut?" Traurig schaue ich sie an. Immer auf ihre Leistung bedacht, selbst im Sterben. "Du warst die beste" flüstere ich und nehme ihre Hände. Sie versucht sich aufzurichten, aber ich halte sie zurück. "Nein. Du hast für dein Leben genug gekämpft." Mir kommen die Tränen. Sie war immer so verständnisvoll gewesen. Sie war es, die mir meinen Start in der Wache erleichtert hat. Auf einmal überkommt mich unsägliche Wut auf mich. Hätte ich mich vergewissert, ob weitere Orks kommen, hätte sie sie nicht von mir abhalten müssen und wäre nicht gestorben. Ich verstärke den Druck auf ihre Hände."Du warst die beste", wiederhole ich, "du warst die beste. Es tut mir leid." Ich weiß, dass sie es hasst, wenn jemand weint, und das gibt mir die Kraft, meine Tränen zurückzuhalten. Auf einmal fällt mir auf, dass der Kampflärm verstummt ist. In gebührendem Abstand haben sich die anderen Elben um uns versammelt und trauern ebenfalls. Falyn, ein schweigsamer Elb, bringt mir das Pferd von Aranel, welches zusammen mit den anderen auf einer Lichtung gestanden hat. Ich hebe ihren Körper hoch und spüre, wie das Leben aus ihr weicht. Langsam machen wir uns auf den Weg zurück. Ich hege die Hoffnung, dass sie noch gerettet werden kann, aber tief in meinem innern weiß ich, dass es vorbei ist. Auf einmal fällt mir ein, was sie einmal zu mir gesagt hat. Sollte mein Ende kommen, so bring mich zu meiner Schwester. Leben fährt in mich, und in einem letzten verzweifelten Versuch reiße ich meinen Kristall vom Hals. und lege ihn in Aranels Hand. Nichts passiert, da tritt ein weiteres Mal Falyn vor. Er nimmt seinen eigenen Anhänger von seinem Hals und legt ihn ihr um. Auf einmal scheint es, als würde das Licht aus dem Stein weichen und in Aranel fahren. Sie keucht auf und öffnet die Augen. Ich weiß nicht, wieso es mit Falyns Anhänger funktoniert hat, doch ich frage nicht und beeile mich bloß ein wenig mehr. Von einer Wache lasse ich mir den Weg zum Gemach von ihrer Schwester zeigen. Alle außer Falyn und mir bleiben stehen. Ich atme tief ein und betrete das Zimmer. Auf dem Bett sitzt eine Elbin, die deutlich Ähnlichkeit mit Aranel hat. Dunkle lange Haare und Augen, so blau wie der Sommerhimmel. Sie sieht erst mich, dann fällt ihr Blick auf ihre Schwester in meinen Armen. Ohne einen Laut sackt sie zusammen und droht, vom Bett zu gleiten, aber Falyn fängt sie auf und ich lege Aranel sanft auf das Bett. Kurz darauf fasst sich die Elbin wieder. "Ich bin Alaen, Aranels Schwester. Danke, dass ihr sie zu mir gebracht habt. Falyn, ich danke dir für die Liebe, die du meiner Schwester entgegengebracht hast. Und dir Neriwyn, danke ich auch. Mache dir keine Vorwürfe. Es war für sie die einzig vorstellbare Art zu sterben. Ich wäre euch dankbar, wenn ihr uns nun allein lasst." Ich nicke und ziehe mich zurück. Kurz darauf kommt auch Falyn wieder aus dem Zimmer von Alaen. Erst jetzt verliert sie ihre Fassung und beginnt zu Schluchzen. Eine starke Elbin und eine ebenso starke Schwester, denke ich und setze meinen Weg fort.

"Wie kam es, dass sie für euch ihr Leben gab?" Die Frage erfüllt mich mit Reue, und ich muss mich bemühen, meine Tränen zurückzuhalten. "Wir vertrauen uns sehr... Jeder in der Gruppe vertraut den anderen, ohne Ausnahme. Das habe ich sie geschult. Ich hatte einen Ork gefangen genommen, mit dem Messer an der Kehle. Ich war unbedacht und schaute nicht nach einer nächsten Angriffswelle. Hinter mir stürmte ein Ork heran, und Aranel warf sich ihm entgegen. Das hat mir Zeit gegeben, aber sie war schon überwältigt worden. Sie war die stärkste Elbin die ich befehligen durfte." Die letzten Worte kommen nur noch als flüstern über meine Lippen, und Elrond sieht mich an. "Macht euch keine Vorwürfe. Es war mit Sicherheit kein unehrenhafter Tod, und dass du sie zu ihrer Schwester gebracht hast, war sehr freundlich. Schätzte dich glücklich, solch ehrenhafte und selbstlose Elben befehligen zu dürfen. Und nun bitte ich dich, deine Kleidung zu wechseln. Als Vertreterin der Wache wirst du mich zum Tor geleiten und unsere Gäste empfangen." Verwundert hebe ich meinen Blick. Gäste? "Verzeiht mir, doch welche Gäste werden wir empfangen? Steht ein Fest bevor?" Schon als ich die Worte ausspreche weiß ich, dass es kein Fest geben wird, denn die Miene meines Herren bleibt starr. Ein paar Momente schweigt er, dann erhebt er seine Stimme. "Nein, Neriwyn, kein Fest. Es wird eine Versammlung einberufen, eine Versammlung, die alle Völker Mittelerdes betrifft. Der Ringrat."

Neriwyn - Mädchen des FeuersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt