Kapitel 1

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"Vielen Dank für Ihren Einkauf! Kommen Sie bald wieder." Die Ladenklingel läutete zwei Mal und Stille kehrte in dem kleinen Supermarkt ein, nur unterbrochen von dem monotonen Brummen der Klimaanlage. Der Braunhaarige seufzte und streckte sich. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass seine Schicht in einer Dreiviertelstunde endete. Zeit sich, um das Abendessen Gedanken zu machen. Irgendwas mit Fleisch wäre super, aber es war Ende des Monats. Vielleicht doch besser etwas Vegetarisches... oder was mit Fisch? Was war denn nochmal im Angebot diese Woche. Lustlos blätterte er durch das aktuelle Prospekt, welches neben ihm auf der Ladentheke lag. Paprika, Tomaten, Makrelen ... Daraus ließ sich schon irgendwas machen. Er nutzte die Ruhe vor dem Sturm und packte einige Lebensmittel für sich selbst ein. Spätestens eine Viertelstunde vor Ladenschluss würde eine Horde gehetzter Büroarbeiter den kleinen Markt stürmen und einen Haufen abgepacktes Fertigessen und Bierdosen auf die Theke knallen. Der Mini-Supermarkt hatte in letzter Zeit viel Konkurrenz bekommen. Die meisten Läden hatten mittlerweile rund um die Uhr geöffnet und sprachen damit einen weitaus größeren Kundenstamm an. Aber er mochte den vollgestopften Markt, der neben dem üblichen Standardangebot noch selbstgemachte Bentos verkaufte und sich so sein Überleben sicherte. Die Besitzer waren ein älteres Ehepaar. Die Frau hatte drei, mittlerweile erwachsene Kinder, die nur selten zu Besuch kamen. Ihre Leidenschaft, andere Menschen zu umsorgen musste sie also anderweitig ausleben und so kam es zu dem reichlichen Angebot an frischen Lunchboxen. Der Braunhaarige schmunzelte. Die ältere Dame scherte sich nicht viel um den Ablauf im Laden, dafür war ihr Mann zuständig. Aber ab und zu schaute sie vorbei und dann kam er immer in den Genuss von frischer Hausmannskost. Heute jedoch waren nur entnervte Kunden aufgetaucht. Wer könnte es ihnen auch verübeln. Es war Hochsommer und schwülheiße Luft, kombiniert mit Temperaturen über 38 °C strapazierten selbst die ausgeglichensten Persönlichkeiten. Zwar kämpfte die Klimaanlage tapfer gegen die Hitze an, musste sich jedoch gegen das Mittagshoch geschlagen geben. Jetzt gegen Abend entspannte sich die Lage etwas, im T-Shirt war es hinter der Theke gut auszuhalten. Die Ladenklingel läutete. Er seufzte und schlenderte zurück an die Kasse. Der Ansturm hatte begonnen.

Eine halbe Stunde später war es geschafft. Alle gereizten Krawattenträger waren mit Abendessen und alle pöbelnden Bauarbeiter mit Feierabendbier ausgestattet. Zeit auch für ihn die Segel zu streichen und sich nach Hause zu begeben. Er drehte den Schlüssel im Schloss der Ladenverriegelung um, machte auf dem Absatz kehrt und blieb verdutzt stehen. An der Straßenlaterne gegenüber lehnte eine Gestalt mit breiten Schultern und in alle Richtungen abstehenden Haaren. Er grinste. "Machst du dir etwa Sorgen, wenn ich im Dunklen allein nach Hause gehe Iwa-Chaaaan? Wie süß von dir!" Ein genervtes Brummen kam von der Person, die sich in dem Moment von der Laterne abstieß und mit vor der Brust verschränkten Armen auf ihn wartete. "Ich habe mehr Angst um mein Abendessen. Wer würde einem Gorilla wie dir schon was antun?" Der Größere blies die Wangen auf. "Sei nicht so gemein. Ich habe extra Fisch für dich gekauft." "Als ob, der war doch bestimmt im Angebot." "Und wenn schon..." Seite an Seite schlenderten sie die Straße entlang. Nach einer Weile des Schweigens begann der Kleinere ein weniger provokantes Gespräch: "Wie war deine Schicht?" "Ganz normal, keine Besonderheiten", brummte der Braunhaarige, "und dein Seminar?" Der Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern. "Ganz ok." Er begann von dem heutigen Thema zu berichten und was er besonders interessant daran fand. Iwaizumi Hajime und er, Oikawa Tooru, waren Freunde seit ihrer frühen Kindheit. Nach dem Abschluss der Oberschule hatten sich beide für ein Studium entschieden, jedoch in unterschiedlichen Fachbereichen. Während er ein Sportstudium begonnen hatte und immer noch eine Karriere als Profi-Volleyballer anstrebte, was nebenbei erwähnt gar nicht so abwegig war, widmete sich Iwaizumi dem Profisport in einer anderen Art. Er studierte Medizin und wollte sich auf Sportmedizin spezialisieren. Zurzeit befanden sie sich in ihrem dritten Semester. Oikawa seufzte. Er konnte mit den ganzen Fachbegriffen nur mäßig viel anfangen. Zwar waren Anatomie und Physiologie auch in seinem Studiengang Themen, die gerade jetzt am Anfang viel Platz einnahmen, aber der Schwarzhaarige übertrieb es mal wieder. Was um alles in der Welt sollte Fumarase sein? Keine Ahnung. So langsam reichte es ihm mit dem Fachgesimpel. "Iwaaaaa-Chan," quengelte es los, "ich versteh den ganzen Mist doch sowieso nicht. Erzähl mir lieber vom Training." Der Kleinere warf ihm einen vernichtenden Blick zu. "Dann frag halt nicht Shittykawa." Er brummte unzufrieden vor sich hin, ließ sich dann jedoch zu einer Aussage hinreißen. "Das Training war gut. Wenn es so weiter läuft bin ich ganz guter Hoffnung was das nächste Turnier angeht." Der Braunhaarige fing an zu strahlen. "Sehr schön und das obwohl ich nicht dabei war heute", flötete er. Iwaizumi grunzte belustigt. "Ja stellt dir das mal vor, es gibt eine Welt die sich nicht nur um Oikawa Tooru dreht." Der Größere zog eine Schnute und fuchtelte drohend mit den Händen, was den anderen nicht wirklich zu beeindrucken schien. "Oi, pass auf das Essen auf."

Einige Straßenecken später gelangten sie an einen älteren Wohnkomplex. Das Gebäude hätte zwar mal dringend einen Anstrich vertragen, aber der Zustand der Wohnungen war in Ordnung und dank des Alters auch für Studenten bezahlbar. Dennoch war Tokio teuer, zu teuer, um sich alleine eine Wohnung leisten zu können. Und so hatten die beiden Freunde von Anfang an beschlossen gemeinsam auf die Suche nach einer Unterkunft zu gehen. Das Ergebnis war eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung mit winziger Küche und einem Bad, das sich eher Nasszelle hätte schimpfen sollen. Dennoch waren sie zufrieden, zumindest hoffte Oikawa sehr, dass es Iwaizumi auch so ging. Der Stachelkopf ließ sich nur äußerst selten zu so etwas wie lobenden Worten herab, vor allem gegenüber ihm. Aber begründet auf seiner langjährigen Erfahrung im Umgang mit dem Außenangreifer meinte er zu wissen, dass auch dieser mit der momentanen Lage sehr gut leben konnte. Mit einem erschöpften Seufzen ließ dieser gerade seine Sporttasche auf den Boden fallen und entledigte sich seiner Schuhe. "Ich gehe zuerst duschen." Der Braunhaarige legte irritiert den Kopf schief. "Warst du nicht in der Sporthalle?" "Die Duschen wurden gerade geputzt, so lange wollte ich nicht warten," brummte er und zog sich beim Reden das verschwitze Shirt über den Kopf. In einer ruckartigen Bewegung drehte Oikawa erst den Kopf und dann auch seinen restlichen Körper Richtung Küche und stapfte, den Blick starr auf die Tür des Raumes geheftet los. "Na dann, aber lass dir nicht zu viel Zeit. Sonst denke ich noch du machst unanständige Sachen." Den letzten Satz flötete er mit einem provozierenden Unterton. "Klappe Shittykawa!" Die Tür des Bades knallte lautstark zu und wenige Zeit später erklang das Prasseln des Wassers. Der Braunhaarige schluckte schwer und fing an die Einkäufe zu verstauen. Das war knapp. Man sollte meinen es würde ihm nichts ausmachen, seinen besten Freund halb nackt zu sehen. Immerhin sind sie als kleine Stöpsel splitterfasernackt durch den Rasensprenger gehüpft. Doch irgendwann hatte die Gleichgültigkeit gegenüber dem Körper des anderen einem anderen Gefühl Platz gemacht. Am Anfang war es eher eine diffuse Faszination. Zu Beginn der Oberschule stellte Oikawa fest, dass sich sein eigener Körper anders entwickelte als der des Dunkelhaarigen. Zum einen war er ein Stück größer als dieser, aber auch die Muskelstruktur veränderte sich. Beide waren schon immer gut trainiert und hatten eine ausgeprägte Muskulatur, jedoch wuchsen seine Muskeln darüber hinaus in die Länge, wohingegen die seines Freundes deutlich an Masse zunahmen. Der Braunhaarige fand die Tatsache faszinierend, dass sich zwei Körper bei annähernd gleicher körperlicher Aktivität so unterschiedlich entwickeln konnten. Seit diesem Zeitpunkt suchten seine Blicke immer wieder die Statue des anderen. Die Faszination wich langsam Neugierde. Wie würde sich dieser Körper wohl anfühlen? Heimlich stahl er immer wieder kleine Berührungen. Ein Streifen des Oberarms da, eine als Übermut verkleidete Umarmung hier ... Und was sollte er sagen? Es fühlte sich verdammt gut an! Zu Beginn reichten diese kurzen Momente hier und da, mit der Zeit merkte er jedoch, dass er mehr wollte. Also steigerte er die Frequenz des Körperkontakts. Bis es Iwa dann zu viel wurde. Er wies ihn immer wieder harsch zurecht und auch wenn das nichts Neues war, merkte der Zuspieler doch, dass er seinem besten Freund zunehmend über das normale Maß hinaus auf die Nerven ging. Er distanzierte sich körperlich und schon nach kurzem hatte er richtige Entzugserscheinungen. Verwirrt über diese Tatsache hatte er sich an einem trainings- und schulfreien Tag in seinem Zimmer verbarrikadiert und über diesen Zustand nachgedacht. Schon vor dem Mittagessen war er zu dem Schluss gekommen, dass diese Gefühle wohl nicht die für einen normalen Schulfreund waren. Und nach dem Nachmittagstee stand für ihn fest, dass er sich in Iwaizumi verliebt hatte. Schöne Scheiße. Mit Beziehungen war er noch nie gut. Sicher, er hatte Freundinnen, aber halt immer nur für kurze Zeit. Er war einfach nicht der Typ, um sich lange zu Binden. Außerdem nahm Volleyball so viel Platz in seinem Leben ein, dass sich jede bisherige Partnerin früher oder später vernachlässigt gefühlt hatte und Abstriche bei der Leidenschaft seines Lebens zu machen hatte er einfach nicht eingesehen. Allerdings teilte Iwa-Chan ja diese Leidenschaft ... Er hatte damals kräftig den Kopf geschüttelt bei diesem Anflug einer Idee und einen Entschluss gefasst. Diese Gefühlsregung würde sein kleines Geheimnis bleiben. Und so hatte er sein Verhalten gegenüber dem Dunkelhaarigen auf das Level beste Freunde zurückgesetzt. Nach einer Weile gelang es ihm sogar, sich gegenüber Iwa normal zu verhalten, wenn dieser nur in Shorts bekleidet vor ihm stand, was aufgrund des gemeinsamen Umziehens vor und nach dem Training sehr häufig vorkam. Ihn vollkommen nackt zu sehen brachte ihn nach wie vor aus der Fassung, aber diese Situationen konnte er meistens vermeiden. Doch so ein Überraschungsangriff wie gerade setzte ihm zu. Oikawa seufzte. Er klatschte sich seine Handflächen fest gegen die ohnehin schon geröteten Wangen und begann mit der Vorbereitung für das Abendessen. 'Reiß dich zusammen, Tooru. ' Es würde schon gehen... irgendwie. 

Can I stay with you? (IwaOi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt