Mit Felix und dem kleinen Niklas warte ich an der Pforte der JVA. Niklas habe ich auf dem Bauch in der Tragetasche. Er schläft friedlich. Er ist zwei Monate alt.
Von überall her hört man Schritte. Ich mache mir Gedanken, was Karl für eine Reaktion auf mich haben wird. Im Gang rechts von uns wird eine Gittertür aufgeschlossen und eine Wärterin kommt mir entgegen.
Sie schüttelt mir die Hand: „Guten Tag, Frau Hövekamp!"
„Guten Tag!", erwidere ich. Die Wärterin begrüßt auch Felix. Neugierig sieht sie nach Niklas. „Er schläft grad.", sage ich leise.
Sie nickt. „Möchten Sie Herr Steiner sehen?"
„Ja, bitte. Wie geht es ihm?"
„Ich glaube, er vermisst Sie sehr. Er weint fast jeden Tag und sucht deswegen oft unseren Psychologen auf."
Ich gehe mit Felix' Rollstuhl an der Hand mit der Wärterin denselben Block zurück, aus dem sie gekommen ist.
„Oh.", sage ich. „Tut mir leid, aber nachdem was im August war, kann ich mir das nur schwer vorstellen."
„Er hat wohl nachgedacht und ich denke, Sie sind ihm schließlich doch sehr ans Herz gewachsen."
„Das freut mich zu hören."
Die Wärterin bleibt vor einer Tür mit der Aufschrift Besucherraum stehen. „Hier."
Sie öffnet. Karl sitzt an einem Tisch und hat den Blick aus dem Fenster gerichtet, ihm gegenüber sitzt ein Justizbeamter. Dieser steht auf, grüßt mich und tritt beiseite. Ich darf mit Felix an meiner Seite seinen Platz einnehmen.
„Hallo Karl."
Jetzt schaut er mich an. Seine Augen werden vor Erstaunen groß. „Mama!", sagt er nur. Ich muss grinsen. Felix ist genervt. Ich reagiere nicht darauf. „Na?"
„Danke, dass ihr gekommen seid. Also... jetzt geht's mir gut."
„Ich dachte, du kannst mich nicht ausstehen. Das ist eigentlich das, was ich nicht können sollte. Aber ich kann es. Sonst wär ich nicht hergekommen. Wie ist jetzt so dein Tagesablauf?"
„Ich muss früh aufstehen, hab einmal am Tag Freigang, lese viel und es kommt regelmäßig ein Pflegedienst, um mich zu wickeln."
„Na wunderbar! Du trägst sie noch?"
„Ja. Die Windeln sind das, was mich an euch erinnert. Kannst du etwas tun, dass ich schnell hier rauskomm'? Ich zieh dann wieder bei euch ein."
„Ich fürchte, ich kann wenig tun. Wenn du wieder zu uns kommst, wird's eng. Das ist Niklas. Zwei Monate. Ich würde vorschlagen, sitz deine Strafe ab und bis du raus bist, hab ich dir 'ne Wohnung besorgt und du kannst gerne mal auf einen Kaffe vorbeikommen oder wir drei gehen ins Kino, was auch immer."
„Frau Hövekamp, die Besuchszeit ist zu Ende."
„Na gut.", sagt Karl.
„Du weißt, wo ich bin, also komm vorbei, wenn du Hilfe brauchst." Ich stehe auf und lächele Karl an.
„Du bist ein Wunder, so wie ein Wunder
Ein wunder Punkt in meinem Leben
Du bist ein Wunder, so wie ein Wunder
Ein wunder Punkt auf meinem Herz
Ich hab' versucht, dich zu vergessen
Doch ich schaff' es einfach nicht
Weil man ein Wunder, das man erlebt hat
Nie mehr vergisst."„Warum Wolle Petry?", frage ich Karl.
„Weil du mir vergibst, Laura."
An der Tür stehen Karls Eltern. Sie schauen mir misstrauisch nach. Dennoch verlasse ich mit gutem Gefühl die JVA.
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Keine Nachricht bis XY
Mystery / ThrillerAls der Kölner Neonazi Karl einen jüdischen Friseursalon überfällt, geschieht ihm unvorhergesehenes: Die gerade anwesende Kundin Laura überwältigt ihn und verspricht ihm, nicht die Polizei zu rufen, wenn er mit ihr geht. Karl wird gegen seinen Wille...