Kapitel 8

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Meine Mutter beginnt zu Husten, wahrscheinlich hat sie sich verschluckt. Unsere Großmutter väterlicherseits wohnt mit ihrem Mann 10 Minuten von uns entfernt. Aber die meint Thea nicht. Sie meint unsere Oma mütterlicherseits, 5 Stunden von hier begraben. Sie wollte dort unter die Erde, wo sie geboren wurde und diesen letzten Wunsch konnten wir nicht unerfüllt lassen. Martha Evelyn Smith wurde am 28. September des letzten Jahres begraben, 15 Jahre nach dem Tod ihre Mannes.

Mein Vater räuspert sich und bricht das eiserne Schweigen.

"Thea-"

"Nichts Thea! Weihnachten ist doch ein Familienfest. Wir haben ihr Grab seit der Beerdigung nicht mehr besucht. Bestimmt ist es total verwildert!", ruft meine Schwester aufgebracht. Recht hat sie. Thea hat Martha geliebt. Das haben wir alle aber Thea ist nach ihrem Tod fast stark depressiv geworden. Ich meine, wie oft kommt das bei 11-Jährigen vor? Martha ist einem Herzinfarkt zum Opfer gefallen. Nachdem wir sie anderthalb Tage nicht erreichen konnten, sind Mum, Thea und ich zu ihr gefahren. Thea war die erste, die Großmutters Leiche im Esszimmer entdeckte. Das war der einzige Moment in meinem Leben, in dem ich froh war nur schwarz vor den Augen zu haben. Ihr Haus haben wir noch immer nicht vekauft, ihre Wohnung in ihrem Heimatort auch nicht.

Meine Mutter reißt mich mit einem Flüstern an Thea gerichtet aus den Gedanken. Womöglich legt sie jetzt ihre Hand auf die ihrer Tochter.

"Aber Thea. Du weißt, dass das nicht funktioniert. Jasons Geschenk-"

Wieder unterbricht meine Schwester. Diesmal weil ihr entgültig der Kragen platzt. Mir allerdings irgendwie auch. Sie springt vom Tisch auf, dass der Stuhl umkippt und schreit unsere Eltern an.

"Jason hier, Jason da! Ich kann es nicht mehr hören! Schaut ja, dass ihr dem heiligen Jason all seine Wünsche erfüllen könnt! Hauptsache ihm geht es wunderbar. Wisst ihr was? Dann fahr' ich halt alleine!"

Sie stapft die Treppen nach oben und ich kann sie zu gut verstehen.

"Was bekomme ich denn so unglaublich wichtiges, dass man es beim Abendessen über den Tisch flüstern kann? 'N Gummibärchen?"

Ich lache leise, bin aber ganz und gar nicht belustigt.Ich weiß nicht mal genau warum, aber ich bin unglaublich genervt.

"Ich bin zwar blind, aber nicht taub, Mum", sage ich beherrscht. Dann stehe ich auf und folge meiner Schwester, die gerade mit voller Wucht ihre Zimmertür zupfeffert. Ich kann nicht so schön ausrasten wie sie, dafür bleibe ich ruhig und das kann für die anderen noch viel härter sein als angeschrien zu werden.

"Bleib da, Jason", ermahnt mich mein Vater. "Jason!"

Ich drehe mich zu ihm um, damit er mir ins Gesicht sehen kann.

"Nein Papa. Nicht Jason. Thea."

Meine SonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt