✖Kapitel 12✖

101 5 2
                                    

Bevor ich zu den Canes gehen konnte, musste ich noch das Nachsitzen bei Mr. Jays über mich ergehen lassen. Jubel. Er erwartete mich bereits mit hämischen Grinsen.

«Setzen, Donovan. Ich möchte von Ihnen eine einseitige Rezension über 'Die Maske des roten Todes' von Edgar Allen Poe haben. Da ich nicht annehme, dass sie auch nur eine einzige Seite des Buches gelesen haben, wünsche ich Ihnen viel Spaß dabei. Sie haben 45 Minuten Zeit.»

Ich schüttelte den Kopf und sah ihn an.

«Ich habe das Buch sehr wohl gelesen. Es ist der Hammer, ich hätte nicht gedacht, dass Sie uns was Gutes lesen lassen würden. Nicht jeder Jugendliche überlässt das Lesen den Strebern. Ich hätte da mal eine Frage an Sie: wieso hassen Sie mich so, Mr. Jays?»

Er richtete seine Brille und blickte seelenruhig von seiner New York Times auf. Die Hände verschränkt, mit den Augen mich fokusiert.

«Ich kenne Typen wie Sie, Donovan. Selbstverliebte, arrogante Arschlöcher, die sich einen Heidenspaß daraus machen, Außenseiter fertigzumachen. Diese armen Schlucker haben dann meist noch ihr ganzes Leben daran zu knabbern. Leute Ihrer Art halten sich selbst für so unheimlich toll, dass man einfach nur kotzen möchte.»

Wow, kam meine Art echt so rüber? Ich war immerhin alles andere als selbstverliebt, mein Selbstbewusstsein war zwar einigermaßen in Takt, jedoch würde ich mich niemals als selbstverliebt einschätzen. Das tat weh.

«Ich denke, Sie bringen gerade mich und die Footballclique durcheinander. Ich hab noch nie in meinem Leben jemanden gemobbt, also werfen Sie mir das nie wieder vor! Sie kennen mich nicht, wie wollen Sie dann gerecht über mich urteilen können? Ich gebe ja zu, dass ich nicht gerade den respektvollsten Umgangston gegenüber Lehrern, aber das liegt schlicht und einfach daran, dass ich es absolut nicht leiden kann, wenn sich jemand für etwas Besseres hält und das den Personen in seinem Umfeld auch deutlich zu spüren gibt. Sowas lasse ich mir nun mal gefallen. Ich will nicht arrogant wirken, es ist nur meine Meinung.»

Mr. Jays blickte mir einige Sekunden in die Augen, widmete sich jedoch sofort wieder seinem Stapel von Arbeiten und würdigte mich keines Blickes mehr. «40 Minuten noch, Mr. Donovan.»

Ich schüttelte meinen Kopf und widmete mich meiner Abhandlung. Bei manchen Menschen war einfach jede Müh' vergeudet.

~

Wortlos legte ich mein Blatt auf Jays' Pult und verließ den Raum. Ich konnte zwar nicht gerade behaupten, dass man mit meiner Rezension an einem Literaturwettbewerb teilnehmen konnte, doch ich hatte mir immerhin Mühe gegeben. Zumindest konnte ich jetzt zu Ashton nach Hause gehen.

~

Ashton öffnete die Haustür und bedeutete mir mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck, hereinzukommen. Er führte mich ins Wohnzimmer, wo auch seine Mutter wartete.

«Hi, Rita, wie geht's dir?», fragte ich unsicher. Sie saß starr da, den Blick stur auf die Wand geheftet, und machte weder die Anstalt, mir zu antworten, noch, sich in irgendeiner Form zu bewegen. Ashton seufzte und starrte seine Hände an, die er unentwegt nervös aneinander rieb. Als er mich wieder ansah, lag in seinen Augen Trauer. Ich merkte, wie sich mein Körper verkrampfte.

Kennst du dieses Gefühl, wenn du weißt, dass du gleich etwas Schlimmes erfahren wirst? Es fühlt sich an, als würde der Körper unsichtbare Schutzmauer um deine Seele auffahren, um sie vor dem größten Schaden zu beschützen.

«Kutcher hatte einen Autounfall», platzte Ashton heraus. Das Schlucken fiel mir immer schwerer. «Er war mit Freunden unterwegs zu einer Party. Irgendwie haben sie die Ampel ignoriert oder übersehen oder was weiß ich und sind einfach bei Rot gefahren. Ein LKW hat sie seitlich gerammt. Kutcher hat am meisten abbekommen. Er hat mehrere Liter Blut verloren und die Feuerwehr hat ewig gebraucht, ihn aus dem Wrack zu kriegen. Sein Gehirn war wegen des Blutmangels einige Minuten relativ unterversorgt mit Sauerstoff. Er ist ins Koma gefallen. Die Ärzte wissen nicht, ob er jemals wieder aufwacht. Sie bringen ihn nach Amerika, sobald er stabil genug für die Reise ist.» Seine Stimme klang gepresst, als versuchte er, krampfhaft die Tränen zurückzuhalten. Ich dachte eigentlich, das würde mir auch ganz gut gelingen, bis ich kalte Tropfen auf meinem Handgelenk fühlte. Ich brachte kein Wort heraus.

«Taylor?», fragte Ashton unsicher, als ich mich wortlos erhob. Ich nahm keine Notiz von ihm, sondern verließ geradezu fluchtartig das Haus und rannte. Ich rannte und rannte und rannte, bis ich meinen geliebten Wald erreichte, an den ich so viele Erinnerungen hatte. Auch dort hörte ich einfach nicht auf zu laufen.

Was ich dabei gefühlt habe? Ich weiß es nicht. Ich wollte einfach nur weg. Vielleicht hab ich gedacht, dass, wenn ich nur weit genug laufe, ich meine Probleme irgendwann abhängen konnte. Es war nur leider nicht so. Und diese mulmige Gefühl ließ sich ebenfalls nicht abschütteln.

FuriousWo Geschichten leben. Entdecke jetzt