So stieg ich also mit einem Mädchen, das ich kaum kannte, ein mein Auto und fuhr mit ihr ans Meer, obwohl wir vielleicht gerade mal 11°C hatten.
Tolle Idee, River. Was willst du dort machen, baden etwa?
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Die Fahrt zog sich heute ungewöhnlich lang, obwohl es nur fünf Meilen waren, kam es mir vor wie 50. Peinliches Schweigen. Jedenfalls für mich. River hüpfte auf ihrem Sitz herum wie ein kleines Kind und summte fröhlich ein altes Lied, das gerade aus dem Radio dudelte.
Als ich auf der Suche nach einem Parkplatz scheinbar endlos in der Gegend herumkurvte, hielt es River nicht mehr aus, riss die Tür auf und sprang hinaus. Geschockt trat ich auf die Bremse und wurde in den Gurt geschleudert.
»Hast du sie noch alle?«, rief ich fassungslos, während sich River kichernd ihre Haare richtete.
»Jetzt sei doch nicht so spießig, ist ja nichts passiert!«
Wenn du jetzt gelähmt wärst, würdest du mich nicht mehr so spießig finden!
Mit finsterem Blick stellte ich schließlich mein Auto ab und folgte ihr. Sie war schon vorausgerannt, doch ich machte mir gar nicht erst die Mühe, nach zu laufen. River hüpfte lachend durch das hohe Gras bis sie an einer Düne angelangt war, die sie ebenfalls kichernd überquerte. Ich ging gemächlich die Düne hoch und was ich dann erblickte, ließ mich für einige Momente verharren.
River tanzte. Sie tanzte so schwerelos durch den Sand, dass es aussah, als würde sie schweben. Ihre Haare wehten in der frischen Brise, umspielten sanft ihr entspanntes, glückliches Gesicht. Mit geschlossenen Augen führte sie Luftsprünge, Pirouetten und andere Sachen, deren Namen wahrscheinlich viel zu französische für meine mangelnde Begabung zum Aussprechen von Fremdsprachen waren.
Ballet.
Ich dachte immer, Ballet wäre etwas für kleine Mädchen, deren übergewichtige Mütter sie bis zum Erbrechen in die Tanzschule schickten, in der Hoffnung, dass ihre Töchter ihren eigenen Kindheitstraum verwirklichten und zu Ballerinen wurden.
Doch ich lag falsch. Kein anderer Tanz konnte in meinen Augen eine solche Anmut und Schönheit ausdrücken, wie es der von River tat. Und ich kannte mich wirklich aus mit Tänzen, denn meine Mutter besaß eine Tanzschule. Daher auch meine Vorurteile mit den übergewichtigen Müttern.
Glaubst du, River hat eine übergewichtige Mutter, die ihr das Tanzen in den Kopf gepflanzt hat? Ich weiß leider nichts mehr von ihren Eltern, aber vorstellen kann ich es mir nicht... Vielleicht finden wir es noch raus, wenn du mir hilfst!
Keine Ahnung, wie lange ich hier stand und River zusah, doch es muss eine beträchtliche Weile gewesen sein. Ich war wie in Trance, nichts hätte meinen Blick von ihren fließenden Bewegungen abbringen können, nicht einmal eine Atombombe, die neben mir einschlagen würde. Gut, das vielleicht schon, aber sonst nichts. Nie zuvor hatte mich etwas so fasziniert.
Man konnte mich leicht faszinieren. Mit den gewöhnlichsten Dingen, die für andere selbstverständlich waren.
Es faszinierte mich, dass ich mit Kutcher reden konnte, obwohl er tausende Kilometer und noch dazu einen ganzen Ocean von mir entfernte.
Es faszinierte mich, wie unser Gehirn funktionierte.
Es faszinierte mich, wie viele Sachen in der Evolution geschehen waren und dass wir, die Menschen, eigentlich nur ein Wimpernschlag der ganzen Weltgeschichte sind.
Es fasziniert mich, wie die kleinsten Handlungen das Schicksal der gesamten Erde beeinflussen können.
Das war vielleicht 0,1% von den Dingen, die mich faszinierten. Und allen voran stand das Mädchen, das dort unten im Sand tanzte.
Wenn ich so daran zurückdenke, bereue ich es etwas, dass ich nie den Bedrängen meiner Mutter nachgegeben und zu Tanzen begonnen habe. Aber jetzt ist es nun mal zu spät. Kannst du tanzen? Dann könntest du mir ein paar Schritte zeigen, wenn wir diese Geschichte durchgekaut haben.
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Furious
Gizem / GerilimIhr Name war River. Ja, du hast schon richtig verstanden. River. Wie der Fluss. Und das war sie auch. Ein reißender Fluss aus den unterschiedlichsten Gefühlen und Emotionen. Einmal konnte sie der fröhlichste und unbeschwerteste Mensch der Welt sein...