Die Kinder teilten sich auf, um den Schutzraum zu erkunden.
Emma schlich durch einen langen, dunklen Gang, an mehreren Türen vorbei. Ganz am Ende des Ganges gab es einen Raum, in dem ein kleines Licht flackerte.
Sie wusste nicht, was sie dort erwarten würde. Im besten Fall saß dort William Minerva persönlich, um sie im Empfang zu nehmen, im schlechtesten Fall wartete ein ungebetener Gast dort.
Emma verstärkte den Griff um die Laterne, sie atmete tief ein, dann trat sie in den beleuchteten Raum. Ein schwarzhaariger Mann saß am Ende eines langen Tisches, seine mit Lederstiefel bekleideten Füße legte er lässig auf dem Tisch ab. Eine ganze Reihe Bildschirme strahlten ihn von hinten an.
"Willkommen im Schutzraum B-06-32", sprach er mit tiefer Stimme, danach griff er sich einen Keks und zeigte damit auf Emma und die anderen Kinder, die sich mittlerweile hinter ihr versammelt hatten.
"Bist du William Minerva?", fragte Emma vorsichtig und trat näher.
Der Mann lehnte sich nach vorne und sah sie ernst an.
"Nope", antwortete er und steckte sich den Keks in den Mund.
Emma blickte zurück, all die Kinder schienen sich dieselben Gedanken zu teilen.
Ziemlich merkwürdiger Typ."Zu blöd für euch, dass ich nicht Minerva bin."
Der Mann fing an, mit einer kaputten Tasse herumzuspielen. Nun trat Ray nach vorne.
"Dann ruf ihn. Wir sind den ganzen Weg hierher gelaufen, um Minerva zu treffen", forderte der Junge, dabei erntete er einen zornigen Blick.
"Er ist nicht hier", antwortete der Mann nun lauter.
"Was für ein Jammer, kein Minerva nirgendwo."
Einige Kinder schienen beunruhigt, enttäuscht, selbst Don stand die Sorge im Gesicht geschrieben.
"Also war Minerva wirklich ein elendiger Lügner?", rief Yvette verzweifelt, Tränen rollten ihr über die Wangen. Ray berührte sie tröstend an der Schulter.
Wieder trat der schwarzhaarige Junge einem Schritt voran, eindringlich sah der dem Erwachsenen ins Gesicht.
"Aber du scheinst ihn zu kennen", meinte Ray, er spannte seinen Körper an.
"Wo ist Minerva jetzt?"
Der Mann lehnte sich nach hinten, er begann, mit dem Stuhl zu kippeln. Dazu erklang schallendes Gelächter.
"Absolut keine Ahnung", gab er als Antwort.Ray verlor so langsam die Nerven, aber nun trat Emma einen Schritt vor, vielleicht musste sie Ray aufhalten.
"Wer bist du und was machst du hier?", knurrte der Junge, seine Hand wanderte indessen zum Bogen, den er sich über seine Schulter geklemmt hatte.
"Wer ich bin?", wiederholte der Alte, und ließ sich mit einem Schwung nach vorne fallen. Er sah Ray direkt in die Augen, ein verschmitztes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
"Euer Vorgänger."
Ein begeistertes Raunen ging durch die Reihen, nur Emma und Ray waren noch angespannt.
"Auch, wenn ich nicht aus Grace Field stamme. Ich entkam mit meinen Kameraden aus der Farm 'Glory Bell'. Vor dreizehn Jahren, Dank diesen Stift hier."
Er reckte einen Stift in die Höhe, es war haargenau derselbe, den die Kinder auch hatten.
"Wow!", rief Jemima begeistert.
"Er ist ja genauso wie wir!"
"Ja, ich bin wie ihr", sprach der Alte, nun sprang er mit einem Satz auf den Tisch und hockte sich an der Kante hin.
"Ich bin auch hier angekommen und habe Minerva gesucht, doch er war nirgens aufzufinden."
Die kleineren Kinder ließen sich wieder von den Emotionen mitreißen, egal wie sehr Ray sich bemühte, sie zu beruhigen.
"Trotzdem bin ich dem Kerl dankbar für den Bunker, ich meine, hier gibt's genug Essen, Wasser, und Strom. Ein Hoch auf Herrn Minerva!"
Auch Emma ließ sich von dem Jubel mitreißen, sie trat näher und sah mit einem begeisterten Lächeln zu ihm hinauf.
"Und wo ist der Rest deiner Gruppe?", fragte sie."Tot. Allesamt. Ich bin der letzte Überlebende."
Emmas unschuldiges Gesicht spiegelte puren Schock wieder. Der Alte hob beschwichtigend die Hände und fing an zu brüllen:
"Hey hey, das war vor einer langen Zeit! Jetzt jedenfalls genieße ich mein Leben hier, ich habe aufgegeben, nach Minerva zu suchen."
Sie blickte ihn noch immer enttäuscht an und trat vom Tisch zurück, derweil hatte sich der Alte im Schneidersitz hingesetzt.
"Aber was mich wirklich interessiert", murmelte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Wie habt ihr es geschafft, so lange zu überleben, ohne dass auch nur einer von euch stirbt? Grace Field Kinder überleben gewöhnlich nicht lange."
"Hä?", gab Don von sich.
"Was meinst du?"
Der Alte lachte los.
"Vor fünf Jahren sind ein paar Kinder in die Freiheit geflüchtet, ein paar waren aus Grace Field. Sie sind allesamt gestorben."Emma warf Ray einen ernsten Blick zu. Solche Fluchtversuche schienen keine Seltenheit zu sein, vielleicht gab es da draußen noch viele weitere Menschen.
"Ihr werdet ebenfalls so enden, früher oder später", meinte der Alte amüsiert.
"Ihr seid schwach. Kennt gerade einmal die Grundlagen, ihr seid nicht so weit. Genau so waren meine Kameraden. Um zu überleben, müsst ihr all das, was euch herunterzieht, loswerden. Kameraden, Hoffnungen, Gefühle."
Der Mann lehnte sich nach vorne und blickte in Emmas klare, smaragdgrüne Augen.
"Das zieht euch alles runter und führt euch in den sicheren Tod."
Erbost schlug Emma beide Hände auf die Tischplatte, erschrocken wich Ray zurück.
"Du liegst falsch!", rief das Mädchen und funkelte ihn an.
Der Alte war ebenso zurückgewichen und kratzte sich am Rücken.
Mit einer flinken Bewegung schlang er seinen Arm um ihren Hals und zog einen Revolver hinter seinem Rücken hervor, presste den Lauf der Waffe an ihre Schläfe.
"Das Spiel ist aus", knurrte er und legte seinen Finger an den Abzug an.
"Gebt mir den Stift und verschwindet von hier."
Ray war wie festgewurzelt, sie konnten es sich nicht leisten, den Stift zu verlieren. Was war mit ihren Verfolgern, und wie sollten sie da draußen überleben?"Worauf wartet ihr?", keifte der Alte, Emma kniff die Augen zusammen.
"Gebt mir den verdammten Stift, oder ich puste jedem hier den Kopf weg!"
Er sog die Luft scharf ein und krümmte sich zusammen. Emma hatte mit ihrem Arm leicht ausgeholt und dem schwarzhaarigen Mann an seiner empfindlichsten Stelle Schmerzen zugefügt.
"Wir bleiben!", forderte Emma, die nun etwas Abstand genommen hatte.
"Hier gibt es doch genug Platz für alle!"
"Du Idiot!", fuhr Ray sie an.
"Dir hätte sonst was passieren können, der hätte dich einfach erschossen!"
"Aber er hat es nicht", entgegnete sie angespannt.
"Er will niemanden umbringen."Ein Schuss schallte durch den Raum, der alle Anwesenden verstummen ließ.
DU LIEST GERADE
One by One •|• The Promised Neverland Fanfic
Fanfiction"In Lambda gab es eine Explosion!" Diese Nachricht breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Auch Isabella erfuhr davon, trotz dass sie in einer kleinen Zelle hockte. Die Kinder, die sie großgezogen hatte, waren dabei, die Welt zu verändern, alle zusamme...