Kapitel 1

1.1K 34 6
                                    

Krylas Sicht

Ich spüre den Wind in meinen Haaren und fühle mich frei. Mit kräftigen Flügelschlägen steige ich immer höher und höher in den Himmel auf und genieße jeden einzelnen Augenblick. Schon seit meiner Geburt besitze ich ein wunderschönes und kräftiges, weißes Paar Engelsflügel. Meine Eltern haben mir erklärt, dass ich diese von meinem Vater geerbt habe, der von einem Volk von besonderen, übernatürlichen Kriegern abstammt, die alle solche Flügel besitzen. Dieses Volk ist jedoch schon seit Jahrzehnten ausgestorben. Bei einem Unglück wurden sie alle auf tragischer Art und Weise ausgelöscht und nur mein Vater konnte damals als kleiner Junge von dem Unglücksort fliehen und ist seitdem der letzte Überlebende seiner Art, bis ich auf die Welt gekommen bin. Anders als ich hat mein Vater jedoch schwarze Rabenflügel, was mich schon immer gewundert hat, denn schließlich habe ich weiße Engelsflügel. Er hat mir erklärt, dass die Farbe und Form der Flügel mit dem Charakter eines jeden Kriegers zusammenhängt und deswegen auch jeder einzigartige Flügel hat.

Damals habe ich mir keine Fragen gestellt, was die einzelnen Flügel über den entsprechenden Charakter aussagen, aber je älter ich werde, desto mehr frage ich mich, warum ausgerechnet ich die weißen Engelsflügel bekommen habe und mein Vater schwarze Rabenflügel. Ihm stehen die Engelsflügel mehr zu als mir, denn er hat das beste und größte Herz, welches ich kenne, während ich immer wieder gegen die Regeln meiner Eltern verstoße und mich gegen sie auflehne. Bei meinem Ungehorsam stehen mir keine Engelsflügel zu.

Zusammen mit meinem Vater und meiner Mutter lebe ich nun schon seit 18 Jahren in einem kleinen Haus mitten in einem wunderschönen Wald, abgegrenzt von jeglicher Lebensform. Alles was wir zum Leben brauchen bauen wir selber an. Zusammen mit meiner Mutter habe ich über die Jahre es sogar geschafft ein Stromnetzwerk zu entwickeln, was ziemlich schwer ist, wenn man ohne eine gescheite Basis etwas Großes erschaffen soll.

Schon als kleines Kind konnte ich nicht verstehen, warum wir keinen Kontakt zu anderen Lebewesen haben durften und verstehe es bis heute immer noch nicht. Meine Mutter hat mir erklärt, dass wir unser Sein verstecken müssen, da sich die Menschen vor uns fürchten würden. Sie würden unsere Andersartigkeit nicht verstehen und würden versuchen uns zu kontrollieren. Immer wieder erzählt sie mir was mit mir passieren wird, wenn ich in die Fänge der Menschen geraten würde und ich hoffe, dass genau das niemals passieren wird.

Ein Leben in einem Labor könnte ich mir nicht vorstellen. Wenn an mir herumexperimentiert werden würde, könnte ich das vielleicht noch überleben, aber meine größte Angst ist es, dass mir jemand das Fliegen verbieten könnte. Fliegen ist mein Ein und Alles. Es gibt nichts Besseres auf der Welt. Woher meine Eltern jedoch wissen, was die Menschen mit uns machen würden, weiß ich nicht. Ich vermute, dass sie vor meiner Zeit schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht haben, doch ich weiß es nicht mit Sicherheit. Sobald ich meine Eltern nach ihrem Leben vor mir frage, schweifen sie immer aus und geben mir Antworten, die meine Fragen immer nur so dürftig wie nötig beantworten. Vor ein paar Jahren habe ich den Fehler begangen und habe meine Eltern so lange mit dem Thema bedrängt, bis sie die Geduld verloren haben und mir Sachen erzählt haben, die ich niemals vergessen werde.

Sie haben von Experimenten erzählt, die an ihnen durchgeführt wurden und wie sie danach immer wie Tiere in Käfige gesteckt wurden. Sie haben Tagelang kein Wasser und keine Nahrung bekommen und wurden unter brutalen Methoden trainiert. Damals habe ich davon Albträume bekommen und mir den Schmerz deutlich vorstellen können, doch mittlerweile verspüre ich nichts als Trauer bei dem Gedanken daran, was meinen Eltern anscheinend passiert ist. Egal wie oft ich seitdem versucht habe mit ihnen darüber zu reden, ich hatte nie Erfolg. Meine Eltern werden dann zu anderen Menschen, zu eiskalten Fremden und ich bekomme jedes Mal eine so große Angst vor ihnen, dass ich mich so schwach und hilflos fühle wie eine wehrlose, kleine Fliege, die von einer Spinne langsam und qualvoll umgebracht wird.

Avengers AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt