Kapitel 4

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Krylas Sicht

Ich renne und schaue nicht mehr zurück. Kampfgeschrei erklingt, Schüsse hallen durch den Wald und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Ich kann nicht mehr klar denken. Meine Gedanken kreisen sich um alles und um nichts, doch wie von selbst scheinen sich meine Beine in Richtung Osten zu bewegen. Bei jedem zerbrechenden Ast schaue ich mich panisch um, doch ich kann nie jemanden erkennen. Die Angreifer sind vermutlich bei meinen Eltern, die gerade um ihr Leben kämpfen. Ich fange an zu schluchzten bei der Erkenntnis, dass sie um ihr Leben kämpfen. Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Was mache ich hier? Meine Eltern kämpfen um ihr Leben und ich renne wie ein Feigling weg! Ich muss doch was tun.

Plötzlich erklingt eine so schmerzerfüllte und aus tiefste Seele verzweifelter und trauriger Schrei, dass ich den Schmerz beinahe selber spüre. Doch irgendetwas an diesem Schrei macht mir auch mehr als Angst. Er erinnert mich an meinen Vater. Dad! Was ist, wenn ihm etwas passiert ist? Ohne weiter darüber nachzudenken, renne ich den ganzen Weg wieder zurück und erreiche nach schier endlosen Minuten die Lichtung. Bevor mich jemand entdecken kann, gehe ich in Deckung und was ich dort sehe, lässt mein Herz in 1000 Stücke zerspringen. Tränen der Trauer und Wut sammeln sich in meinen Augen und ich muss mich zwingen an Ort und Stelle zu bleiben.

Mein Vater liegt blutüberströmt am Boden und zittert am ganzen Körper. Aus seinem Rücken läuft aus zwei großen Wunden unerbittlich Blut. Als ich neben ihm schaue, wird mir schlecht. Neben ihm liegen seine abgetrennten Flügel. In mir explodiert eine Welle von Wut. Wie konnten die es wagen meinem Vater die Flügel abzuschneiden?! Ausgerechnet die Flügel! Damit haben sie ihm seine Freiheit genommen, sein Recht aufs Fliegen, sein Leben. Die Flügel sind alles für mich und ich weiß, dass sie es auch für meinen Vater sind. Dieses Schicksal ist schlimmer als der Tod. Es sind Höllenqualen auf Erden. Nein, noch schlimmer. Fassungslosigkeit breitet sich in mir aus, vermischt mit Entsetzen und Trauer.

Dann erblicke ich meine Mutter, die nicht weit von meinem Vater verzweifelt gegen drei der Männer kämpft. Einer der sechs liegt Tod am Boden und die anderen zwei scheinen schwer verletzt zu sein. Bei dem Anblick des toten Mannes habe ich gedacht würde mich Trauer erfassen, doch ich spüre nichts als Gleichgültigkeit und Zorn. Ich denke nicht darüber nach, wie schlimm es ist, dass diese Person durch die Hand meiner Eltern gestorben ist. Nein, ich denke gar nicht mehr.

Meine Mutter währt gerade einen Schlag ab und verliert dadurch ihre Deckung. Voller Verzweiflung muss ich zusehen, wie im nächsten Moment einer der drei Männer zum Schlag ausholt und einen Dolch direkt in die Stelle unter den Rippen reinrammt, bei der man das Herz sofort erreicht und meine Mutter fängt augenblicklich an Blut zu spucken. Ich höre meinen Vater verzweifelt schreien. Der Mann, der meine Mutter erstochen hat, zieht den Dolch mit einem Ruck heraus, nur um meiner Mutter im nächsten Moment die Kehle durchzuschneiden. Ich erstarre, während der Schrei meines Vaters sich auf ewig in meiner Erinnerung einbrennt. Ich sehe meine Mutter zu Boden fallen, kann mich aber nicht bewegen. Die Welt scheint steht zu bleiben. Ich begreife nicht was gerade passiert. Mühselig rappelt sich mein Vater auf und stolpert zu seiner Frau. Er kniet sich neben sie und weint. Er weint. Ich habe meinen Vater noch nie weinen sehen. Mein eh schon zerbrochenes Herz wird mir erneut gebrochen und anschließend aus der Brust gerissen.

Wer kann nur so grausam sein, dass er einem Menschen so viel Leid antut? Im nächsten Moment wird mein Vater direkt vor meinen Augen erschossen. Der Hall brennt sich in meiner Erinnerung fest, während mein Vater langsam zur Seite kippt und schließlich reglos am Boden liegenbleibt. Mit einem Mal bricht meine ganze Welt über mir zusammen. Verzweifelt versuche ich meine Atmung zu kontrollieren und ruhig zu bleiben. Ich habe meinen Eltern versprochen zu fliehen und das muss ich jetzt auch tun. Ohne noch einmal zurückzublicken, renne ich los. Ich renne Richtung Osten. Immer schneller zwinge ich meine Beine zu laufen. Als ich bei dem grauen Felsen ankomme und ihn passiere, erscheint kein bedrückendes Prickeln und damit trifft mich eine Erkenntnis mitten ins Herz. Ich stolpere und falle. Regungslos bleibe ich am Boden liegen und schluchze hemmungslos. Meine Eltern sind tot! Sie sind tot und kommen nie wieder! Ich habe sie sterben sehen! Ein Schmerz breitet sich in meinem Inneren aus, den ich noch nie zuvor gespürt habe. Außer ihnen habe ich niemanden. Ich kenne niemanden. Ich nehme meine Umgebung nicht mehr war und bewege mich kein Stück mehr. Am liebsten würde ich sofort aus diesem Albtraum erwachen. Vielleicht muss ich ja nur kurz die Augen schließen und dann wird alles wieder gut sein.

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