1. Berlin

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Lina I

„HA, du hast mit deinem Auge gezuckt", schreie ich auf und deute mit meinem Zeigefinger gegen Benés Brust. „Seit wann zählt das? Ich dachte wir spielen, wer zuerst blinzelt", erwidert der empört. Ich schüttel den Kopf: „Ich habe gewonnen, akzeptiere das!", sage ich streng. „Und was wenn nicht?", fragt er und fängt an mich zu kitzeln. „Ey, hör auf", lache ich. „Das ist nicht lustig" „Warum lachst du dann?", sagt Bené ironisch, hört aber zu meiner Erleichterung auf. Genervt lege ich den Kopf schief: „Sehr witzig". „Lina?", ruft mein Vater mich von unten und ich raffe mich genervt von meinem Bett auf. „Komme gleich wieder", sage ich zu Bené der nur nickt und sein Handy zückt um ein bisschen durch Instagram zu scrollen.

„Was ist?", frage ich als ich die breiten Stufen runterhüpfe und ins Wohnzimmer laufe. Mein Vater steht neben der Kücheninsel und guckt fachmännisch auf das große iPad in seinen Händen. Als er mich hört, blickt er auf. „Wir haben gerade ein paar Probleme in der Kanzlei und heute Abend ist ein wichtiges Essen mit Kunden, was hier bei uns stattfinden wird", erzählt er. „Okay", sage ich gleichgültig und will mich umdrehen, um wieder hochzugehen, doch mein Vater ist noch nicht fertig. „Bis dahin sollte dein Freund gegangen sein", sagt er. „Muss ich mit essen?", frage ich verwirrt. „Nein, aber du solltest mal Hallo sagen" meint er und widmet sich wieder gestresst dem Bildschirm in seinen Händen. „Warum kann Bené dann nicht auch hier sein?", frage ich weiter. „Ist es, weil er Türke ist?", frage ich sauer, als ich keine Antwort bekomme. „Nein Lina, hör mir endlich auf mit deinem Gerechtigkeitswahnsinn, wenn du in diesem großen Haus leben möchtest, jede Woche neue Klamotten brauchst und ich dir dein Mode-Studium bezahlen soll, dann akzeptiere es, wenn ich hier Geschäfte abwickle und nicht will das du und dein Freund in der Zeit Rambazamba machen", wettert er wütend zurück. Überrascht und beleidigt hebe ich nur ergebend die Hände und gucke ihn sauer an bevor ich mich umdrehe und die Stufen hoch zurück in mein Zimmer laufe. Bené guckt überrascht auf, als ich meine Tür beim Betreten des Zimmers mit Schwung zu schlage. „Mein Vater nervt", beschwere ich mich. „Warum?", fragt er, der immer noch im Trainingsanzug auf meinem breiten Bett liegt. „Ach keine Ahnung." „Aber du musst jetzt gehen, wir bekommen später Besuch", sage ich. „Okay", meint Bené lässig und steht auf. Als er näher kommt, um mir einen flüchtigen Abschiedskuss auf den Mund zu geben, umarme ich ihn nochmal fest. „Shuu, was denn los?", fragt er lachend. „Nichts", sag ich nur schnell und schiebe ihn aus der Tür. Ich habe keine Lust ihn bis nach unten zu bringen und er kennt sich ja sowieso aus, also bleibe ich in meinem Zimmer und höre nur wie er meinem Vater Tschüss sagt und dann die Haustür schließt. Seufzend gehe ich zu meinem Kleiderschrank, um etwas Angemessenes für den Abend anzuziehen.

Als ich später in schwarzem Rock und schwarz glänzender Bluse die Stufen runtergehe, vernehme ich schon laute Männer Stimmen am Tisch. Mein Vater sitzt am Tischende und unterhält sich angeregt. Er ist kein Macho Typ, der ständig den Alleinunterhalter macht aber er ist auch nicht schüchtern oder dezent. Eher ein bescheidender Mann der trotzdem Macht und leichte Überlegenheit ausstrahlt. „Lina, da bist du ja! Komm, setz dich", sagt mein Vater als er mich auf dem Treppenabsatz entdeckt. Mit einem Lächeln überspiele ich wie genervt ich bin. Heute Nachmittag meinte er noch ich soll nur kurz Hallo sagen. „Das meine lieben Herren, ist meine Tochter Lina", stellt er mich Stolz vor. Die Herren lächeln mir alle aufrichtig zu und ich lasse mich auf einem freien Stuhl nieder. Robert, ein Kollege meines Vaters, mit dem ich mich schon immer gut verstehe, greift nach der Flasche Rotwein und schenkt mir ein Glas ein. Dankend lächel ich ihm zu, jetzt habe ich wenigstens etwas zum dran nippen, falls mir jemand eine unangenehme Frage stellt. „Und du bist schon fertig mit der Schule?", beginnt einer der Männer die Fragestunde. „Ja, ich habe letztes Jahr mein Abitur gemacht", antworte ich freundlich. „Mit einem guten Schnitt hoffe ich doch", bringt sich ein anderer ein. „Linas Abiturschnitt ist 1,5" redet mein Vater dazwischen und zwinkert mir stolz zu. Ich nicke. „Na für Medizin reichts nicht, aber trotzdem ein sehr schöner Schnitt, du bist wahrscheinlich genauso ehrgeizig wie dein Vater", meint der Mann, der sich vorhin nach meinem Schnitt erkundigt hatte. Er trägt ein dunkelblaues Jackett und hat eine Halbglatze. „Ja das habe ich wahrscheinlich von ihm", lache ich und lasse dabei weg das er mich zum Lernen quasi drei Wochen vorher im Haus mit sämtlichen Nachhilfe-Lehrern eingesperrt hatte. „Ach Noten sind nicht alles meine Liebe, ich war ein schrecklicher Schüler damals. Meine Eltern haben mich als letzte Hoffnung zum Lernen zu meinen Großeltern aufs Land geschickt, aber ich war damals nur jeden Abend in der Dorfdisko und habe mit meiner Oma einen durchgezogen", fängt der Mann neben dem Abiturschnitt Frager an zu erzählen. Er hat braune gegelte Haare und ein sympathisches Gesicht. Ich grinse und die anderen am Tisch fangen an zu lachen. „Das habe ich von dir auch nicht anders erwartet, Michi", sagt ein anderer. „Wie konnten sie trotzdem Jura studieren?", frage ich Michi. Er legt nur die Gabel hin, hebt seine Hand und reibt Mittelfinger, Zeigefinger und Daumen aneinander. „Geld", sagt er dann mit einem vielsagenden Blick und zuckt mit den Schultern. Die anderen lachen wieder, doch ich denke mir nur wie unfair diese Welt doch ist. Meinem Vater zuliebe halte ich den Mund.

Heut fahr'n wir durch Hood und woll'n Tausender verdienenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt