8. 1:0 Bené

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Lina III

Ich ordne die Mappen mit den Designs der Herbstkollektion. Aufgeregt muss ich grinsen als ich entdecke, dass Madame Lavenduso zwei meiner Entwürfe dazugesteckt hat. Wenn ich ganz viel Glück habe, landet einer davon auf dem Laufsteg. Wie aufregend!
„Du platzt ja gleich vor heimlicher Freude", höre ich eine Jungen Stimme und sehe wie Jamil durch die Tür kommt. „Hallo", begrüße ich ihn lächelnd. „Darf ich wissen, warum?", fragt er. Ich winke ab: „Ach nichts". Und stopfe die Entwürfe zurück in die Mappe. „Schönes Outfit hast du da an", bemerkt Jamil mit Blick auf mein kurzes enges schwarzes Kleid, die passenden Stiefel und die Baskenmütze auf meinem Kopf. Nachdem ich gestern Abend bei einer Folge Gossip Girl eingeschlafen bin, muss mein Unterbewusstsein sich heute Morgen noch in einem Blair Walldorf Upper-eastside Traum befunden haben, als es mir ein Outfit aus meinem Schrank herausgesucht hat. „Vielen Dank", sage ich höflich und gehe dann an ihm vorbei zur Kaffeemaschine, ohne sein Outfit ebenfalls zu kommentieren. Es sieht Hammer aus, doch ich will sein Ego nicht zu sehr pushen. Obwohl ich noch nicht einschätzen kann, ob er total bescheiden ist, oder sich in Wahrheit weit überlegen fühlt.

Jamil trägt eine helle weite Hose, ein teures mehrfarbiges Hemd mit kurzen Ärmeln, vermutlich Casablanca und Prada Schuhe. „Wollen wir später wieder was zusammen essen gehen?", fragt er mich als ich gerade anfange meinen Kaffee zuzubereiten. „Ich glaube, das fände mein Freund nicht so toll", winke ich ab und drücke den silbernen Knopf der Maschine. Ein Klingelton beginnt, durch den Raum zu tönen. Er stammt von meinem Handy, welches noch auf dem Tisch liegt. Ich ahne, wer da versucht mich zu erreichen und mache keine Anstalten ihm diesen Wunsch zu erfüllen. „DER Freund?", fragt Jamil als er sich über den Tisch lehnt, um einen Blick auf mein Handy zu werfen. Es scheint wohl wirklich Bené zu sein. Seit ich gestern von ihm abgehauen bin, hat er sich nicht mehr gemeldet und ich mich auch nicht. Es war zwar eine Qual gewesen mich davon abzuhalten ihm zu schreiben, aber dass er sich ebenfalls nicht gemeldet hat macht mich auch wütend. Es war ungewöhnlich dafür, dass er sich immer so Sorgen macht, wenn ich alleine unterwegs bin. Ich widme mich wieder meinem Kaffee. „Willst du nicht rangehen?", fragt Jamil weiter.
Ich verdrehe wütend die Augen, gehe zum Tisch, nehme das Handy und drücke den Anruf weg. Wenn es das erfordert, damit Jamil endlich still ist. „Nein, möchte ich nicht", sage ich ruhig als ich wieder zur Maschine laufe. Endlich ist mein Kaffee fertig. „Guten Morgen ihr zwei", flötet es plötzlich durch den Raum und Jamil muss sich das husten verkneifen, weil ihn Madame Lavendusos morgendliche Duftwolke erreicht. Sie schließt die Tür mit ihren von Klunkern besetzen Händen und setzt ihre Birkin Bag auf dem Tisch ab. „Ach Lina du hast schon Kaffee gemacht, super!", sagt sie und nimmt mir die Tasse aus der Hand. Empört will ich demonstrieren, kneife dann aber die Lippen zusammen und drehe mich um, um einen weiteren Kaffee zu machen. Jamil scheint meine stille Empörung bemerkt zu haben und grinst. Daraufhin muss ich auch lächeln.

Als ich später vor die Tür trete, erwartet mich eine böse Überraschung. Ich will zu der Laterne gehen, an der ich heute Morgen mein Fahrrad hinterlassen habe, aber, es ist weg. Ich halte Ausschau nach den anderen Laternen, vielleicht habe ich mich vertan und es nicht an dieser hier angeschlossen, aber nirgendwo steht mein Fahrrad. „Nein, nein, nein", murmel ich und suche an der Laterne nach irgendwelchen Spuren, die mich zu meinem Fahrrad führen könnten. „Was suchst du Lina?", fragt Jamil leicht amüsiert, der mittlerweile auch aus dem Laden gekommen ist, um sich auf den Nachhauseweg zu machen. „Mein Fahrrad ist weg, aber ich bin mir zu 100 % sicher, dass ich es heute Morgen genau hier angeschlossen habe", ich deute auf die Laterne vor uns. „Wir sind in einer Großstadt, hier werden ständig Fahrräder geklaut", sagt Jamil. Verständnislos gucke ich ihn an. „Na und, ich hab trotzdem nicht damit gerechnet. Scheiße meine Eltern werden so einen Stress machen, ich hab das Fahrrad noch nicht lang." Jamils Gesichtsausdruck wird etwas weicher als er das hört. „Komm ich bin mit dem Auto da, ich kann dich nach Hause fahren", sagt er. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sein Angebot anzunehmen, eigentlich ist er ja auch wirklich nett. Er fährt einen glänzend schwarzen Mercedes, der bestimmt nicht billig war. Dafür kann ich mir denken, dass er ihn sich nicht selbst gekauft hat, vielleicht ist er sogar von einem Elternteil, was es irgendwie weniger beeindruckend macht. Der Arbeitstag war echt anstrengend und die Sitze sind so bequem, dass ich kein Problem damit habe mich schnell wohl zu fühlen. Wir tuckern durch die vollen Straßen Berlins und hängen zwischendurch immer wieder vor Ampeln fest. „Willst du Musik anmachen?", fragt Jamil. Begeistert greife ich nach seinem Handy, was sowieso schon verbunden ist. In seiner Spotify Library sind vorwiegend englische Songs. „Hörst du Deutschrap?", frage ich. Er schüttelt den Kopf. „Hmm", mache ich und entscheide mich dann für TheWeeknd. Sobald die Melodie von „Safe your Tears" kommt, ist unsere Laune auf dem Höchstpunkt. „I saw you dancing in a crowded room", singt Jamil, der überraschender Weise gar keine schlechte Stimme hat. „You look so happy when Ím not with you", antworte ich. Schon bei der nächsten Ampel singen wir lauthals „Safee your Teaars for another dayyy", und wippen mit unseren Köpfen. „Wo wohnst du?", erkundigt er sich, um nicht in die falsche Richtung zu fahren. Auf meinem Handy ist immer noch der verpasste Anruf von heute Morgen und eine Nachricht von Bené: „Bin draußen, wenn du mich suchst". „Ich gehe noch zu Freunden", entscheide ich mich kurzfristig um und gebe Jamil Benés Adresse. Er nickt und biegt dann ab. Ungefähr dreizehn Minuten später hält er an der Straße, wo es auf dem Fußgängerweg rein in eine große Siedlung mit mehreren Wohnblöcken, kleinen Grünanlagen und Spielplätzen geht. „Nochmal vielen Dank fürs Bringen", lächel ich. „Kein Ding", sagt er und lächelt ebenfalls. Ich steige aus und hoffe währenddessen, dass er keine Umarmung erwartet hatte. Wenn jemand sehen würde, wie ich hier abgeladen werde, könnte er es falsch verstehen und Bené erzählen. „Pass gut auf dich auf", ruft mir Jamil noch hinterher. Ich muss lachen: „Hier wohnen ganz normale Menschen".
Ich laufe durch die Siedlung. Auf dem Gehweg liegt überall Sand vom Spielplatz. Frauen mit Kopftuch schubsen ihre Kinder auf den Schaukeln an oder kommen mir mit Kinderwagen entgegen. Ich sehe die Mutter von einem Freund und lächel als sie mir zu winkt. An dem ersten beigen Wohnhaus angekommen laufe ich rechts einen Pfad entlang nach hinten zum Fußballplatz. Eine nervöse Stimmung macht sich in mir breit, da ich nicht weiß, ob zwischen mir und ihm alles gut ist. Schon von weitem kann ich etliche Jungs auf dem Platz sehen. Einige kenne ich auch. Ich erspähe Bené auf einer Bank am Rande sitzen. Als er mich sieht, springt er auf und läuft mir entgegen. „Hey Habibti", sagt er und breitet die Arme aus. Mit einem Mal breitet sich pure Erleichterung in mir aus und ich fühle die ganze Anspannung von mir abfallen. „Hey", murmel ich und gebe ihm einen Kuss, bevor ich in seine Arme sinke. Er streicht mir die Haare beiseite, während meine Wange an seiner Brust lehnt. „Ich hab mein Fahrrad verloren", jammer ich los. Eigentlich hatte ich gar nicht vor das zu sagen, aber es sprudelt nur so aus mir heraus.

Bené ist ganz anders als Jamil. Er gibt mir das Gefühl, dass ich mich wie eine Prinzessin verhalten darf und muss sich nicht ständig selbst gut dastehen lassen. „Scheiße man wieso verloren?", fragt er. „Ich glaube es wurde geklaut", erkläre ich mich. Mein Freund drückt mich von seiner Brust weg und nimmt mein Gesicht in seine Hände. „Soll ich dir ein neues klauen?", fragt er allen Ernstes. Da muss ich lachen. „Nein Danke, klau mir lieber ein Auto". Er schüttelt langsam den Kopf und schnalzt mit der Zunge: „Frech bist du. Willst du dass ich haps gehe?" Ich lache noch mehr. „Du hast doch gefragt", sag ich. „Komm, wir spielen Fußball", sagte Bené und zieht mich an der Hand zum Platz. „Ey, Lina ist da", ruft er. „Vallah perfekt, wir brauchen noch einen Torwart", ruft Mert aus Spaß. Ich zeige ihm einen Vogel und schnapp mir den Ball für den Anpfiff.

Heut fahr'n wir durch Hood und woll'n Tausender verdienenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt