Prolog

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Helen PoV
Hastig rannte ich durch die verschlungenen Gassen Japans. Mein Ziel genauso im Blick wie meine Verfolger, die mir seit einer halben Stunde im Rücken hingen. Das Wasser der nächsten Pfütze klatschte an meine durchweichte Hose, als mein Fuß in eine weitere Ansammlug der Nässe traf. Gott, ich hasste die Regenzeit!
Ein rascher Blick über die Schulter verriet mir, dass ich sie endlich abgeschüttelt hatte – wurde auch Zeit.
Etwas erleichtert verschwand ich unauffällig in der vermeidlichen Fabrikshalle und konnte aufatmen. Hier drin war es zwar dunkler als die Nacht jenseits der Wand hinter mir, aber dafür regnete es nicht. Behutsam hob ich den mit Sprengstoff gefüllten Rucksack von den Schultern und fischte einen schwarzen Stick aus der Seitentasche. Oberfläche hin oder her, ich wusste, dass diese Fabrik ein Informationsspeicher unserer Feinde war und diese Nacht nicht überleben würde; aber zuerst musste ich mir ihre Daten beschaffen – schließlich war ich immer noch eine Spionin von Hydra und keiner dieser jungen Attentäter, die sie seit einigen Monaten anheuerten. Hydra war mein Zuhause und – abgesehen von meiner kleinen Tochter – auch meine Familie, nachdem mein Mann uns aufgrund „fehlender Moral" verlassen hatte. Ich hasste diesen Verräter bis in jeden Winkel!
Schnell schulterte ich mein explosives Gepäck wieder, denn mein Auftrag ging vor, egal in welcher köperlichen Verfassung ich mich befand.
„Ich bin drin", ließ ich die Überwachung wissen.
„Gut Helen, dann müsste jetzt etwa hundert Meter links von dir eine Treppe in das Unterschoss führen, dort stehen die Server. Vergiss nicht, wir sind blind und du bist auf dich allein gestellt", erzählte mir der versteckte Knopf im Ohr.
„Oh, wie könnt ich nur. Dann mal los. Helen over."
Hundert Meter, diese finstere Halle schien sich endlos in alle Richtungen zu erstrecken. Mit dem Rücken dicht an der Wand entlang schlich ich zum besagtem Punkt.
Angekommen ließ ich meine Finger behutsam über den feuchten Beton gleiten und tatsächlich, ich entdeckte eine mannshohe Einkerbung. Ein leichter Druck genügte und die verborgene Tür öffnete sich. Das ist doch schon fast zu einfach, dachte ich mir und zog meine Pistole aus dem Halfter an meiner Hüfte. Spionin müsste man sein. Noch einmal strich ich meine schwarzen Haare aus dem Gesicht und verschwand durch die Öffnung. „Treppe erreicht", flüsterte ich.
„Geh sie runter, dann gelangst du zu einer Tür – muss irgendwas massives sein – versuche sie möglichst ruhig zu öffnen, dahinter ist der Server."
Gesagt, getan. Ich schlich die Treppe auf leichten Solen hinunter, kontrollierte den notbeleuchteten Fluhr und widmete mich anschließend der Tür.
„Was siehst du?", meldete sich die Stimme in meinem Ohr.
„Eine schwere Eisentür, vergleichbar mit der eines Kühlhauses."
„Kannst du sie öffnen?"
Ich fasse an den schweren Griff, doch dieser ließ sich nicht bewegen. Stärker, mit meinem ganzen Gewicht löste er sich schließlich und entfachte einen ohrenbeteubenden Arlarm. Das Licht im Gang schlug zu rot um.
„Negativ, ich bin aufgefolgen!"
„Dann die harte Tour." „Verstanden."
Jetzt bleib ruhig Helen, denk an Audrey und erledige diesen Job!, beruhigte ich mich und griff nach meiner Waffe. Mit dem Arlarm war eh alles egal, also zielte ich auf die Sperre vor mir und schoss das Schloss auf.
Tatsächlich verbarg sich hinter der Tür der Server. Eilig zückte ich den Stick und rannte zum Terminal.
„Gib mir jetzt die Codes durch, dann hack ich mich rein." Sofort diktierte man mir sämtliche Schlüssel und Passwörter, die unsere Hacker heute Morgen geknackt hatten. Schon war ich drin und startete den Kopiervorgang.
„Läuft, ich bin drin. Wo genau soll die Bombe hin?"
„Hinter dir müssten drei Reihen Server stehen, dann kommt eine tragende Wand, sprengst du die, fliegt alles in die Luft."
„Verstanden."
Ich rannte zu besagter Stelle und deponierte mein explosives Gepäck.
„Wieso hat das Ding einen Zeitzünder? Ihr wisst ganz genau, dass ich mit sowas nicht arbeite!", fauchte ich empört gegen den Arlarm an – viel Zeit würde mir ohnehin nicht mehr bleiben.
„Tut mir Leid, manuelle Zündungen sind aus dem Rennen, da ist was schief gegangen." „Das bekommen die Vorgesetzten nacher zu hören!", wetterte ich und stellte das Ding scharf. „T-10 min. bis zu Detonation", blinkte auf dem kleinen Screen. Genug Zeit, um hier wegzukommen – das hatte ich ja eh vor. Schnell rannte ich zurück zum Terminal und schnappte mir den beladenen Stick, auf dem unser schwarzes Hydra-Symbol prangerte. Den Rucksack ließ ich zurück, davon wird sowieso nichts überbleiben und brauchen tue ich ihn auch nicht mehr.
An der Tür des Severraums angekommen stockte ich plötzlich. Waren das Schritte? Obwohl meine Ohren vom Arlam getäuscht werden könnten, griff ich nach meiner Pistole. Fuß vor Fuß setzend, näherte ich mich der Tür. Dort verharrte ich angespannt im Totenwinkel.
„Zugriff auf mein Komando", flüsterte eine mir unbekannte Männerstimme bestimmend. Verdammt! Aber noch war die Überraschung auf meiner Seite, das würde ich ausnutzen. Mit einem kaum hörbarem Klicken entsicherte ich die Waffe. Jetzt bloß keine Zeit verlieren. Ein Schritt, ein Sprung, schon stand ich in der Tür. Mit gezogener Waffe schoss ich zwei vermummte Gestalten jeweils rechts und links neben der Tür nieder. Ohne zu zögern rannte ich los in Richtung der Treppe. Die Überraschung war geglückt. „Stehenbleiben, Sie sind umstellt!", schrie man mich an. Doch ich zog erneut die Waffe und schon lag der Sprecher am Boden.
Pah, Amateure.
Plötzlich spürte ich ein Drücken an meiner linken Schläfe. Ein fester Griff legte sich um meinen Hals.
„Na, wen haben wir den da?", säuselte man mir ins Ohr. Davon ließ ich mich nicht beirren. Ein kräftiger Stoß mit dem Elenbogen zwischen die Rippen, dann ein Tritt zwischen die Beine, schon war ich die Klammer los. Ich drehte mich eilig um und schoss.
Der Schmerzenssschrei meines Gegners erstarb. Es wurde wieder ruhig, zu ruhig.
Zum ersten Mal konnte ich mich im Flur umsehen. Der weißgestrichne Gang war abgesehen von den drei Leichen leer. Seltsam, dachte ich mir. Meine Erwartungen an das Sicherheitskommendo waren von meiner Erfahrung her größer – vor allem was die Anzahl betraf. Kopfschüttelnd windmete ich mich dem Aufgang, denn im Nebenraum tickte schließlich immer noch der Zeitzünder vor sich hin.

Mit gezogner Waffe schlich ich Stufe für Stufe hinauf, bis ich ohne Zwischenfälle an der Geheimtür ankam. Das war zu leicht.
Und tatsächlich, sobald ich die Tür, welche von jemand anderem geschlossen worden war, öffnete, schellte ein einsamer Schuss durch den Spalt! Er traft nur milimeter von meiner Hand entfernt in den Beton.
Erschrocken fuhr ich zusammen. Sie hatten mir den augenscheinlich einzigen Ausweg abgeschnitten. Einen neuen suchen konnte ich nicht, dafür reichte die Zeit nicht mehr. Außerdem war es zwecklos, zu versuchen, die Bombe zu entschärfen. Nein, wenn Hydra eins vermochte, dann war es das Konstruieren von Suizidprodukten.
Was auch immer ich jetzt tat, es musste schnell gehen und mich hier raus bringen, sofort. Doch die Entscheidung wurde mir genommen. Jemand stieß die Geheimtür aus. Schüsse beider Seiten fielen.
Schon rannte ich. Die Treppe bereits verlassen, im Gang angekommen, bemerkte ich erstmals Schmerzen im Arm. Ich tastete danach. Warmes Blut klebte an meinen Fingern. Ich rannte so schnell ich konnte. Vielleicht gab es ja doch einen unterirdischen Fluchtweg. Das war meine einzige Hoffnung. Ich rannte und rannte. Neben mir begannen die Wände sich zu bewegen. Türen zogen in meinem Augenwinkel vorbei, während ich Slalom lief, um weiteren Treffern zu entgehen. Mit dem gesunden Arm feuerte ich rücklings zurück. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Du schaffst das, Helen, für deine Tochter, für Audrey. Als neben mir eine angelehnte Tür erschien stürtzte ich inden Raum.
Es war ein Büro. Eilig versperrte ich die Tür mit unliegenden Möbeln. Dann zog ich meinen Gürtel aus dem Bund und schnürte unter Schmerzen meinen Arm ab. Erst dann realisierte ich meine missliche Lage. Mensch Helen, was hast du dir jetzt wieder eingebrock?!, verfluchte ich mich selbst.
Plötzlich startete ein ohrenbeteubendes Rumpeln an der Tür. Das würde nicht lange halten. Nur wenige Sekunden später flog sie auf. Eine vermumte Gestallt richtete den Lauf ihre Handfeuerwaffe auf meinen Kopf.
„Heil Hydra!", rief ich, dann krachte eine Exposion hinter mir.

(K)eine AdoptionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt