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„Ich habe eure Klausuren korrigiert.. Sie ist gut ausgefallen, nur auf paar Ausnahmen." Dann blickte der Lehrer zu mir und schüttelte seinen Kopf, da er mich nicht verstand.
Herr Tas verteilte die Pädagogik Klausuren. Aleyna saß direkt vor mir und sie bekam ihre Klausur. Ich hörte nur wie Herr Tas „Du hast echt nicht gelernt", sagen. Herr Tas war mein Lieblingslehrer auf dieser Schule. Ich glaube er war der einzige Lehrer der wirklich wissen wollte, wer wir wirklich waren und was in uns steckte.
Aleyna seufzte. Ich blickte zu ihr. Sie sah so müde aus vom Lernen. Keiner glaubte ihr, dass sie wirklich  lernte. Doch ich wusste das. Wir konnten uns nie ausstehen, bzw. sie hatte immer ein Problem mit mir, weil ich gute Noten schrieb. Sie beneidete die Berufe meiner Eltern und verglich sich selber immer mit mir.
Ich hatte sie zwischendurch in Klausuren beobachtet, sie war immer so aufgeregt und ließ sich immer aus der Ruhe bringen.
Ich würde ihr gerne helfen, doch hinderte mich mein Stolz daran. Sie hatte mich in diesen Monaten immer so schlecht behandelt und immer verbal angegriffen. Sie verdiente meine Hilfe nicht. Ich provozierte sie immer mit meiner Art, ich hörte einfach nicht hin.
Als mein Lehrer mit meiner Klausur vor mir stand blickte er mir verständnislos an. Vielleicht verstand ich mich mit ihm so gut, weil ich das durchmachte, was er ebenfalls durchmachten musste.
„Wieso?", fragte er. Ich blickte nur stillschweigend auf das Blatt Papier mit der Note „ungenügend".
Ich fühlte in dem Moment gar nichts. Ich war keine schwache Person, ich wollte es nicht zulassen, dass man mich anhand Noten definierte, meinen Wert und meine Intelligenz. Ich schaute nur zu Herr Tas, der auch  übrigens der beste Freund von Caner Eniste (Schwsger) war.
„Du kommst nach der Stunde zu mir."
Aleyna blickte mich verwundert an. Ich nickte nur.
Mercan tippte mich an. „Geht es dir gut?" Ich lächelte. „Ja danke. Und dir?", ich schaute auf ihr Zettel „gut", stand darauf. Mercan war eine fleißige Schülerin. Die meiste Zeit verbrachte sie damit in der Bibliothek zu lernen und abends noch mal über ihre Notizen zu gehen.
Doch ich wollte nie so sein. Ich wollte nicht meine schönsten Zeiten nur den Lernen widmen, was wenn ich morgen sterbe? Was würde mir das ganze Lernen bringen? Das Leben ist doch mehr als das.
„Du hast bald Geburtstag, was wünscht du dir?", fragte sie. Ich überlegte. „Freiheit", wollte ich sagen.
„Endlich wirst du 18, dann können wir endlich feiern gehen", lachte sie. Ich blickte ihr belustigt in die Augen. „Hmm, denkst du mein Vater, oder mein Bruder oder stopp Hazar würde es zulassen?", lachte ich. Sie verdrehte gespielt ihre Augen.
Ich hatte in einer Woche Geburtstag. Ich würde 18 werden, obwohl ich mich viel älter fühlte.
Als die Stunde zu Ende ging, gingen die Schüler schon in die Pause.
„Hilal, setzt dich." Ich saß mich auf den Stuhl. Herr Tas, bzw Cihan Abi sah mich besorgt an. Wenn andere Schüler weg waren, war er stets mein Cihan Abi. Er kannte mich schon seit meiner Geburt, er verstand sich mit meinen Eltern super und gegenüber mir hatte er immer Verständnis. Gonca Hala meinte, dass ich ihm sehr ähnele und er sich selber in mir sieht.
„Du machst das nur, weil du es deinen Eltern beweisen möchtest oder?" Ich sah ihn nur an. „Hilal du zerstörst dir nur deine Zukunft! Das ist es niemand wert. Du musst niemanden was beweisen!"

„Cihan Abi", er schüttelte sein Kopf. „Ich akzeptiere diese Note nicht! Du hattest einen schlechten Tag und wirst eine mündliche Prüfung haben. Morgen."
„Ich möchte nicht.", sagte ich. Er zog sich seine Augenbrauen zusammen. „Keiner hat gefragt ob du es möchtest", „Ja keiner tut es nämlich!", rief ich und meine Augen füllten sich mit Tränen.
„Ich weiß was du fühlst. Du hasst dieses Schulsystem, dass weiß ich auch. Doch du hast Ziele, du darfst das für niemanden aufgeben. Deine Sturheit tut nur dir selbst weh.", ich blickte ihn an, bis ein Schüler in die Klasse kam. „Herr Tas,  ich wollte sie was zur Aufgabe fragen", Cihan Abi nickte und ich verließ das Klassenzimmer. Auf den Pausenhof sah ich Aleyna. Sie sah verloren durch die Gegend. Etwas weiter saß Mercan mit ihren Freundinnen. Ich saß mich zu Mercan. „Deine Freundin Hilal begrüßt uns nicht mal", hörte ich einen von ihnen sagen, doch ich sagte nichts. „Seyda, sei ruhig.", sagte Mercan. Mercan war so, sie verstand sich mit jedem. Und ich war das Gegenteil. Mercan hatte so viele Freunde, ich verstand oft nicht, wieso sie mit mir war.
An dem Tag hatte ich bis 15 Uhr Schule. Normalerweise würde ich Schwänzen, doch ich blieb bis zum Schluss.
„Wirst du es deinen Vater mit der Note sagen?", ich nickte. Ich habe doch nur die Klausur verhauen um ihn zu provozieren.
„Wenn was ist, ruf mich an.", sagte Mercan. Ich blickte in ihre dunklen Augen. „Mercan", sie sah mich fragend an. „Hilal?" sie grinste. „Wieso bist du mit mir befreundet?", sie runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?" „Du bist so beliebt, du hast so viele Freunde, verstehst dich fast mit allem. Ich könnte schwören, dass dir deine Freunde immer abraten mit mir anzuhängen", sie lächelte. Es war ein aufrichtiges Lächeln.
„Weil du eine toller Mensch bist, Hilal! Du siehst das gar nicht. Denkst du ich weiß nicht, wie verlogen diese Menschen sind? Sie lästern neben mir über andere und in meiner Abwesenheit über mich, das sind keine Freunde. Sie sind halt in meiner Schule, sie sind da. Aber sie haben keinen Platz in meinem Leben. Du bist loyal, du würdest nie über jemanden reden. Du bist so ehrlich. Ich bin froh, dass ich dich meine Freundin nennen darf. Denn du bist ehrlich richtig stark, du kannst dich jedem und alles wehren. Du weißt ich kann das nicht", ich spürte wie sich meine Augen füllten. „Danke für diese Worte", umarmte ich sie.
„Kein Ding", sagte sie und drehte sich um. Sie lief auf ihre Wohnung zu, während ich noch etwas laufen musste.
Nach zehn Minuten war ich angekommen. Mein Vater war Zuhause, sein Auto stand auf dem Parkplatz.
Meine Mutter und Halil waren noch nicht da.
Ich öffnete mit meinem Schlüssel die Haustür und hörte, wie mein Vater am Telefon sprach.
Als er mich sah blickte er mir liebevoll in die Augen. Danach legte er auf.
„Wieso bist du schon da, Baba?", er blickte mir fragend in die Augen. „Darf ich nicht mal früher zuhause erscheinen?", fragte er. „Es tut mir leid, falls ich dich verletzt habe. Ich möchte nur nicht, dass dich was ablenkt. Du hast bald deine Abschlussprüfungen.", sagte er. „Ich weiß nicht ob ich in die Prüfungen zugelassen werde", sagte ich und reichte ihm meine Klausur mit der schönen Sechs. In dem Moment betrat Halil und meine Mutter das Haus.
„Wie hast du das gemacht?", flüsterte mein Vater und ich sah wie enttäuscht er war.
„Wieso, Hilal. Wieso kämpfst du gegen mich an? Wieso hetzt du einen Krieg gegen mich an?" Seine Augen füllten sich. Ich bekam ebenfalls Tränen. „Hast du mich ein Mal gefragt was ich möchte? Hast du mir ein Mal in die Augen geblickt und gefragt, Hilal willst du studieren? Hilal willst du studieren? Hilal willst du Abitur machen?", schrie ich. Meine Mutter fing an zu weinen.
„Immer ging es darum, dass ich euch gerecht werde! Immer war ich die Tochter von Bilal Degirmenci, doch ich möchte Hilal sein! HILAL. Du redest die letzten Tagen nur noch von meinem Potenzial, wann hast du gesagt, dass du mich liebst?!", meine Tränen flossen mir nur meiner Wange hinunter. Mein Vater war geschockt und ich sah wie seine Hände zitterten.

„Hilal, es reicht jetzt", sagte Halil. „Immer war Halil euer Wunschkind. Immer. Ich war immer Fehl am Platz." meine Mutter schüttelte ihren Kopf. „Hilal, das war nie so!" Mein Bruder sah mich kopfschüttelnd an.
„Geh auf dein Zimmer", hörte ich mein Vater flüstern.
Ich ging auf mein Zimmer. Als ich in mein Zimmer war schloss ich die Tür hinter mir. Ich wollte weinen, doch konnte ich es nicht. Es war so als hätte ich mich von dem Gift befreit. Ich konnte alles sagen was ich wollte.
„Lern für deine mündliche Prüfung!", hatte Caner Eniste geschrieben. Bestimmt hatte Cihan Abi bzw. Herr Tas ihm davon erzählt.
Mein Handy klingelte. Hazar rief mich an. Ich ging lächelnd an. „Güzelim?" (Meine schöne) ich schloss meine Augen. Ich hatte ihn so vermisst. „Hazar", sagte ich. „Du hast was", sagte er. „Ne alles gut, hast du Zeit? Können wir vielleicht raus gehen?", fragte ich. „Klar, ich hatte dich deswegen angerufen. Ich hole dich in zehn Minuten ab.", sagte er und legte auf. Ich setzte mich an meinem Schminktisch  und schminkte mich ab. Neben Hazar trug ich keine Maske.
Ich sah mich noch mal im Spiegel an.
Ich ging aus meinem Zimmer raus und ging an Halils Zimmer vorbei. „Wo hin?", als er mich ungeschminkt sah, nickte er.
„Wo hin wird dich deine Sturheit führen?", fragte er. „Hilal, Baba liebt dich sehr. Er unterscheidet nicht zwischen seinen Kindern...", sagte er sanft. „Du bist das Musterkind. Du studierst, machst was was deine Eltern sagen, streitest dich mit ihnen nicht. Perfekt." So lief ich die Treppen hinunter.  Mein Vater hatte seinen Kopf auf den Schoß meiner Mutter gelegt.
Als ich die Tür öffnen wollte, hörte ich seine Stimme. „Wo hin?", fragte er. „Ich treffe mich mit Hazar", ich hörte wie er seufzte. Danach drehte ich mich zu ihm. Er hatte seine Augen immer noch geschlossen und meine Mutter sah mich, wie  immer liebevoll an.
Er würde normalerweise sagen „komm nicht zu spät, oder du hast zwei Stunden", doch er sagte nichts.
Seufzend öffnete ich die Haustür und lief raus. Ich blickte zu Hazar, der seine Armen nach mir ausgebreitet hatte. Lächelnd lief ich auf ihn zu und umarmte ihn.
Würdest du ihn auch lieben, wenn du nicht diese schwere Zeit durchmachen würdest?", hörte ich die Stimme von Gonca.

HILALWo Geschichten leben. Entdecke jetzt