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Ich öffnete meine Augen und blickte aus den Fenster. Es war noch dunkel. Die Uhr zeigte mir, dass wir es erst 3 Uhr morgens hatten.
Seit wann bereitete mir das Aufstehen Schmerzen?
Kurz dachte ich nach, was passiert war. Mein Vater und ich hatten uns gestritten, schon wieder. Er wollte gegenüber mir handgreiflich werden. Kopfschüttelnd stand ich auf und nahm meine Tasche aus dem Schrank. Ich tat paar Klamotten rein, ehrlich gesagt war es mir egal. Ich könnte auch ohne Klamotten aus dem Haus gehen.
Ich merkte, wie gut sich diese Entscheidung anfühlte.
Das letzte Mal betrachtete ich mein Zimmer. Ich wusste nicht, ob ich irgendwann zurückkommen würde.
Vor Hicrans Zimmer blieb ich stehen, ich öffnete die Tür und sah wie sie schlief. Sie bekam die Probleme zwar mit, doch konnte es natürlich nicht verstehen. Sie war mein Engel und ich wusste, wie sehr sie mich liebte. Sie war die erste die morgen in mein Zimmer kommen würde.
Mein Handy ließ ich ebenfalls auf der Kommode in der Flur.
Ich wollte nicht wirklich was mitnehmen. Dann merkte ich, wie ich materiell abhängig von meinen Eltern war.
Das hasste ich umso mehr.
Leise ging ich die Treppen hinunter und öffnete die Haustür.
Als erstes wusste ich gar nicht wo hin ich sollte. Es war drei Uhr morgens. Zu Hazar konnte ich nicht, zu meiner Tante auch nicht.
Dann fiel mir eine Person ein, auf die meine Eltern nie kommen würden.
....

Iclal

„Anne, Hilal ist nicht in ihren Zimmer", ich schaute Hicran verwundert an. „Warst du in ihrem Bad?", sie nickte und mein Herz schlug immer schneller. Dann sah ich ihr Handy auf der Kommode in der Flur.
Ihr Bett war gemacht, ich lief sofort zum Schrank und öffnete diesen. Sie hatte einiger ihrer Klamotten mitgenommen.
Ich saß mich leise auf ihr Bett und versuchte mich zu beruhigen. War ich eine schlechte Mutter? Ich konnte meine Tochter nicht vor ihren Vater schützen?
Halil betrat das Zimmer. „Annem, beruhig dich", ich schloss nur meine Augen. Als ich Bilals Stimme hörte stand ich voller Wut weg.

„UNSERE Tochter ist weg!", schrie ich. Ich sah wie Hicran aufzuckte, doch war mir in diesem Moment egal. Halil nahm Hicran in seine Arme und verließ das Zimmer.
Ich blickte verletzt zu Bilal. „Du bist der Mann den ich liebe! Du bist meine erste Liebe. Wir haben drei wundervolle Kinder! Was hast du gegen meine Hilal? Was ist das Problem?", schrie ich. Meine Tränen wollten nicht aufhören.
„Iclal", ich unterbrach ihn. „Weil Hilal dir nicht ähnelt stimmt's? Du kommst mit ihrer Art, da sie nach mir kommt nicht klar! Du kannst Hilal nicht bändigen! Du hast keine Kontrolle über sie! Stimmt's?! Hättest du sie doch ein Mal in Ruhe lassen!" Meine Stimme drohte dem Versagen. „Wenn Hilal nicht zurückkommt, wenn ich wegen dir meine Tochter verliere, werden wir uns scheiden.", ich blickte ihn tief in die Augen, damit er mir meine Ernsthaftigkeit anmerkte.
Ich sah, wie sich seine Augen füllten. Ich ließ ihn so stehen und ging zu Halil. Hicran blickte mir besorgt in die Augen.
„Komm Schatz, ich bringe dich in den Kindergarten", sagte ich. Halil rief alle Kontakte an.
Ich musste erst mal runterkommen und Hicran dürfte, dass alles nicht mitbekommen.
Ich nahm Hicrans Tasche und zog ihre Schuhe an. Normalerweise musste sie jeden Morgen ihre Schuhe selber anziehen. Doch mir fehlte jegliche Geduld.
Hicran redete sonst immer darauf los, doch es war so als würde sie mir zu Liebe schweigen.
Im Kindergarten angekommen umarmte sie mich. „Mama sei nicht traurig, Hilal liebt uns.", so lief sie zur Gruppe.
Ich sah ihr hinterher und musste lächeln. Kurz danach folgten meine Tränen, die ich wegwischte.
Auf dem Weg zurück rief ich Baran an.
„Abla?", fragte er besorgt. „Hilal", sagte ich. „Nein sie ist nicht bei uns. Du weißt sie würde glaube auch nicht freiwillig kommen", ich legte danach auf.
Ich lief auf mein Auto zu und fuhr zu Hazar. Innerlich betete ich, dass sie da war.
Ich war nicht mal wütend auf meine Tochter, ich verstand sie. Sie fühlte sie nicht gut. Sie wurde fast von ihrem Vater geschlagen.
Ich parkte und stieg aus. Zitternd klingelte ich an der Klingel.
Delal öffnete mir Tür und sah mich traurig an. Ich musste direkt anfangen zu weinen. „Sag mir, dass sie hier ist, bitte", sagte ich. Sie schüttelte ihren Kopf. „Hazar ist auch gerade los um sie zu suchen, er ist verzweifelt", sie bat mich reinzukommen und nahm mich in die Arme.
„Lass es raus", sie strich mir sanft über den Rücken.
Nach dem ich mich beruhigt hatte setzte ich mich hin. „Ihr ging es schon seit langem nicht gut", sagte ich. „Ich verstehe sie" Delal blickte sanft zu mir. „Das habe ich gemerkt als sie letzte Woche bei uns war. Bilal möchte nicht, dass sie zu uns kommt oder?", ich seufzte und danach nickte ich. „Aber nur wegen ihrer Schule! Nichts weiter.", sagte ich und sie blickte mir in die Augen. Sie glaubte mir nicht. „Ich verstehe Bilal. Ihr beide steht unabhängig auf euren Beinen. Du bist Anwältin und er ist Psychologe. Schau dir uns an. Wir arbeiten nicht, leben vom Staat. Hazar hat seine Schule abgebrochen... Bilal hat Recht", ich schüttelte mein Kopf. „Es ist mir egal. Hilal ist nur mit Hazar glücklich. Es ist egal ob er studiert oder nicht", sagte ich. Denn um mehr zu sagen hatte ich keine Kraft. Als ich sah wie Reyhan mich anrief, verabschiedete ich mich von Delal und verließ die Wohnung.

„Reyhan", sagte ich. Reyhan redete drauf los und ich hörte wie Gonca auch redete. „Sie ist nicht bei euch?", fragte ich verzweifelt. „Nein", sagte sie. „Ich rufe unsere Eltern mal an", sagte Reyhan und legte auf.
Ich rief meine Schwiegereltern an. „Bilal hat auch schon eben angerufen ist alles okay?", fragte Gül Anne. „Ja, alles gut.", sagte ich. „Wie geht es Hilal", fragte sie. Ich seufzte. „Gut, sie grüßt dich", sagte ich.  „Ihr kommt mich alle nicht mehr besuchen", ich versuchte mich noch anzustrengen um weiter zu reden.
Danach legte ich auf.
Ich fuhr zurück nach Hause. Halils Auto stand nicht mehr vor der Tür.
Ich lief ins Haus und sah wie Bilal auf dem Sofa saß.
Ich lief an ihm vorbei hoch in Hilals Zimmer.
Ich würde noch den Verstand verlieren.

——
Halil

Gemeinsam mit Gonca liefen wir zu Hilals Schule.
„Wieso macht sie so was", sagte ich zu mir selber. Gonca blieb schnurstracks stehen und sah mich wütend an. „Das fragst du noch? Seit Monaten fügt Bilal Eniste Hilal nur psychische Gewalt zu! Und du? Du sollst ihr Bruder sein? Iclal Teyze? Ihr habt der Tragödie doch nur zugesehen!"

Gonca

Ich sah wie Halils Augen sich mit Tränen füllten. „Es tut mir leid", sagte ich und umarmte ihn. Ich war sehr emotional. Iclal und ich waren zerstritten, weswegen sie bestimmt nicht zu uns kam. Ich war wieder wütend auf mich selber. Wieso redete ich auch so schlecht über Hazar.
Als ich Mercan sah lief ich auf sie zu. „Hey, Mercan. Wie  gehts", fragte ich. Mercan blickte verwundert zu mir. „Hey gut und dir? Wo sie eigentlich Hilal? Ich rufe sie an, sie geht nicht ran. Sie hat ihre mündliche Prüfung heute.", sie blickte zu Halil, der sie nicht mal ansah.
Ich sah die anderen Blicke der anderen Mädels auf uns, ich zog Mercan in eine Ecke und blickte ihr in die Augen. „Bitte Mercan! Wenn du weißt, wo sie ist. Sag es mir!" Sie schüttelte ihren Kopf. Ich blickte verzweifelt zu Halil. Danach verließen wir den Schulhof. „Wir haben jeden angerufen, Reyhan Teyze, Baran Dayi, Unsere Oma, Meine Oma, wo steckt sie?" fragte Halil. Ich wusste es nicht.

HILALWo Geschichten leben. Entdecke jetzt