Bleib bei mir - Marshfield 1

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TW: Selbstmord, Depressionen

- Negatives Ending

"Bitte," flehte das braunhaarige Mädchen, "tu das nicht!"

Kate blickte Max aus leeren Augen an. Sie stand auf dem Dach des Mädchenwohnheims, wenige Zentimeter trennten sie vom Abgrund.

"Du musst kämpfen", sagte Max weinerlich, ihre Stimme wurde vom prasselnden Regen gedämpft.

Vorsichtig bewegte sie sich auf Kate zu, langsam, um keine überstürzte Reaktion bei ihr zu provozieren.

"Bleib, wo du bist!", schrie Kate verzweifelt. Sie schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Die Regentropfen fielen auf ihr Gesicht und vermischten sich mit ihren bitterlichen Tränen.

Es gab nichts mehr, was sie hier hielt. Ständig wurde sie von jeglichen Schülern gedemütigt, besonders von Nathan und Victoria und nun kursierte auch noch das Video der Vortex-Party auf der sie, die zarte und unschuldige Kate Marsh, die Kontrolle verloren hatte. Nein, sie konnte so nicht weiter machen.

"Kate, du bist so wichtig," versuchte Max sie zu beschwichtigen, "besonders für mich. Heute Morgen habe ich den Link zu deinem Video vom Spiegel des Badezimmers entfernt und ich verspreche dir, das wir denjenigen finden, der dich auf der Party unter Drogen gesetzt hat."

Kate blickte Max an. Leere Versprechungen. So, wie sie ihr schon immer gemacht worden waren. Dennoch erkannte sie, dass das andere Mädchen sich bemühte und es womöglich tatsächlich ernst meinte.

"Max, du verstehst mich nicht. Es ist als wäre ich in einem Alptraum und ich kann nicht aufwachen," sie blickte hinab auf das Campusgelände, "solange ich mich nicht selbst schlafen lege."

Max strömten der Tränen der Verzweiflung über das Gesicht. Sie wusste nicht, wie sie Kate beweisen konnte, dass sie ihr wirklich am Herzen lag. So sehr am Herzen lag...

"Es ist eines von Millionen Videos! Bald wird es jeder vergessen", startete sie hoffnungslos einen neuen Versuch.

Kate schüttelte fassungslos den Kopf.

"Max, mein ganzes Leben habe ich mich hinten anstellen müssen. Immer war ich das unschuldige, gläubige Mädchen, mit dem man tun konnte, was man wollte. Ich wurde ausgenutzt und wie Dreck behandelt und jetzt sogar unter Drogen gesetzt. Ja, ich habe Durchhaltevermögen, aber das hier, das ist zu viel für mich."

Demonstrativ blickte sie auf die Masse an Schülern herab, die sich auf dem Campus vor dem Wohnheim versammelt hatte. Einige hatten ihr Handy gezückt, um das Spektakel zu filmen. "Sogar im Tod werde ich noch eine Internet-Berühmtheit sein."

Die Abgestumpftheit in Kates Stimme beängstigte Max. Sie sprach so emotionslos, als sei ihr Schicksal bereits besiegelt. Max spürte, wie ihre Hoffnung weiter schwand.

"Ich kann einfach nicht mehr. Es hat mich nie jemand akzeptiert außer du. Ich wurde nicht einmal geliebt. Weder von meinen Eltern, noch von meinen Freunden," ihre Stimme wurde brüchig, "noch von dir."

Max sah überrumpelt in Kates gerötete Augen. Ihr Ausdruck war zutiefst verletzt und dennoch so liebenswürdig.

"Kate, ich..", stammelte Max. Ihr fehlten die Worte.

Das blonde Mädchen lächelte nur enttäuscht und winkte ab; "Schon okay."

Sie überlegte einen kurzen Moment.

"Dann gib mir eine Chance es zu tun," sagte Max nun entschlossen und trat vor. Damit hatte Kate nicht gerechnet. Benommen blickte sie sie an.

"Max, mach dir nichts vor. Wir wissen beide, dass du auf Warren stehst."

Das braunhaarige Mädchen schüttelte den Kopf und ging die wenigen übrigen Meter bis zu Kate. "Das dachte ich auch. Aber mein Herz fühlt etwas anderes."

Sie war sich nicht sicher, ob das der Wahrheit entsprach. Alles, was ihr Herz gerade fühlte, war eiskalte Panik. Dennoch würde Max alles versuchen, damit Kate sich nicht das Leben nehmen würde.

Zitternd reichte sie dem blonden Mädchen eine Hand, um ihr ihre Hilfe anzubieten, von dem Vorsprung des Dachs herunterzukommen.

Kate blickte kurz auf die Hand bevor sie wieder wegsah. Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen.

Max konnte nicht mehr warten und stieg schließlich zu Kate hinauf. Beim Blick in die Tiefe wurde ihr noch schwindliger und ihr Atem verschnellerte sich hörbar. Schnell blickte sie weg und zog Kate in ihre Arme.

Das versteifte Mädchen und entspannte sich schnell und schluchzte an Max' Schulter.

Jetzt oder nie, dachte sich Max.

Vorsichtig löste sie Kate wieder aus der Umarmung nur, um sich nach vorne zu beugen und sie behutsam zu küssen.

Völlig überfordert mit ihren Gefühlen hielten sich die beiden Mädchen in den Armen und verschmolzen an ihren Lippen zu einem einzigen Chaos der Emotionen.

Max löste sich als erste. "Bitte, Kate. Lass mich dir helfen. Wollen wir es zusammen versuchen?"

Kate rang sichtlich mit sich selbst.

"Ja", hauchte sie und trat einen Schritt zurück. Max fiel ein Stein vom Herzen.

"Doch nicht in diesem Leben", beendete Kate nun ihren Satz.

Noch bevor Max begreifen konnte, was geschah, flüsterte Kate ihr mit einem traurigen Lächeln ein "Danke" zu und machte einen letzten großen Schritt in den Abgrund.

Wir, einmal / Life Is Strange - OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt