NATHANIEL
Ganz plötzlich wurde er aus seinem wunderbar tiefen Schlaf, gerissen. Von einer Sekunde auf die andere, stellte sein Gehirn von schlafend auf wach, sodass er mit einem beinahe schmerzhaften Ruck in seinem Bett saß und sich völlig desorientiert umsah. Sein Wolf war in Alarmbereitschaft und hatte sich zum Sprung bereit gemacht, er könnte sich in einem einzigen Augenblick verwandeln, sein Angreifer hätte keine Chance. Doch kaum hatten sich Nathaniels Augen geklärt, entdeckte er eine völlig aufgelöste Ashley und beruhigte das Tier in seiner Brust. Sein Wolf gab seine Angriffshaltung nicht auf, er blieb sprungbereit. Es war eben nicht so einfach einen verschreckten Wolf zu bändigen, doch er würde nichts ohne Nathaniels Einverständnis tun. Ashley stand direkt vor ihm und sah schrecklich aus, mit verheulten Augen stammelte sie völlig zusammenhangsloses Zeug über Ally.
Nathaniel schloss langsam die Augen. Kalte Schauer liefen über seinen Rücken. Es war passiert, wie er es vorausgesehen hatte. Er hatte gewusst dass dieses Mädchen anders und gefährlich war, er hatte gewusst, dass etwas passieren würde, aber Peter hatte nicht auf ihn hören wollen. Jetzt war es zu spät, jemand hatte für Peters Entscheidung und Nates Zurückhaltung büßen müssen. Sämtliche Gesichter von den anderen Gestaltwandlern zogen wie ein Film an seinem inneren Auge vorbei. Er mochte sich nicht vorstellen was Ally wem angetan hatte. Er würde es sich niemals verzeihen, wenn jemand seiner Dummheit wegen gestorben war. Angst und Wut ließen seine Hände zittern und sein Wolf knurrte mit gefletschten Zähnen, auch er hatte instinktiv gespürt, dass Ally nicht hierher gehörte, aber Nathaniel hatte Peters Urteil mehr vertraut. In diesem Moment wünschte er sich nichts mehr, als Ally niemals hierher gebracht zu haben, er hätte sie einfach im Wald lassen sollen.
All diese Gedanken schossen ihm wie leuchtend helle Blitze durch den Kopf bevor er die Augen aufriss und aufsprang, um Ashley bei den Schultern zu packen. Sie musste sich jetzt zusammenreisen. „Hör auf zu weinen, Ashley.“, befahl er ihr. Als sie ihn mit ihren glänzenden, blauen Augen anschaute, sah er seine Sorge und seine Angst in ihrem Blick gespiegelt und fuhr in einem sanfteren Ton fort: „Was ist passiert?“ Im Grunde wollte Nathaniel es nicht wissen, denn manchmal war Unwissenheit ein Segen, er könnte einfach wieder in sein Bett zurücksteigen und weiterschlafen. Doch etwas sagte ihm, dass Ashley nicht ohne Grund ausgerechnet zu ihm gekommen war und nicht zu Peter. Wieder malte er sich die schlimmsten Szenarios aus und seine Fantasie steuerte die schrecklichsten Bilder zu diesen Vorstellungen bei, sodass Nathaniel Übel vor Angst wurde. Was wenn es zum Schlimmsten gekommen war?
„Ally ist weg.“, schluchzte sie und krallte sich in seinen Unterarm. „Sie ist einfach rausgerannt! Ihr Augen waren gelb, sie hat sich verwandelt, ohne Vorwarnung, und ist im Wald verschwunden und jetzt…“ Ashley wurde von einem Schluckauf unterbrochen. "Wer ist verletz? Hat jemand schon den Professor geweckt?“, Nathaniel schüttelte Ashley ganz leicht. Wie konnte sie nur so um den heißen Brei herum reden, wenn dort unten jemand verletzt wurde? Sie musste es ihm sagen! Aber Ashley runzelte nur verwirrt die Stirn und machte sich von ihm los. „Niemand ist verletzt. Es geht um Ally. Sie ist weg! Bevor sie raus rannte, sagte sie mir ich soll dich holen.“ Es dauerte eine ganz Weile, bis Ashleys Worte zu ihm durchdrangen. Niemand war verletzt. Ally hatte niemanden in Stücke gerissen. Es klebte kein Blut an seinen Händen. Nathaniel atmete tief durch und lächelte beinahe. Das Erste was er empfand war grenzenlose Erleichterung. Verdammt, er war wirklich davon ausgegangen, dass etwas Schreckliches passiert war, die Leichtigkeit, die jetzt in seiner Brust herrschte, fühlte sich beinahe an wie fliegen. Doch dann vermischte sich das leichte Gefühl mit Verwirrung. Ally hatte nach ihm geschickt? Sie wusste nichts von der Abmachung, die er mit Peter getroffen hatte, es ergab keinen Sinn, dass sie ihn holen ließ. Andererseits hatte Peter vielleicht Recht, Ally war neu hier und kannte nur ihn und Ashley. Vielleicht vertraute sie ihm tatsächlich, nur weil er es gewesen war, der sie mitgenommen hatte, beziehungsweise sie zurückgeholt hatte. Etwas an diesem Gedanken faszinierte Nathaniel.
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TWO SOULS-Fremde Stimmen
FantasyZwei Seelen, zerrissen zwischen zwei Körpern. Ein Mädchen und ein Wolf, die zusammen gehören und doch nicht eins sind. Und der Ruf fremder Stimmen, die sie in den Wald locken. Ally ist niemals allein, denn da ist dieses Wesen, das in ihrer Brust wo...