Kapitel 2: Anders

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NATHANIEL

Genervt rollte sich Nathaniel auf die Seite. Es war drei Uhr morgens und er hatte noch kein Auge zugetan, weil sein Wolf keine Ruhe geben wollte. Er war gespannt wie ein Bogen und sah in jedem kleinen Geräusch oder bei jeder Bewegung eine Bedrohung. So hatte er sich noch nie aufgeführt.

Völlig übermüdet setzte Nathaniel sich auf und versuchte es zum tausendsten Mal mit einer dieser meditativen Übungen, die Judy ihm gezeigt hatte. Er hielt eigentlich nicht sehr viel davon und hatte solche Maßnahmen nie nötig gehabt, doch er wollte endlich schlafen! Also atmete er tief durch und schloss die Augen. Er versuchte alles was ihn belastete aus seinem Kopf herauszubekommen und konzentriert sich auf seinen Wolf. Dieser scherte sich allerdings wenig um Nathaniels Bemühungen und ignorierte ihn. Als dann auch noch dieses dämliche Rudel anfing zu Heulen, war es um seine Ruhe und Konzentration geschehen. Ärgerlich sprang er aus dem Bett und machte sich auf den Weg in die Bibliothek. Wenn er schon nicht schlafen konnte, konnte er seine Zeit ebenso gut sinnvoll nutzen.

So leise wie möglich schlich er die knarzenden Treppen hinunter, als urplötzlich eine Gestalt vor ihm stand. Mit leuchtend gelben Augen, stand ihm das hagere Mädchen gegenüber, das er heute im Wald gefunden hatte. Er wusste immer noch nicht wie sie eigentlich hieß, doch das schien auch nicht der geeignete Moment zu sein sie nach ihrem Namen zu fragen, da sie offensichtlich ziemlich durcheinander und nicht ganz Herr ihrer Sinne war. Mit bebender Brust und weit aufgerissenen Augen, stolperte sie den Flur entlang, ohne ihn wirklich gesehen zu haben. Sein Wolf knurrte misstrauisch und auch Nathaniel hatte ein komisches Gefühl bei der Sache. Das Mädchen bewegte sich wie eine Schlafwandlerin und ihr Wolf schien ziemlich nahe an der Oberfläche zu sein. Auf jeden Fall war sie gefährlich, für sich und für andere, und er konnte sie so nicht im Haus herum geistern lassen. Vorsichtig folgte er ihr.

Sie suchte nach irgendwas und rüttelte an jeder Tür an der sie vorbeikam, ging aber durch keine hindurch. Er wusste nicht was er tun sollte. Man sagte immer, man solle keine Schlafwandler wecken, doch irgendetwas sagte ihm, das sie nicht einfach nur schlief. Sie war wie in Trance und ihr Wolf kontrollierte sie, ohne dass sie sich verwandelte. Das Fell seines eigenen Wolfs sträubte sich und er musste sich zusammenreißen, sich nicht aus Instinkt zu verwandeln. Etwas stimmte mit diesem Mädchen nicht und am liebsten hätte er einfach den Professor geholt, doch er hatte sie hierher gebracht, also musste er auch dafür sorgen, dass sie niemandem etwas tat. Er musste gerade daran denken was Judy gesagt hatte, als er ihr erzählte wie er sie gefunden hatte -schon in ihrer Wolfsgestalt war sie ihm seltsam erschienen- als die Wölfe im Wald heulten und das Mädchen erstarrte. Wie ein erschrockenes Reh im Scheinwerfer eines Autos verharrte sie in ihrer Bewegung, auch Nathaniel bewegte sich nicht mehr und versuchte kein Geräusch von sich zu geben. Er konnte sehen wie sich alle Muskeln in ihrem Körper anspannten. Dann, ohne Vorwarnung, setzte sie ihre Suche fort, nur schneller und kein bisschen leise. Wenn sie sich nicht im Erdgeschoss befunden hätten, wäre jetzt vermutlich die Hälfte aller Bewohner wach.

 Nathaniel folgte ihr immer noch mit einem Sicherheitsabstand, sie war geradezu manisch und gab ab und zu ein ziemlich wölfisches Winseln von sich. Als sie die Hand auf den Knauf der Eingangstür legte, bildete sich ein Knoten in seinem Bauch und sein Wolf fletschte die Zähne. Doch es war bereits zu spät, als Nathaniel endlich erkannte was sie gesucht und jetzt gefunden hatte. Er konnte lediglich „Stopp!“, rufen, als sie auch schon die Tür aufriss, hinaustrat und sich verwandelte. Der weiße Wolf, drehte den Kopf in seine Richtung, hob seine Lefzen und knurrte einmal tief und grollend, bevor er in der Dunkelheit verschwand. Nathaniel überließ das Handeln nun ebenfalls seinem Wolf und folgte ihr ohne zu überlegen. Der vertraute Schmerz in seiner Wirbelsäule und seinen Gliedmaßen, kündigte den Wechsel an und schon steckte er in der starken Gestalt, des grau-weißen Wolfes.

TWO SOULS-Fremde StimmenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt