Kapitel 3- Die erste OP Vol.2

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„Viel Glück Süße" sie umarmte mich, bevor sie durch die Krankenhaustüre ging und schon von einem Typen erwartet wurde. Seufzend drehte ich mich um und machte mich auf den Weg in den OP. Der Weg kam mir vor, als würde jeder mich anstarren. Als würde jeder mir sagen wollen, dass ich mich dort blamieren würde. Als würde jeder wissen, was mit mir passiert war und alle wussten, dass ich nie etwas gesagt hatte. Feigling, dass dachte jeder über mich. Ich atmete einmal kurz ein und wieder aus, bevor ich die Türe zum Waschraum neben dem OP betrat. Der Patient lag schon auf dem OP-Tisch, stand aber noch nicht unter Narkose. „Und ich dachte schon, ich wäre überpünktlich" Shepherd öffnete die Türe und gesellte sich zu mir. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich versuchte einfach, ihn so wenig wie möglich anzusehen und Abstand von ihm zu halten. Dass er mich „wollte" wie Carina es gesagt hatte, hing mir immer noch im Kopf hängen. Ich wusch meine Hände ab, während ich ihm im Augenwinkel beobachtete, wie er immer mal wieder zu mir rüber sah. „Wohl nicht so gesprächig heute?" er hob seine Hände hoch und ging in den OP, wo ihm Schutzkittel und Handschuhe angelegt wurden. Die Maske hatte er sich schon vorher umgebunden. Ich ging ihm hinterher, wieder sagte ich nichts. „Guten Abend Herr Kaiser, ich hoffe Sie sind bereit" er stellte sich neben den Patienten und beugte sich zu ihm hinunter. „Für Sie doch immer, Doktor" er lachte. „Sehr schön. Doktor Jones wird heute zusehen, dass ich auch ja alles richtig machte" scherzte er, um dem Patienten wahrscheinlich ein gutes Gefühl zu geben. „Wir sehen uns Morgen" verabschiedete er sich von dem Patienten. Er nickte dem Anästhesisten zu, der den Patienten in Narkose versetzte. Ich blieb einfach von Shepherd weg, weil ich mich in seiner Nähe erschreckend wohl fühlte. Und dieses Gefühl wollte ich nicht haben. Er stellte sie hinter den Patienten und bat die Schwestern nach einem Skalpell. „Stellen Sie sich neben mich. Dann können Sie am besten sehen" er zeigte neben sich und fing an, die Schädeldecke oberflächlich aufzuschneiden. Ich bekam Panik, aber befolgte die Anweisung seinerseits. Wenige Zentimeter trennte uns und ich hörte ihn sogar atmen. Das gefiel mir nicht. Ein Schauer fuhr mir den Rücken hinunter und ich musste mich immer wieder daran erinnern, wie mein Stiefvater atmete, während er hinter mir saß. Durch meinen Tagtraum bemerkte ich nicht, dass er kurz zu mir sah, aber dann mit einem Bohrer Löcher in die Schädeldecke bohrte. „Wissen Sie, wieso ich nicht direkt aufschneide?" fragte er mich, während er ungestört weiter bohrte. „Damit der Druck nicht zu hoch ist" er nickte und rückte seine Lupenbrille zurück und fing dann an, mit einer Säge die gebohrten Löcher zu verbinden. Er nahm das runde Teil heraus und stoppte. „Scheiße" flüsterte er und ging näher an das nun offene Gehirn heran und starrte dann auf einen Monitor. „Was ist los?" fragte ich ihn. Er erlaubte mir, einen Blick hinein zu werfen. Er ließ mich vortreten und ich sah hinein. „Ein Tumor" „Richtig" er legte eine Denkpause ein, während er von allen im OP angestarrt wurde. „Wir müssen abbrechen. Darauf ist der OP nicht vorbereitet" „Sie wollen den Patienten wieder schließen? Was ist mit dem Hirndruck?" er sah zu mir und nickte. „Gut aufgepasst. Wir müssen warten" „Warten?" „Bis der Druck sich verringert hat und wir ihn mit gutem Gewissen seine Schädeldecke zurückgeben können" „Wie lange wollen Sie warten?" fragte die Schwester. „Eine halbe Stunde. Falls irgendwas ist, piepen Sie mich an" er legte die Werkzeuge weg und ging wieder in den Waschraum. Ich ging ihm hinterher, blieb aber auf Abstand. „Wie konnten Sie den Tumor übersehen haben?" „Das frage ich mich gerade auch" er schmiss die Handschuhe weg und steckte seine OP-Haube wieder ein, auf der Fähren abgebildet waren. Wieso zum Teufel Fähren? „Ich geh in die Cafeteria, mir einen Kaffee holen. Wollen Sie mit?" ich sah auf die Uhr. Halb 11. Unsicher schwieg ich. „Sie können auch nachhause. Aber das wäre eher schlecht für Ihre Bewertung" er fuhr sich durch die Haare und wartete auf eine Antwort. „Ich komme mit" lächelnd nickte er und wir beide machten uns auf den Weg in die Cafeteria. Er holte sich einen Kaffee, schwarz. Und mir einen mit Milch und Zucker. Wir setzten uns an einen Tisch und ich sah ihm dabei zu, wie er kurz ein paar Zeilen auf seinem Handy tippte, bevor er es wieder einsteckte. Vielleicht schrieb er seiner Freundin, dass er sich verspäten würde? „Woher kommen Sie?" er nahm einen Schluck Kaffee und sah mich weiterhin mit seinen Ozeanblauen Augen an. „Aus Seattle" log ich. Ich wollte ihm kein einziges Detail meiner Vergangenheit anvertrauen, geschweige denn, mir eingestehen, dass ich diese Vergangenheit habe und nicht abwehren kann. „Schön. Mich hat es von der Westküste hierhergezogen" erzählte er mir. Ich drückte meine Finger nur gegen den warmen Kaffee und vermied jeglichen Blickkontakt. „Ist bei Ihnen alles ok? Sie waren im OP schon so komisch" ich schluckte und sah weiterhin nicht zu ihm auf. Ich wollte, aber konnte nicht. „Nein. Nein...Schon ok" ich könnte mich dafür schlagen, dass ich wieder so nervös war. „Okay. Wenn Sie meinen" er trank seinen Kaffee leer und warf ihn in den nächsten Mülleimer, bevor er sich wieder setzte. Sein Pager fing an zu piepen und er sah drauf. „Es geht weiter. Trinken Sie leer" von der peinlichen Stille abgesehen, war die Unterhaltung ganz okay gewesen. Aber ich wusste auch nicht, wie man sowas macht. Mit einem Mann reden. Ich habe das nie gemacht und wollte es nie. Ich schmiss meinen leeren Kaffeebecher weg und joggte ein bisschen, da ich seinem schnellen Schritt nicht folgen konnte. Er war viel größer als ich und hatte demnach auch längere Beine. Wir führten das übliche Prozedere vor der OP durch und gingen wieder hinein. Dieses Mal stellte ich mich direkt auf den Platz neben ihn. „Doktor Shepherd" „Hm?" er war voll konzentriert auf seine Arbeit, dass er gar nicht bemerkte, dass der Monitor wild piepte. „Herzinfarkt" sagte ich und er hob seinen Kopf. Er drückte mir seine Geräte in die Hand und ging um den Patienten herum. Er schnitt die Brust mit einem Skalpell auf, gab den Schwestern irgendwelche Anweisungen für Infusionen. Wieso schneidet er denn bitte die Brust auf? Als der Herzschlag langsamer wurde und der Monitor einen einzigen, hohen Ton von sich gab, nahm er die Rippen-Spreizer in die Hand und fing an, das Herz des Patienten eigenhändig zu massieren. „Wieso keinen Defi?" „Weil er sonst einen Schock bekommt" durchgehend starrte er auf den Monitor. Wieso rief er nicht einen Kardiospezialisten? Sein Herz fing wieder an zu schlagen und meines gleich mit. „Gott sei Dank" erleichtert stöhnte er und schloss die Brust des Patienten wieder. Mittlerweile war es kurz vor Mitternacht. Er beendete die Operation, in dem er die Schädeldecke wieder schloss. Das dauerte eine weitere, halbe Stunde. „Vielen Dank. Super Arbeit" lobte er sein Team, als er den OP verließ.

„Das war wirklich der Hammer!" lobte ich ihn total aufgeregt von dem Koffein- und Adrenalinschub. „Nicht wahr?" er lachte und lief mit seiner braunen Aktentasche und seiner braunen Jacke aus dem Krankenhaus hinaus. Es war schon dunkel draußen und dazu noch ziemlich kalt. Vor dem Ausgang blieben wir zum Stehen. Wir sahen in den Himmel. Es war das erste Mal, dass ich mich in der Nähe eines Mannes wohlfühlte. „Also dann" er drehte sich zu mir und lächelte mich an. „Das war wirklich...Super" immer noch erstaunt von seiner Leistung im OP mussten meine Augen nur so strahlen. Ich hoffte so sehr, dass er diesen Moment nicht zerstören musste. „Danke. Sie waren auch gut. Sie haben super zugeschaut" scherzte er und vergrub seine Hand in seiner Jackentasche. „Wir sehen uns morgen, Doktor Jones" „Bis Morgen" er nickte und ging dann Richtung Auto, genauso wie ich. Dieser Tag war der schönste seit langem gewesen.

Derek Shepherd- Der Schatten der WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt