Kapitel 10- Date Vol.2

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Nachdem wir auch das Essen bestellt hatten und der Wein endlich da war, hob er mir sein Glas hin, damit wir anstoßen konnte. „Darauf, dass du mich nicht hast abblitzen lassen" scherzte er und ich ließ mein Glas gegen seines Stoßen, was einen leisen, hellen Ton hervorbrachte. Wir nahmen den ersten Schluck, aber hielten Augenkontakt. „Also...Wieso genau Neuro?" wollte ich ihm mit der ersten Frage zuvorkommen. Er lachte leicht und stützte seine Hände aufeinander. „Tja...Warum eigentlich...Gute Frage. Ich war damals, als ich noch auszubildender Assistenzarzt war, wie du jetzt, hatte ich einen Lehrer mit dem ich mich gut verstand und der mir die Neurologie interessant machte. Dann habe ich mein Talent entdeckt und nun bin ich hier. Am Seattle Grace als Leiter der Neurochirurgie" offensichtlich war er stolz darauf. „Und wenn ich ehrlich bin, bist du die mit am meisten Talent. Das solltest du nicht verschwenden und zu mir in die Neuro kommen" „Ist das jetzt ein Bewerbungsgespräch?" ich lachte. „Bei Gott nein. Ich meine ja nur. Ich erkenne dein Potential. Und du hoffentlich auch" er griff nach seinem Weinglas und trank einen Schluck. „Ich will nur nicht, dass das hier meine Karriere beeinträchtigt. Und andersherum genauso" verständnisvoll nickte er. „Ja, dass verstehe ich. Wir versuchen einfach, privates von beruflichem zu trennen. Der erste Schritt dafür, wir reden heute Abend nicht mehr über die Arbeit" er lehnte sich von seinem Stuhl zurück, wobei der zweite Knopf seines Hemdes aufging. „Klar. Kein Problem für mich" ich wand meinen Blick so schnell es ging wieder von seinem Schlüsselbein ab und sah auf das Essen, das gerade gekommen war. Nachdem wir uns guten Hunger und das alles gesagt haben, kamen wir erst richtig ins Gespräch. Der Wein schien mich und ihn lockerer zu machen. Die Pausen zwischen unseren Sätzen wurden immer kürzer, bis wir nur noch ohne Punkt und Komma Geschichten aus unserem Leben erzählten, über die wir lachen konnten. Zum Beispiel erfuhr ich, dass er früher in der Grundschule immer für seine Brille gehänselt wurde, da er damals noch eine trug. Das ist jetzt nicht mehr nötig, da er sich die Hornhaut hat richten lassen und brauchte nun nur noch ab und zu mal Augentropfen.

„Und du? Irgendwelche lustige Ereignisse aus deiner Kindheit?" ich sah kurz auf die Straße und dann wieder zu ihm. Wir hatten bezahlt und spazierten jetzt die Straße entlang. Meine Kindheit war alles andere als lustig, weshalb ich das meiste von damals verdrängt hatte und mich an so gut wie nichts mehr erinnern konnte. „Nein aber ich...An unserer Schule gab es mal so ein Mädchen" fing ich an. Ich hatte 3 Gläser Wein gehabt, genauso wie er. „Und dieses Mädchen hatte wirklich nie Freunde, also wirklich nie. Weil sie nie redete. Weil sie immer das „komische Mädchen" war. Und keiner wusste wirklich was über sie. Weder woher sie kam, ob sie Geschwister hatte oder sowas. Jeder dachte immer, sie wäre eine Waise. Weil ihre Eltern nie zum Elternsprechtag kamen, oder sie nie etwas über sie sagte. Was die anderen ja eigentlich nicht wundern sollte, da sie ja sowieso nie mit irgendjemand redete. Und deshalb wurde sie immer ausgeschlossen, als letzte gewählt und von den anderen beleidigt. Keiner hat ja etwas dagegen getan" er hatte seine Hände in den Hosentaschen und sah mich an, während ich redete. Er blieb stehen, als ich mit meiner Geschichte fertig war und wir wieder auf dem Parkplatz standen. Wir standen unter dem schwachen Licht des Restaurants und einer Straßenlaterne auf der anderen Seite. Immer mal wieder rauschte ein einzelnes Auto an uns vorbei. „An unserer Schule gab es mal einen Jungen", fing er an zu erzählen. Ich musste lächeln, weil ich wusste, worauf das Hinauslief. „Dessen Vater arbeitete in einem kleinen Laden am Ende einer langen, vielbewohnten Straße, irgendwo an der Westküste Amerikas. Der Junge hatte auch eine Mutter und 4 Schwestern. Er war der älteste. Er liebte seinen Vater über alles, das wusste jeder an dieser Schule. Und eines Tages, kam dieser Junge nicht mehr in die Schule, für mehrere Wochen." Ich bemerkte, dass ihm diese Geschichte ziemlich nahe ging. „Du musst mir das nicht erzählen" versuchte ich, ihn noch aufzuhalten. „Ich weiß. Aber es ist ein Teil von mir, den ich akzeptiert habe. Lass mich bitte weitererzählen" er sah mich an, und die Tränen in seinen Augen reflektierten das Licht. Ich nickte nur. „Und dann kam eine Frau in die Klasse des Jungen, um ihnen von ihm und dem zu erzählen, was passiert war, obwohl es eigentlich eh schon alle wussten. Sie erzählte, dass am letzten Tag, an dem dieser Junge in der Schule war, er danach mit seiner kleinen Schwester seinen Vater von der Arbeit abholen wollte. Plötzlich standen zwei Männer im Laden seines Vaters. Sie hatten Waffen in der Hand. Der Junge war noch zu klein, um wirklich zu realisieren, was gerade passierte. Trotzdem stellte er sich schützend vor seine kleine Schwester. Die Männer verlangten, ihnen all das Geld aus der Kasse des Ladens zu geben, was er auch tat. Dann verlangten die Männer aber auch die Uhr an seinem Handgelenk, die das Geschenk zum Hochzeitstag seiner Frau war. Er weigerte sich, ihnen die Uhr zu geben und hielt stand, als sie ihm die Uhr vom Handgelenk reißen wollten. Doch dann fiel ein Schuss. Die Kugel des Revolvers des eher stillen Mannes, durchbohrte die Brust des Vaters. Sofort rannten die Männer aus dem Laden. Wenige Sekunden später, war er tot" er beendete die Geschichte und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Es tut mir...Es tut mir so leid" ich war gar überfordert mit der Situation. So eine krasse Geschichte hatte ich noch nie gehört, nur meine eigene. Dass er sie mir anvertraute, war schon beeindruckend. „Es braucht dir nicht leidtun. Das ist mehr als 20 Jahre her, ich habe damit abgeschlossen" er lächelte wieder. Ich war davon beeindruckt, wie stark er eigentlich war. „Ich wollte dir nur damit sagen, dass es okay ist, wenn deine Vergangenheit so scheiße war, wie du sie beschrieben hast. Was für mich zählt ist deine Zukunft und die Gegenwart. Alles andere ist erstmal nicht wichtig" er trat einen Schritt auf mich zu und wagte den ersten Körperkontakt des heutigen Abends. Er legte seine Hand an meine Wange und küsste mich. Wie Carina es beschrieben hatte, fing mein Körper an, wie wild darauf zu reagieren. Glückshormone und Schmetterlinge durchkreuzten meinen ganzen Körper. Er nahm seine Hand wieder von meiner Wange und zog seinen Kopf wieder zurück. „Soll ich dich noch nachhause fahren?" er lächelte wieder charmant und ließ die Lampen seines Porsches aufleuchten. „Gerne" ich stieg auf die Beifahrerseite und schnallte mich an. Es war absolut kein komisches Gefühl mehr, alleine mit ihm zu sein. Meine Angst vor ihm war verschwunden und wurde durch Vertrauen ersetzt. Er fuhr los, es war 23:25. Eine Stunde später, als ich vorhatte, wegzubleiben. „Sag mir einfach, wo ich lang muss" ich lotste ihn den ganzen Weg bis zu Carinas und meinem zuhause, wo man durch die Vorhänge schon Licht im Wohnzimmer sah. Er stieg mit mir aus und brachte mich sogar bis zur Türe, die ich aber noch nicht öffnete. „Danke für diesen unglaublichen Abend" bedankte ich mich bei ihm und sah zu ihm hoch. „Kann ich nur zurückgeben. Wir sollten das auf jeden Fall wiederholen, so schnell es geht. Natürlich nur, wenn du es willst" ich nickte übertrieben auf seine Frage. Zufrieden lächelte er. Ich legte meine Hand auf seine Schulter und strich zu seinem Hals. Wieder küssten wir uns. Ich legte auch meine andere Hand an seinen Hals und meinen Kopf ein wenig schräg, damit wir beide es bequemer hatten. Ich genoss diesen Kuss so sehr. Und ganz plötzlich setzten Gefühle in mir ein, die ich noch nie hatte, als sich unsere Zungen das erste Mal berührten. Ich löste unsere Lippen kurz und sah ihn an. Mein lautes Atmen war nicht zu überhören. Er fuhr meine Seite entlang und sah mich ebenfalls an. Direkt küssten wir uns wieder. Nur viel, viel intensiver als vorher. Er drückte mich gegen meine Hauswand und steckte mir seine Zunge in den Hals, was ich aber auch bei ihm tat. Ich massierte, durch meinen immer mal wieder stärker werdenden Griff, seinen Nacken. Er drückte mich mit seinem Körper gegen die Wand und fuhr mit seinen Händen fiel zu weit runter. „Du solltest jetzt gehen" ich drückte meine Hände sanft gegen seine Brust um den Abstand zwischen uns wieder herzustellen. „Ja. Ja ich sollte gehen" stimmte er mir zu und richtete kurz seine Haare. „Bis Morgen. Und nochmal danke" er ging die Auffahrt hinunter und sah ein wenig verwirrt aus. Bevor er wegfuhr, öffnete ich die Türe und schloss sie so leise wie möglich, denn vom Wohnzimmer aus kann man alles hören und sehen was vor der Türe geschah, ohne dass es jemand bemerkte. „Ich wollte euch schon fragen, ob ihr euch gleich draußen auszieht oder doch lieber auf dein Zimmer geht" sie lachte spöttisch. „mhm. Jaja" ich konnte ihr nicht böse sein, da der Abend heute viel zu schön gewesen war. „Der wollte dir sowas von an die Wäsche" sie folgte mir wie eine Klette in die Küche. Ich ignorierte ihre Aussage einfach. „Aber komm, erzähl. Wie wars? Abgesehen von dem Teil, den ich gerade mitbekommen habe?" sie setzte sich an die Theke und sah mich wartend an. „Es war wirklich richtig gut. Und er hat mir wirklich krass schlimme Dinge erzählt" „Sag ich dir nicht, das war im Vertrauen. Brauchst dir keine Hoffnungen machen" enttäuscht ließ sie die Schultern hängen. „Werdet ihr euch wiedersehen?" ich nickte und musste dabei grinsen. „Hat er auf jeden Fall gesagt, ja" ich fuhr mir durch die Haare und seufzte glücklich. „Ich vertraue ihm wirklich. Das ist wirklich was Besonderes" „Awww" sie sah mich gerührt an. „Aber jetzt gehe ich lieber ins Bett, es ist ja schon ziemlich spät. Bis morgen" ich umarmte sie und ging dann noch oben. Meine Gedanken waren bei ihm, was ihm passiert war und wie wir uns so leidenschaftlich geküsst hatten. Ich hatte das Gefühl, mich solangsam zu verlieben.

Derek Shepherd- Der Schatten der WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt