Die Abschiebung: „Beerdigung meines Lebens.“
Juni 2005. Ein schöner, warmer Monat. Ein Monat, wie jeder andere auch. Aber für uns auch ein Monat voller Angst. Angst, dass es passiert. Dass wir zurück müssen. Zurück in ein Land, das ich nur vom Hörensagen kannte, denn das Licht der Welt hatte ich in Deutschland erblickt.
Es war ein Montag. Ich hatte mich nach der Schule mit meiner besten Freundin zu einer Fahrradtour verabredet. Wir fuhren den langen Weg bis zum großen Einkaufszentrum, schlenderten eine Weile durch die Klamottenabteilung und besuchten anschließend eine andere gute Freundin.
Wir sprachen über Mädchenkram, aßen Eis und amüsierten uns. Dann sagte meine beste Freundin plötzlich: „Ich glaub ich sterbe, wenn du irgendwann abgeschoben wirst.“ Wir lachten. Ich lachte mit, obwohl sich ein mulmiges Gefühl in mir breit machte. Wie hätten wir auch ahnen können, dass es nur ein paar Stunden später tatsächlich passierte. Ironie des Schicksals. Ich lache heute noch darüber.
Am Abend saß ich zu Hause mit meiner Familie und sah fern. Schon seit einer Weile übernachteten wir Dienstags immer bei einem Onkel, da man sich erzählte, dass die Abschiebungen meistens Mittwochs und Freitags in den frühen Morgenstunden stattfanden. Aber es war ein Montag. Montag. Also schliefen wir zu Hause. Zum letzten Mal.
Meine große Schwester lebte seit einer Weile mit ihrem sieben Monate alten Sohn bei uns, besaß aber zwei Straßen weiter eine eigene Wohnung. In genau dieser Wohnung schlief mein Vater seit einigen Wochen. Paranoid? Nein, eher nicht. Man ist nicht paranoid, wenn tatsächlich jede Nacht das geschehen kann, vor dem man so große Angst hat.
Mitten in der Nacht wurde ich aus dem Schlaf gerissen. Meine Mama rüttelte an meinem Arm.
Überall war das Licht an und sie weinte. Ich verstand nichts. „Steh auf, wir müssen gehen“, sagte sie.
Verwirrt stand ich auf und sah im Flur vier Polizisten stehen. Meine Schwestern weinten. Mein Bruder weinte. Meine Mutter weinte. Mein kleiner Neffe kreischte. Ein hektisches Durcheinander. Ein ähnlicher Wirrwarr, fand in meinem Kopf statt.
Wo mein Vater sei, fragten sie meine Mutter. Bei seinen Brüdern, log diese. Wir sollten zwei Koffer packen und mitkommen. Sie würden uns auch ohne Papa mitnehmen. Ich hatte mich angezogen und saß mit meinem Neffen auf dem Bett. Die Beamten folgten uns auf Schritt und Tritt. Geschrei, Weinen, Geschrei. Die Nachbarsfamilie, ebenfalls aus dem Kosovo, stürmte herein. Noch mehr Tränen. Jetzt weinte ich auch.
Mein Bruder rief seinen besten Freund an. Der Junge stand keine fünf Minuten später völlig fassungslos vor unserer Wohnungstür. Er war mitten in der Nacht, vom drei Kilometer entfernten Nachbarort hierher gerannt und die wollten ihn allen ernstes nicht reinlassen. Ein kurzes Gerangel vor der Tür folgte. Flüche auf Albanisch. Geschrei. Letztendlich ließen sie ihn doch durch.
Er fiel meinem Bruder weinend um den Hals. Eine feste, brüderliche, verzweifelte Umarmung. Zwei Albaner, die sich heulend im Arm liegen sieht man nicht alle Tage. Einer der Beamten wischte sich Tränen aus den Augen, Er hatte sich ein bisschen zur Seite gedreht dabei. Ich glaube er wollte nicht, dass es jemand sieht.
Koffer gepackt. Abfahrbereit. Ich weiß noch, was ich angezogen hatte. Einen rosafarbenen Blazer und eine rote Hose. Klingt nach Geschmacksverwirrung. Damals war es Mode. Das waren neue Sachen, die ich da zur Beerdigung meines Lebens trug.