Terror:
Das Erste, das ich wahrnehme ist das Klingeln in meinen Ohren. Ich friere, und ich liege bäuchlings auf dem kalten Boden. Dann spüre ich plötzlich den Schmerz. Ich fühle mich, als wäre ich von einem Lkw überrollt worden und kurzzeitig glaube ich, dass das auch der Fall ist. Aber dann dringen die Töne um mich herum endlich zu mir durch und ich wünschte, ich wäre taub. Denn ich höre Gekreische, Jammer, Weinen, Gebete. Rechts von mir verlangt ein Kind nach seiner Mama. Links bittet jemand stöhnend um Hilfe. Die Stimmen vermischen sich zu einem Meer von Terror. Und dann ist es, als hätte mich der Blitz getroffen – das ist Terror.
Panik jagt durch meinen Körper. Als ich aufstehen will, streikt mein linkes Bein. Ich stoße einen Schmerzensschrei aus und drücke mein Gesicht auf den kalten Boden. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Schmerzen! Es ist, als stünde mein Bein in Flammen, als hätte Dr. Frankenstein daran herumexperimentiert. Ohne Betäubung. Trotzdem – der Lärm um mich herum zwingt mich auf die Beine. Mit zusammengebissenen Zähnen und Tränen, die mir vor Schmerz über die Wangen kullern, schaffe ich es aufzustehen.
Mir ist schlagartig übel und ich schwanke so stark, dass ich fast augenblicklich wieder auf den Boden knalle. Doch eine starke Hand um meinen Arm hält mich aufrecht. Ich habe keine Ahnung wer dieser Mann ist, aber so plötzlich wie er auf einmal neben mir steht, so schnell verschwindet er auch schon wieder hinter einer Staubwolke. Verwirrt versuche ich meine Gedanken zu ordnen. Ich schaue mich um und erwarte fast schon mich auf dem Schlachtfeld in Syrien oder Palästina wiederzufinden. Aber nein, ich stehe mitten in der Stuttgarter Innenstadt.
Hunderte Menschen, die bis vor wenigen Augenblicken unbeschwert die Königstraße entlangliefen. Hunderte Menschen, die dabei waren ihren freien Sonntag zu genießen, bevor es morgen wieder an die Arbeit gehen würde. Hunderte Menschen ... und Ich, die sich an diesem verkaufsoffenen Sonntag ein Buch kaufen wollte. Ein gottverdammtes Buch! Bis die Commerzbank in die Luft ging und plötzlich die Hölle ausbrach.
Der neue Roman meines Lieblingsautors ist längst vergessen, während ich versuche mich vorwärts zu bewegen. Wohin genau, weiß ich nicht. Ich folge der Menge, die zum Schlossplatz zu rennen scheint. Gerade als mein Unterbewusstsein mich ermahnt, dass das keine gute Idee ist, ertönt aus der Ferne ein lauter Schrei. „Allahu Akbar! Allahu Akbar!", brüllt jemand in ein Megafon. Automatisch folgen meine Augen der Stimme – und diesmal wünsche ich mir, ich wäre blind.
Was ich sehe, lässt sich mit nichts vergleichen. Es gibt eklige Serien, eklige Spiele, eklige Horrorfilme. Man weiß, dass das nur gespielt oder sogar programmiert ist, aber es gibt Szenen, bei denen es einem eiskalt den Rücken herunterläuft. Bei denen man kurz die Augen schließt und das Gesicht verzieht. Und doch – eine weitere Explosion folgt – nichts toppt die Realität.
Nichts toppt das Erlebnis einen Menschen buchstäblich beim Explodieren zuzusehen. Nichts toppt es, wenn man sieht, wie menschliche Gliedmaßen durch die Luft fliegen. Wenn man sieht, wie sich das Grün des Rasens in eine rötliche Pfütze aus Blut verwandelt. Niemals würde ich die Bilder aus meinem Kopf bekommen – niemals.
Mein Magen rebelliert. Ich stütze meine Hände auf meinen Knien ab und übergebe mich. Nach Luft keuchend starre ich kurz auf mein Mittagessen, das nun auf dem Boden liegt, bevor ich mich wieder aufrichte. Ich muss hier weg und zwar schnell. Während ich mir mit dem Ärmel den Mund abwische, taumele ich, trotz der pulsierenden Schmerzen in meinem Bein, durch die in Panik geratene Menschenmasse.
Eine mir allzu bekannte Melodie dringt plötzlich zu mir hindurch. Es dauert eine Weile, bis ich den Ton einordnen kann und mir bewusst wird, dass es der Klingelton meines Handys ist. Ich greife in meine Jackentasche und schaue auf das Display – Mama. Mein Herz setzt einen Schlag aus.