Du weißt nicht, was du willst

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Verschlafen öffnete sie die Augen und streckte den Arm aus, nur um wieder einmal ins Leere zu greifen. Frustriert stöhnte sie auf und drehte sich auf den Rücken. Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und tropfte auf das Kissen. Sie ballte die Hände zu Fäusten und schlug in die Matratze, doch auch das konnte ihre Wut nicht lindern. Noch ein paar Minuten lag sie einfach da und starrte an die Decke; versuchte das Chaos in sich irgendwie zu ordnen. Immer wieder dasselbe. Viel zu oft wachte sie morgens alleine auf, weil die andere schon ihre Wohnung verlassen hatte. Dabei war sie sich sicher, dass sie beide die gemeinsame Zeit genossen. Bewusst hatten sie dem ganzen keinen Namen gegeben. Hatten sich einfach aufeinander eingelassen, ohne Verpflichtungen. „Lass uns gucken, wie es wird okay?" Die Stimme von Yvonne klang deutlich in ihren Ohren, während sie langsam ins Bad ging und ihr Schlafshirt neben die Dusche fallen ließ. Das heiße Wasser tat ihr gut. Sie verfluchte sich selbst dafür, damals zugestimmt zu haben. Ja, sie war es sogar gewesen, die noch einmal bestätigt hatte, dass ein lockeres Verhältnis ganz in ihrem Sinne war. Hätte sie in dem Moment bloß gewusst, wie die andere 'lockeres Verhältnis' auslegen würde. Sie griff nach der Flasche mit dem Shampoo und begann sich die Haare zu waschen, während ihre Gedanken weiter Kreise zogen. Vielleicht sollte sie es besser beenden, bevor sie sich ganz darin verlor. Yvonne schien es zu gefallen, dass jeder Schritt von ihr scheinbar keine Konsequenzen nach sich zog, dabei hätte Steff ihr zu gerne einmal die Meinung gesagt. Vor ein paar Tagen, nach einem langen Gespräch mit ihrer besten Freundin bei viel Wein und Pizza, hatte sie sich getraut, wenigstens einmal zu fragen, wie die andere zu ihr stand.

„Was ist das genau für dich? Es gibt Tage, da verbringen wir jede freie Minute zusammen. Es gibt Wochenenden, an denen wir uns gar nicht sehen und dann wieder Morgen, an denen du wie selbstverständlich in meine Küche stehst und Frühstück machst. Du kennst meine Freunde und bist gerne dabei, wenn ich Zeit mit ihnen verbringe, aber dann gehst du abends mit einer deiner Freundinnen aus und ich weiß nicht einmal davon. Du bist für mich da, wir schlafen miteinander und wenn ich aufwache, bist du weg. Was willst du?"

Kurz hatte sie gedacht, so etwas wie Unsicherheit in den viel zu blauen Augen der anderen zu erkennen, doch dann hatte diese ihr vorsichtig über den Arm gestrichen und mit den Schultern gezuckt. „Ich dachte, wir wollten keine Verpflichtung? Ich lege mich ungern fest und du warst damit einverstanden. Ist das jetzt doch ein Problem für dich?" Bevor sie antworten konnte, legten sich ein paar Lippen auf ihre und erstickten jeden Protest im Keim. Danach hatten sie einfach weiter gemacht wie zuvor. Sie stellte das Wasser ab und stieg aus der Dusche, wo sie sich in ein großes Handtuch einwickelte. Es hatte keinen Sinn mehr. Die Erkenntnis traf sie so plötzlich, dass sie sich mit einer Hand am Waschbecken abstützen musste. Sie konnte nicht noch länger in dieser verschobenen 'Beziehung' sein. Auch wenn sie sich nie etwas versprochen hatten, waren sie zusammen gewesen – auf eine lockere Art und Weise. Doch sie hatte sich wenigstens ein bisschen mehr 'wir' erhofft, als diese Einzelkämpfer-Mentalität, in der sie nun feststeckte, zuließ. Sie beeilte sich damit, sich abzutrocknen und lief so schnell es ging zurück ins Schlafzimmer. Ihr Handy lag auf dem Nachttisch. Überrascht blickte sie auf die Nachricht von ihr. >Habe eine Songwriting Session sehen wir uns später?< Kurz zögerte sie, tippte dann jedoch trotzdem eine Antwort. >Okay, wir REDEN später.< Dann ging sie zu ihrem Kleiderschrank, um sich anzuziehen.

Es war Abend geworden und sie saß mit einem Glas Wein in der Hand auf ihrem Sofa, als sie hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte. Ihren Tag hatte sie zusammen mit den Jungs im Proberaum verbracht. Eigentlich wollten sie an einem neuen Song arbeiten, doch sie war immer schon jemand gewesen, der seine Emotionen nur schwer verstecken konnte und so hatte sie den Dreien irgendwann ihr Herz ausgeschüttet. Als Yvonne nun ihr Wohnzimmer betrat, blickte Stefanie auf. „Hey...", ein leichtes Lächeln lag auf dem Gesicht der Älteren. „Was fühlst du?" Steff schlug sich die Hand vor den Mund. So hatte sie das Gespräch sicher nicht beginnen wollen, aber den ganzen Tag schon lagen ihre Emotionen offen; sie konnte einfach nicht mehr. Yvonnes Lächeln frohr ein und sie blickte die Jüngere mit großen Augen an. „I-ich..." Ihre Hände nestelten an dem Henkel ihrer großen Sporttasche herum, die sie lieber immer mitschleppte, anstatt auch nur eines ihrer Kleidungsstücke bei Steff zu deponieren. „Du weißt es nicht." Das war keine Frage mehr gewesen. Die Dunkelhaarige hatte ihr Weinglas abgestellt und sich erhoben. „Ich weiß, wir hatten gesagt keine Konsequenzen, aber ich kann das nicht mehr und immer wenn ich versucht habe, es anzusprechen, bist du mir aus dem Weg gegangen. Ich hab mich auf dich und deine Art eingelassen, aber du hältst dir alles offen, bis jeder in deinem Umfeld dich verlässt, merkst du es denn gar nicht?" „Steff, ich..." „Was fühlst du?" Bewusst hatten sie die Frage wiederholt, um erneut die Reaktion der anderen beobachten zu können. Viel zu lange hatte ihr der Mut für all das hier gefehlt, aber sie musste diesen Schritt jetzt gehen. Der Langhaarigen lief eine einzelne Träne über das Gesicht, als sie den Kopf schüttelte. „Zwing mich nicht... bitte... ich lege mich ungern fest." „Dann hat es keinen Sinn mehr, Yvonne. Ich habe dir so viele Freiräume gelassen, ich habe diese 'Beziehung' nicht gelabelt, ich hab dir nichts versprochen und ich habe all die kleinen Probleme, die es gibt so lange nicht angesprochen." Steff fuhr sich durch die Haare und versuchte das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken, doch ihre Stimme verriet sie trotzdem. „Geh bitte... Sachen hast du ja sowieso keine hier." Sie wandte den Kopf ab und ging wieder in Richtung Sofa. Ein erstickten Laut sorgte dafür, dass sie herumfuhr. Yvonne stand immer noch im Türrahmen, eine Hand so fest um den Griff ihrer Tasche gekrallt, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie wirkte unglaublich verloren, doch als ihr Blick erneut auf den von Steff traf, straffte sie ihre Schultern und löste ohne ein Wort zu sagen den Haustürschlüssel der anderen von ihrem Schlüsselbund. Sie machte zwei Schritte nach vorne und legte ihn auf die Sofalehne, dann blickte sie der Dunkelhaarigen ein letztes Mal in die Augen. „Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, was genau ich in einer Beziehung suche Stefanie. Ich dachte, du kommst damit klar." „Das dachte ich auch, aber du hättest mit mir darüber reden müssen... wenigstens einmal." Ohne eine weitere Reaktion drehte Yvonne sich um und verließ die Wohnung. Es tat ihr weh zu wissen, dass es zu Ende war, aber es war für sie nicht das erste Mal, dass ein Verhältnis so zu Ende ging. Die Hoffnung, dass es mit Steff anders sein würde, hatte sie trotzdem gehabt. Sie spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten und lenkte ihre Gedanken schnell in eine andere Richtung. Dann machte sie sich in der Dämmerung auf den Weg zu ihrer eigenen Wohnung.

[Doch du weißt nicht, was du willst,
du legst dich ungern fest,
du hältst dir alles offen,
bis jeder dich verlässt.
Du weißt nicht, was du fühlst,
weißt nicht, was du suchst,
irgendwas weit weg von mir.]

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 30, 2021 ⏰

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