ҜΔPITΣL 20.2

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„Und das nennt Ericson tolles Extratraining?", stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen aus. Wir laufen nun etwa seit einer Dreiviertelstunde, und auch wenn sich meine Fitness in den letzten Wochen gravierend verbessert hat, läuft mir wie den anderen Schweiß über die Stirn. Alda neben mir wird langsamer und fällt schließlich in ein schnelles Gehen, das ich nur zu gerne übernehme. „Ich glaube schon, dass dieses Training ein Vorteil für uns ist", überlegt sie. „Ich habe gehört, dass unsere Abschlussprüfung mit Mutationen zu tun hat, und wir haben dann zumindest schon einmal gegen eine gekämpft."

„Eigentlich unfair", murmele ich schnell atmend. „Wir gehören doch sowieso zu der besseren Hälfte."

Darauf weiß sie auch keine Antwort.

Mittlerweile sind wir allein. Wir haben uns bemüht, die wenigen Achtzehnjährigen, die ebenfalls in diese Richtung aufgebrochen sind, abzuhängen. Auch wenn ihre Gesellschaft beim Kampf vielleicht von Vorteil wäre, sind wir beide froh über die Ruhe. Die anderen scheinen sich außerdem nicht groß anzustrengen, zuerst eine Mutation zu finden. Für sie ist der Tag vermutlich eine willkommene Abwechslung, ein Spiel. Alda hat nur genervt den Kopf geschüttelt, als wir ihr Gelächter und spielerisches Raufen endlich hinter uns gelassen hatten. Keine Phase des Tests ist ein Spiel.

Nach einer weiteren halben Stunde machen wir kurz Rast. Ich setze mich auf einen Baumstamm, Alda auf ihre Jacke. Wortlos essen wir von unserem Proviant, genießen die friedliche Stille des Waldes. Anfangs haben wir uns noch über das Training unterhalten, doch irgendwann hat sich Schweigen zwischen uns ausgebreitet. Wir scheinen beide nicht über unser Leben vor der dritten Phase reden zu wollen, und die Ruhe ist eine willkommene Abwechslung zum aufgeregten Chaos im Bunker.

Wir wollen gerade weiterlaufen, als ich ein Geräusch im Gesträuch neben mir vernehme. Mit einer raschen Handbewegung bedeute ich Alda, ruhig zu sein. Ein weiteres Knacken ertönt, scheinbar von einem zerbrochenen Zweig.

Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen, meinen Dolch gezückt. Alda nickt mir kurz zu, bevor sie von der anderen Seite um das hüfthohe Gebüsch herumgeht. Wir sind beide nicht auf das Wesen vorbereitet, das plötzlich hervorspringt und Alda eine rote, von Brandblasen übersäte Hand um die Kehle legt. Mit weit aufgerissenen Augen und röchelnd starrt sie auf das Wesen hinunter, das sie so weit oben hält, dass sie mit den Füßen in der Luft baumelt. Einen Augenblick lang bin ich wie erstarrt. Das Wesen ist ... ein Mensch. Mit zerrissener Kleidung und Brandblasen und Verbrennungen am gesamten Körper, aber ... ein Mensch. Mit wilden Augen und einem verzerrten Grinsen auf dem Gesicht starrt es mich an.

Ein Kampfesschrei dringt aus meiner Kehle, als ich den Abstand zwischen mir und der Kreatur überbrücke und ihr meinen Dolch in den Bauch stechen will. Die Mutation lässt Alda zwar los, die hustend und spuckend auf dem Waldboden landet, aber weicht meinem Schlag aus. Eine tödliche Gelassenheit breitet sich auf einmal in mir aus. Ich ignoriere Alba, bringe das Wesen, das sich nur mit einem Stock, dessen Enden scharf zugeschnitzt sind, verteidigt, in Bredouille. Ich rieche ihren modrigen Geruch, nehme jeden ihrer wütenden Angriffe schon Sekunden vorher wahr. Die Mutation ist stark, aber berechenbar. Als ich sie zu Fall bringe und ihre behelfsmäßige Waffe in hohem Bogen ein paar Meter weiter auf dem Boden landet, spüre ich beinahe Phoenix Blicke auf mir. Seine schwarzen Augen scheinen sich in meine zu bohren. Verliere nicht die Kontrolle.

Ich stelle mir vor, wie er mit ausdrucksloser Miene auf den Bildschirm schaut, der im LKW an einer Wand hängt und die Mutation und mich zeigt, meine Augen nachtschwarz. Ich atme tief durch, zwinge die flammende Wut in mir zurück, atme die kühle Waldluft ein. Alda eilt mir zur Hilfe, drückt die Mutation zu Boden. Um ihren Hals zeichnet sich bereits ein deutlicher roter Ring ab - später werden sich vermutlich hässliche Brandblasen wie eine Kette um ihren Hals legen. Sie ignoriert meinen Blick und hält die vernarbten Hände der Mutation, die Alda vor wenigen Sekunden noch die Luftzufuhr abgedrückt haben, trotz der Hitze, die ihr entgegenschießt, energisch fest. Die Mutation bäumt sich mit unmenschlichen Schreien auf, wehrt sich - noch immer mit einem verrutschten Grinsen im Gesicht. Ein eiskalter Schauer läuft mir über den Rücken, aber ich weiche ihrem wirren, wahnsinnigen Blick aus und drücke ihr meinen Dolch an den Hals. Alda und ich wechseln einen schnellen Blick. Ich habe bisher nur einmal getötet - den Simrag, der Sam bedrohte. Doch diese Mutation ist ... menschlich. Schwarzes Blut sickert aus der Wunde an ihrem Hals, mein Dolch trennt bereits die vernarbte, hässliche Haut auf. Mit angehaltenem Atem lasse ich zu, dass mein Blick wieder zu den Augen der Mutation gleitet. Zuvor erschienen sie mir dunkel, hässlich, genau wie ihr restlicher entstellter Körper, doch nun lässt ein Lichtstrahl, der durch das Blätterdach über uns dringt, helles Braun aufleuchten. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich das Gefühl, den Menschen zu sehen, in dessen Körper sich die Mutation vielleicht vor ein paar Wochen, vielleicht bereits vor Jahren eingenistet hat. Flehende, überhaupt nicht wahnsinnige Augen blicken zu mir auf, erzählen mir von dem Leid, das diese menschliche Hülle erlebt hat.

Doch der Moment ist so schnell vorbei, wie er gekommen ist. Die Mutation stößt einen weiteren brüllenden Schrei aus, schwarzer Speichel tropft aus ihrem verzerrten Mund.

Ich atme tief durch, plötzlich wieder ruhig. Dann schlitze ich der Mutation die Kehle auf.

Intelligent - Phase 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt