I. Leben bedeutet aus Erfahrungen zu wachsen (POV: Yara Inosaki)

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Ich schaue in die glänzende Oberfläche vor mir. Der Schein meiner Nachttischlampe reflektiert sich im Spiegel. Das Wummern gegen meine Tür nimmt zu. Das Holz erzittert unter der Wucht. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann sie unter den Aggressionen zusammenbricht.

„Mach die scheiß Tür auf!"

Ein Kloß bildet sich in meinem Hals. Ich bekomme immer schlechter Luft. Die Angst wächst ins Unermessliche und lässt mich erzittern. Jede Nacht dasselbe. Meine Arme legen sich um meinen Körper, ein Schutzmechanismus.

„Ich bringe dich um, wenn du nicht sofort aufmachst!" Die Stimme meines Stiefvaters ist nur ein tiefes Grollen, die Ankündigung vor einem Sturm.

Der nächste Schauer überkommt mich, ich presse mir beide Hände auf die Ohren. Es ist sinnlos, immer noch dringen das Klopfen und die Rufe zu mir durch.

Plötzlich eine Bewegung direkt vor mir. Er ist gekommen, wie jede Nacht. Anstatt meiner grünen Augen sehen mir nun Braune aus dem Spiegel entgegen. Der Junge, Satori, beobachtet mich. Seine Miene wechselt zwischen den unterschiedlichen Emotionen. Freude, mich zu sehen. Besorgnis, weil er merkt, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Trauer, weil er so oder so nichts dagegen machen kann. Er muss erkennen, dass ich Todesangst leide. Er hebt seine Hand, drückt sie gegen das Glas zwischen uns. Imitierend folge ich seiner Bewegung. Seine Finger sind länger als meine und schauen über meine schwarz lackierten Nägel hinaus. Wie sehr ich mir wünschen würde, seine Wärme zu spüren, aber da ist nur teilnahmslose Kälte.

„Yara!" Mein Name aus dem Mund meines Erziehungsberechtigten jagt mir Angstschweiß über den Rücken. Kalte und heiße Wellen wechseln sich ab. Hass und Abscheu triefen von seinen Lippen mit jedem Wort, welches er mir entgegenspuckt.

Ohne es steuern zu können, verschwimmt meine Sicht, immer mehr Tränen sammeln sich, bis sie schließlich überlaufen. Warm suchen sie sich ihren Weg über meine Wangen, fallen von meinem Kinn und versickern in dem dünnen Stoff meines Pyjamas.

Als es an der Haustür klingelt, durchzuckt es mich wie ein Blitz. Eilig wische ich die feuchten Spuren beiseite. Schwere Schritte entfernen sich von der Schwelle meines Zimmers und laufen durch den kurzen Gang, um den späten Besuch zu begrüßen.

Ich rapple mich auf, presse mein Ohr gegen das Holz. Dem Wortwechsel, der daraufhin folgt, kann ich nur schwer folgen. Ruhestörung. Polizei.

Erleichtert schleiche ich zurück an meinen Platz. Mit fragend hochgezogenen Augenbrauen sieht mir seine Reflektion entgegen.

„Alles gut", forme ich tonlos mit meinen Lippen. In dieser Nacht würde es mein Ziehvater nicht mehr wagen, mich weiter zu drangsalieren.

Dein Spiegelbild an meiner Seite (Tendou x OC) | Haikyuu Oneshot | AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt