III. Leben bedeutet, Du zu sein (POV: Yara Inosaki)

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Als ich aufwache, bin ich wieder allein. Der Junge aus dem Spiegel ist verschwunden. Mein ganzer Körper fühlt sich steif und taub an vom Schlafen auf dem Boden. Mit vorsichtigen Bewegungen zerreiße ich das Papier in einzelne Sätze und verstaue sie in der Schatulle unter meinem Bett. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme um meine Gedanken geheim zu halten, mir aber auch gleichzeitig die Erinnerungen an jede einzelne Nacht zu bewahren.

Erschöpft klaube ich meine Schuluniform zusammen und öffne die Tür zum Gang.

Schnarchen klingt durch die Wohnung. Erleichtert tapse ich auf Zehenspitzen ins Bad und vollführe mein morgendliches Ritual.

Mein Magen knurrt. In der Hoffnung, etwas Essbares zu finden steige ich über leere Bierflaschen hinweg, auf den Kühlschrank zu. Gähnende Leere. Wie eigentlich jeden Tag. In einem Schrank unterhalb der Spüle finde ich eine Packung Fertigreis, den ich mir in die Schultasche stopfe. Immerhin etwas.

Zu Fuß mache ich mich auf den Weg. Von einem Fegefeuer ins andere. Langsam gehe ich Schritt für Schritt meinem persönlichen Untergang entgegen. Schule ist fast noch schlimmer als Daheim sein zu müssen.

Mit Absicht vertrödle ich das meiste meiner Zeit, sodass ich mich kurz vor knapp ins Klassenzimmer schieben kann, so auch heute.

Wie jeden Morgen ist mein Schreibtisch beschmiert, mit Edding, natürlich.

„Ooooh, guck mal, das Flittchen ist wieder da!" Eine Stimme, die sich in mein Hirn eingebrannt hat, gleich der meines Stiefvaters.

„War wohl eine harte Nacht, ich hoffe, du wurdest richtig rangenommen."

Hämisches Lachen. Mein Stoßgebet, der Lehrer würde schnell kommen, bleibt unerhört.

„Hat dein Daddy dich nicht gelehrt, dass man anderen in die Augen schaut, wenn sie mit dir sprechen?"

Erneut krabbelt die Angst meinen Rücken hinauf. Mein Herz hat sie nie verlassen, sodass sie sich wie eine Klemmschraube immer weiter zusammendreht.

„Hey! Bist du taub?"

Der Stuhl wird mir weggezogen, schluchzend taumle ich, stoße mir den Kopf an der Tischplatte hinter mir, ehe ich zu Boden falle.

„Jetzt liegst du da, wo du hingehörst, kleines Opfer."

Meine Klassenkameraden beginnen zu lachen, während mir die ersten Tränen unaufhaltsam herunterlaufen. Ich hasse mich dafür, ich demonstriere Schwäche, zeige ihnen, dass es mich verletzt, was sie sagen.

„Bitte... hört auf..." Gebrochen sucht sich meine Stimme einen Weg, meinen Schmerz zu verkünden.

„Was hast du gesagt? Ich kann dich nicht hören!"

Jemand packt meine Tasche und entleert sie über meinem Kopf. Der Ordner, Bücher und Stifte treffen mich. Mein Körper versteift sich, wie ein Igel schütze ich mich vor den Angriffen, aber nicht vor dem Schmerz.

„Opfer!"

Ein Tritt in meine Rippen.

„Kleine Schlampe!"

Ein Fausthieb gegen meinen Hinterkopf.

„Nutzlose Hure!"

Die Worte brennen sich ein, zerreißen mich. Ich habe keine Kraft mehr, dagegen anzukämpfen. Warum bin gerade ich zum Opfer geworden? Wann bin ich in das Schussfeld ihrer verbalen Kugeln getaumelt?

„Ey, ey! Kamikura-Senpai kommt!"

Endlich, ein Ende ist in Sicht. Um mich herum werden Stühle zurecht geschoben, die Anderen nehmen ihre Plätze ein.

Dein Spiegelbild an meiner Seite (Tendou x OC) | Haikyuu Oneshot | AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt