V. Leben bedeutet mutig zu sein (POV: Yara Inosaki)

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Vor der Schule genieße ich die frische Luft. Nicht mal im Traum denke ich daran, nach Hause zurückzukehren. Stattdessen wende ich mich dem Park zu. Das Grün schreit geradezu nach meiner Aufmerksamkeit. Auf einer Bank finde ich Ruhe. Menschen treiben geschäftig an mir vorüber. Pärchen. Schlipsträger. Eltern mit Kindern.

Gerade Letzteres lässt mich in mein Inneres kehren. Ich habe keine Familie mehr, keine Person, die mir Zuflucht bietet. Meine Mutter hat mich bei meinem Stiefvater zurückgelassen, in der Hoffnung, er würde mich besser behandeln als sie.

Hat er nicht. Nach ihrem Tod hat er sich ein neues Ventil gesucht.

Ich kann es ihr nicht verübeln. Es muss sie viel Kraft gekostet haben, Tag für Tag. Seit zehn Jahren. Mich trifft es erst seit einem Jahr, aber ich bin nicht stark. Schon lange nicht mehr. Jeden Morgen aufzuwachen und mit der Angst zu leben, sowohl verbal wie auch körperlich gedemütigt zu werden ist eine schwere Bürde. Zu schwer für meine Schultern.

Das Leben mag viel zu bieten haben, viele Freuden, aber für mich hält es nichts als Schmerz bereit. Während andere die zart rosafarbenen Blüten der Kirschbäume verzaubern, sehe ich in ihnen den kommenden Verfall. Bereits jetzt segeln die Blätter der Erde entgegen. Es lässt sich nicht aufhalten, nicht umkehren.

Eine kleine Familie läuft vorbei. Sie spielen ‚Engelchen flieg' mit dem kleinen, schwarzhaarigen Jungen. Er lacht unbekümmert, strahlt vor Begeisterung. Immer wieder quengelt er „Nochmal", sobald seine Füße den Kies berühren. Seine Eltern kommen dem Wunsch nach. Sie lachen bei dem Anblick, den er ihnen bietet. Das Bild einer perfekten Familie.

Der Stich in meiner Brust sitzt tief. Wieder einmal frage ich mich: wieso ich? Warum ist es mir nicht gestattet ein normales Leben zu führen?

Mit einem Vater, der sich um mich sorgt.

Einer Mutter, die lebt und mir bei meinen Problemen zuhört.

Klassenkameraden, die mich nicht als lebenden Punchingball ausnutzen.

Freunden, mit denen man zusammen lachen kann.

Ich bin alleine auf der Welt. Niemanden würde es interessieren, wenn ich fort wäre. Es würde keinen geben, der um mich trauern würde.

Außer vielleicht...

Braune, gütige Augen kommen mir in den Sinn. Rote, verwuschelte Haare. Ein blasses Gesicht.

In der Nacht, wenn die Angst und die Einsamkeit am schlimmsten sind, ist er da. Aber so etwas wie Wunder oder Magie gibt es nicht. Er muss ein Hirngespinst sein, meiner Einbildung entsprungen, um mich selbst vor der Vereinsamung zu schützen. Noch nie habe ich seine Stimme gehört, oder seine Wärme gespürt. Seit dem Tod meiner Mutter ist er da, lediglich ein fremdes Spiegelbild. Satori.

Als ich glaube, dass es an der Zeit ist, an den Ort zurückzukehren, an dem ich schlafe, stehe ich auf und bereite mich auf den Nachhauseweg vor. Ein ‚Zuhause' kann ich die kleine Wohnung nicht nennen. Nirgends fühlt es sich für mich wie eine Heimat an, etwas, woran ich hänge und mit dem ich positive Erinnerungen verknüpfe. Aber ich habe keine andere Wahl, keinen anderen Ort, an den ich gehen könnte.

Dein Spiegelbild an meiner Seite (Tendou x OC) | Haikyuu Oneshot | AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt