Diese Geschichte (mit 1538 Wörtern) habe ich (Kathi) für den Schreibwettbewerb von sweet_predator geschrieben - Aufgabe war es, eine Geschichte zu einer Melodie zu schreiben. Das Stück ist oben verlinkt, sollte es nicht funktionieren, es ist "Nocturnal Mind" von Yiruma. Ob ihr es während des Lesens abspielt, ist euch überlassen. Kritik und Feedback aller Art wird gerne gesehen. 👉
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Zart, samtig und still ist sie, die Dunkelheit. Einzig Samanthas Atemzüge sind zu hören, während sie dasitzt und die Ruhe genießt, die den See wie eine unsichtbare Wand umgibt. In naher Ferne fahren Autos, hetzen Menschen, quietschen Bremsen. Doch hier, auf der Holzbank am See, fühlt sie sich wie die einzige Seele unter dem Sternenhimmel mit seinen Abermillionen Lichtern, die der Schwärze das Lauernde nehmen.
Sie genießt die Einsamkeit. Die Spiegelung der Sterne im Wasser, die zarte Brise, die mit ihrem kinnlangen Haar spielt, das angenehme Zirpen der Grillen in ihren Ohren - Es ist, als würde das alles nur für sie existieren, als wäre sie alleine auf einer Welt, die für sie gemacht worden ist.
Doch dem ist nicht so. Nicht einmal den See und die Bank hat sie für sich alleine, nein, jetzt hört sie bereits leichtfüßige Schritte heranschreiten. Eine schlanke Gestalt bleibt in der Nähe der Bank stehen, nutzt die Nacht wie einen Umhang, der ihr Gesicht verdeckt. Samantha beäugt die Fremde misstrauisch. Ihre Präsenz fühlt sich nicht unangenehm an, so sanft und auch hypnotisierend, wie sie ist, aber fremdartig, ungewiss, unbekannt.
Die beiden schweigen, bis der silbrige Schimmer auf den Gräsern durch das Mondlicht von der Dunkelheit verschluckt wird, als sich eine Wolke vor den Himmel schiebt.
»Hast du Angst in der Dunkelheit?«, durchbricht Samantha schließlich die Stille, die sich eine leichte Schneeschicht sachte über alles gelegt hat.
»Wieso sollte ich?« Die Fremde neigt den Kopf leicht. »Die Dunkelheit ist wunderschön. Sie verdeckt uns den Blick nach außen und verbessert die Sicht auf unser Inneres.«
Sam schweigt, um über das gerade Gehörte nachzudenken. Dann ergreift sie wieder das Wort:
»Heißt das, eigentlich fürchtet man sich nicht vor der Dunkelheit, sondern vor seinem eigenen Inneren?«
Die Zähne der Fremden blitzen weiß im Licht des sich hervorkämpfenden Mondes auf, als sie leise lacht.
»Ja und nein. Bei manchen ist das sicher der Fall. Aber die Angst, die du meinst, ist eine andere. Du fürchtest dich nicht vor der Dunkelheit. Du fürchtest dich vor dem, was in ihr lauern könnte. Vor der Ungewissheit.«
Sie hat recht. Samantha hasst es, nicht planen zu können. Nicht zu wissen, was vor ihr liegt. Wieder lässt sie sich die Gedanken gründlich durch den Kopf gehen, bevor sie eine weitere Frage stellt.
»Ist das der Grund, aus dem der Tod oft mit Dunkelheit in Verbindung gebracht wird? Beides ist ungewiss. In der Dunkelheit könntest du den Tod treffen, ohne ihn zu sehen. Ohne ihm in die Augen zu blicken.«
Zum ersten Mal sieht die Fremde sie direkt an.
»Teilweise«, sagt sie. »Obwohl manche ihn trotzdem sehen und spüren können, irgendwie. Vielleicht auch nur in ihrem Kopf. Aber sie wissen, dass sie bald ihre letzte Träne geweint, ihr letztes Lächeln gelächelt haben werden, auch ohne das Tageslicht.«
Eine Weile hängen beide ihren eigenen Gedanken nach und starren auf die spiegelglatte Oberfläche des Sees. Die Sterne funkeln auf ihr, als wären sie da, dabei sind sie das nicht. Sie sind weit, weit weg.
»Vielleicht ist es auch, weil die Dunkelheit das nächste zum Nichts ist, was ein Mensch sich vorstellen, was er begreifen kann.« Samantha fröstelt leicht, als ein kühler Windstoß ihr das Haar ins Gesicht weht und ihre Worte mit sich trägt. »Und nach dem Tod wartet dieses ungewisse Nichts. Möglicherweise. Das ist beängstigend.«
»Oh nein, das Nichts ist nicht beängstigend«, erwidert die Fremde weich und dreht sich zu Sam. »Ja, man hört in gewisser Weise auf, zu existieren, zumindest auf dieser Ebene der Wahrnehmung.« Sie macht einen Schritt auf sie zu, lässt Sam ihre gütigen, warmen Augen sehen.
»Aber der Tod ist nicht grausam. Er stoppt Leid. Er stoppt den Kampf.« Sie sieht ihr in die Augen. »Deinen Kampf, Samantha. Dein Körper kann ihn nicht mehr durchhalten. Es ist die einfachste Option. Deshalb bin ich hier. Gib mir die Hand.«
Sie starrt die Finger an, die sich ihr entgegenstrecken, sieht der Fremden in die Augen, die voller Sanftheit sind.
»Die einfachste Option ist nicht immer die Beste.«
»Nein. Aber die verlockendste. Nimm meine Hand und du wirst nie wieder leiden. Du musst nicht kämpfen. Du musst dir keine Sorgen mehr machen. Nie wieder.«
Die Versuchung ist groß, mit ihr zu gehen, sich in den Bann der ewigen Sorglosigkeit ziehen zu lassen. Zu verschwinden. Etwas Nichts zu sein in dieser Welt, die so voll von etwas ist.
Samantha legt ihre Hand zögerlich in die wartende. Die Berührung ist angenehm. Sanft. Hypnotisierend. Und doch zögert sie, sich ihr vollkommen zu überlassen. Sie hat nicht viele Jahre geschenkt bekommen, bevor sie wieder dazu übergehen wird, nichts zu sein. Diese einfach wegzuwerfen, kommt ihr nicht richtig vor.
»Wieso jetzt schon? Ich habe den Unfall gut überstanden. Die Ärzte haben nichts außer ein paar Schrammen gefunden.« Mit einem Schaudern erinnert sie sich zurück an das Hupen, das Quietschen der Bremsen und die Schwärze, die sie danach umgeben hat.
»Ärzte können sich irren, Liebes.« Die junge Frau drückt Samanthas Hand sanft. »Kommst du?«
Sam aber zögert. »Ich glaube, ich bin noch nicht bereit, für immer nichts zu sein. Ich kann es noch ins Krankenhaus schaffen.«
»Vielleicht«, erwidert die Fremde. »Aber du könntest einfach mit mir kommen.«
»Und was würde dann passieren?«
»Siehst du die Spiegelung der Sterne im Wasser? Sie ist da und doch existiert sie nicht. Nicht wirklich. Das ist das, was dich nach dem Tod erwartet. Das ist das, was ich bin. Komm mit mir und werde mit mir zu der Illusion eines Funkelns auf der Oberfläche des Sees.«
Samantha schluckt. Die Worte legen sich um sie wie eine weiche, warme Decke. Doch tief in ihrem Inneren weiß sie, dass es die Decke ist, mit der sie in ihren Sarg gelegt werden wird. Sie weiß, dass sie Angst vor dem Tod und Angst vor der Tatsache, dass sie keine Angst hat, haben sollte. Und im Laufe ihres verhältnismäßig recht kurzen Lebens hat sie gelernt, auf ihren Kopf zu vertrauen. Mit all ihrer Willenskraft beginnt sie zu sprechen.
»Eines Tages werde ich mit dir kommen und ein Stern in deiner Illusion von Etwas werden. Aber heute nicht. Heute fahre ich ins Krankenhaus und lasse mich behandeln.« Sie versucht, der Verkörperung des Todes ihre Hand zu entziehen, aber diese lässt sie nicht los, sondern drückt sie sanft.
»Bist du dir sicher? Ich würde dir alle Entscheidungen ersparen. Alles Leid. Alles, was schwierig ist auf dieser Welt.«
Der Tod wirkt nicht grausam, nicht beängstigend. Er wirkt gütig. Und doch entscheidet Sam sich gegen ihn.
»Danke«, erwidert sie und entzieht ihre Hand der ihres Gegenübers langsam. »Aber es gibt noch so viel, was ich machen möchte. Ich möchte im Regen tanzen, mit Freunden Kekse backen. Ich möchte lachen und weinen, schreien und schweigen. Ich möchte die wenigen Jahre, die ich geschenkt bekommen habe, leben.«
Die Fremde lächelt und streichelt ihr sanft über die Wange.
»Wenn du meinst, Liebes.«Mit der Berührung des Todes schüttelt Samantha die Decke, das einlullende Nichts von sich. Und von der plötzlichen Intensität des Fühlens und der Klarheit ihrer Gedanken überrascht stellt sie eine letzte Frage.
»Eine Sache noch: Ich dachte immer, du wärst ein alter Mann mit einer Sense. Wieso bist du so jung?«
»Ich bin der Tod. Ich existiere, seit es das Leben gibt. Für jeden sehe ich anders aus, bin ich anders. Nicht viele nehmen mich bewusst wahr. Es kommt auf die individuelle Methode an, das unbewusste Wissen über den baldigen Tod zu verarbeiten. Vielleicht bin ich gar nicht da. Vielleicht ist das nur deine Art, Dinge mit dir selbst zu klären.«
Sam blickt die Fremde, deren Silhouette in der Dunkelheit kaum sichtbar ist, einen Moment lang nachdenklich an. Ist sie echt, ist sie real? Oder ist sie lediglich die Schwere ihrer Gedanken, ihre Angst vor dem Ungewissen, vor dem Tod? Was auch immer sie ist, sie würde sich gerne noch mit ihr unterhalten. Aber in ihr ist die Angst, doch noch schwach zu werden bei der wohligen Sicherheit im Stoff der Decke, die sie nun doch ergriffen hat und ihre Haut streichelt wie eine kühle Brise. Sie entscheidet sich, Abschied zu nehmen.
»Wir sehen uns in ein paar Jahrzehnten.«
»In ein paar Jahrzehnten? Wir werden sehen. Vielleicht auch schon morgen oder übermorgen oder du schaffst es trotz deiner Entscheidung nicht bis ins Krankenhaus. Ich werde da sein und auf dich warten. Immer da sein, aber nicht immer sichtbar. Wie die Dunkelheit, die immer da ist, aber vom Licht verdeckt wird.«
Es ist, als würde die Welt gespannt auf die abschließenden Worte des Todes warten, als würden die Grillen aufhören zu zirpen und der Wind nicht mehr sein leises Lied singen und damit die Grashalme zum Tanzen bringen.
»Ich werde da sein. Am Ende, wenn es für dich nichts mehr gibt außer dem Nichts. Ich werde da sein und dich in die Arme schließen.«
Samantha will dem Tod einmal noch in die Augen blicken, aber da ist nichts mehr. Nichts außer der Dunkelheit.
Sie sitzt auf der Bank, starrt das Wasser an, das sich leicht kräuselt, als wolle es sie anlächeln. Ein Krankenhaus ist das, was sie dringend braucht, das weiß sie. Aber zuerst muss sie durchatmen, ihre Gedanken sammeln, die mit der Decke zu Boden gefallen und vom Winde verweht worden sind. Sie bleibt sitzen, der Wind spielt mit ihrem Haar. Der Mond kämpf sich wieder hinter den Wolken hervor und doch weiß Sam, dass sie immer da ist. Unter der Illusion des Lichtes lauert.
Zart, samtig und still ist sie, die Dunkelheit.
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Mitternachtsnoema
Short Story✧Worte sind doch die schönsten Farben. Mit ihnen kann man Bilder malen, deren Vielseitigkeit nur von der eigenen Vorstellungskraft begrenzt ist.✧ Um Mitternacht kommen sie, die Gedanken. Gedanken, die zu Worten werden. Worte, die zu Sätzen werden. S...