Ewigkeitserinnerungen

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Für den Schlauer Fuchs-Schreibwettbewerb von sweet_predator
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Thema: Ägyptische Götter
Wortanzahl: 835

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❝Everybody moved on
I, I stayed there.❞
-Taylor Swift

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Seit einer Ewigkeit fragst du dich, wieso denn niemand für die Ewigkeit bereit ist. Auch ich habe gemeint, irgendwann würde ich wohl müde vom Leben werden, aber nicht heute und nicht morgen, denn zuerst gelte es, Sammler zu werden. Muschelsammler, wenn wir endlich gemeinsam ans Meer fahren. Steinesammler beim gemeinsamen Wandern. Erinnerungssammler beim Wandern über unseren Lebensweg.

Und wir sind ans Meer gefahren und haben Muscheln und Erinnerungen gesammelt. Wir haben die Zehen im heißen Sand vergraben, bis wir die sonnenverdeckte Schicht erreicht haben, haben uns in das erdbeereiskalte Salzwasser gequält, ich schneller, du langsamer. Alle Zellen deines Körpers schienen die Wellen verlassen zu wollen, aber du hast die Zähne zusammengebissen und Fischbeobachtungsmomente, Unterwasserumarmungen und Salzwasserausschläge mitgenommen. Trotzdem hast du meistens gelächelt. Wenn du mich angesehen hast, die von WashiTape zusammengehaltene Brille, die nachtdunklen Splitter in meinen Augen. Wenn du die Crêpes mit Erdbeereis so schnell in dich hineingeschaufelt hast, dass dir schlecht war und deine Zähne Ötzi Konkurrenz gemacht haben.

„Ich wünschte, ich könnte hinter die Sterne schauen", hast du bei unserem nächtlichen Spaziergang durch die Meeresgischt gemeint. „Da ist so viel zu sehen, zu erfahren, ich verstehe nicht, wie man jemals gelangweilt von der Existenz sein könnte."
„Manchmal glaube ich, du hättest lieber als unsterblicher Gott geboren werden sollen. Oder als Pyramide", habe ich gescherzt und du hast meine Hand genommen, für einen kurzen Moment Zukunft und Vergangenheit zurückgelassen und dich in meinem Ewigkeitslachen verloren.
„Wenn ich eine Göttin wäre, wäre ich gerne Nut. Der Sternenhimmel", hast du gemeint. Aber ich habe hinzugefügt, dein Lächeln wäre eher Re, der Sonnengott, und das war es nach diesem Satz. Ich habe einen Arm um dich gelegt und meine Brille zurechtgerückt. Eine Welle ist über unsere Füße und irgendwie auch durch dich hindurch gerollt, als du in meine Augen gesehen und gedacht hast, eigentlich bräuchtest du kein Teleskop, um ins Universum hinauszuschauen, weil du Stücke davon um dich hast.

Es ist ein schöner Erinnerungsschnipsel, ein besonderer. Du trägst ihn immer bei dir, so wie all die anderen, aus denen du dich zusammensetzt, aber bewusster. Du würdest nie zulassen, dass die Zeit ihn verweht, in versteckten Winkeln deiner Träume verschwinden lässt. Obwohl es vielleicht besser wäre. Besser wäre, mich loszulassen. Unsere gemeinsame Zeit einzurahmen und wie ein Bild an die Wand zu hängen.

Du weißt das, aber trotzdem sitzt du jetzt alleine in deinem Zimmer, die Augen gerötet, die meeresgischtweiße Muschel in der Hand, die ich damals aus dem Urlaub mitgenommen habe. Deine war gerollt wie ein Schneckenhaus und hat ausgesehen wie ein ausgewaschener Sonnenaufgang. Sie war wunderschön, aber sie hat nach ein paar Tagen die ganze Wohnung mit dem Gestank des sterbenden Tieres darin gefüllt. Du hast sie im Garten begraben und wir haben das Requiem gesummt. Jetzt steht meine Muschel auf deinem Nachttisch und du summst das Requiem alleine für uns.

Damals, als wir Wandern waren, warst du auch alleine mit deinen Gedanken, weil wir geschwiegen haben. Müde, genervt von dem langen Weg und unseren schmerzenden Füßen. Aber es war okay, denn abends hast du mich wieder zum Lächeln gebracht mit deinen Gruselgeschichten im Zelt. Du hast es geliebt, mich zum Lächeln zu bringen; jeden, aber vor allem mich. Weil es sich so unbeschwert angefühlt hat. Weil dann die kleine Falte zwischen meinen Augenbrauen, die du Stirnrunzel genannt hast, verschwunden ist. Weil du wolltest, dass es mir gut geht. Weil du mich geliebt hast und es immer noch tust.

Das Taschenlampenlicht hat unsere Gesichter leuchten lassen. Dich wie einen Stern. Mich wie einen Geist der Vergangenheit.

„...Nachdem Seth ihn getötet hat, hat Isis ihn wieder zum Leben erweckt und er wurde der König der Unterwelt. Dafür musste sie jeden seiner zerhackten Teile finden, die über die ganze Welt verstreut waren. Jeden einzelnen. Das heißt, dass sie auch jeden Teil von ihm kennen und finden musste, um ihn wieder zusammenzusetzen. Um ihn wieder bei sich zu haben. Für die Ewigkeit. Ist das nicht romantisch?"

Als du das gesagt hast, hast du es wirklich gedacht. Aber jetzt kannst nicht aufhören, an diese Geschichte zu denken und an uns. Daran, dass wir für die Ewigkeit sein wollten wie die Pyramiden, aber dass unser Ende eher aussieht wie das von Isis und Osiris. Die eine verzweifelt dabei, Stücke des anderen zu suchen und zu einem ganzen Bild zusammenzusetzen. Daran, dass Osiris als König der Unterwelt auch nur ein Schattenbild seiner selbst ist. Eine Erinnerung.

Und vielleicht bin ich längst Osiris.

Aber ist die Ewigkeit nicht auch nur eine nie endende Sammlung an Erinnerungen?

»Du musst loslassen, weitermachen«, haben sie dir alle gesagt.  »Du kannst dich nicht immer an der Vergangenheit festhalten, es wird dich ruinieren.« Und sie haben ihr Leben alle weitergelebt, ihre Welt nicht für mich angehalten. Sie sind mit der Zeit gegangen; sie gehen mit der Zeit. Aber du sitzt hier und umklammerst die kleine Muschel so fest, dass sie fast zerbricht, von einer Meeresgischterinnerung zu einer ertränkenden Flut wird. Aber du kannst nicht aufhören.

Du sammelst Erinnerungsschnipsel, um mich daraus zu basteln, um mich festzuhalten
Für die Ewigkeit.

MitternachtsnoemaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt