Jahr 2020 - Regen

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Levi lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen und wartete auf Eren, der die Treppen schon fast hoch gerannt kam. Es gäbe durchaus einen Aufzug im Haus, aber dies bestätigte Levis Vermutung, das Eren sportlich ist. Immerhin liegt seine Wohnung im Vierten Stock. "Entschuldigen sie Professor! Mikasa hat mich noch aufgehalten." "Ich hasse Unpünktlichkeit, Rotznase." Levi ging zurück in die Wohnung und Eren folgte ihm stumm. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Sein Professor nahm sich extra Zeit für ihn und er kam, wenn auch nur zehn Minuten, zu spät. Sicher hatte er besseres zu tun, als sich an einem Nachmittag um einen Studenten zu kümmern.
Unauffällig sah sich Eren um. Die Wohnung war super sauber, nirgendwo lag auch nur ein Staubkorn, aber auch sehr unpersönlich. Keine Erinnerungsstücke, kaum Fotos. Aber ein Foto hatte sein Interesse geweckt. Darauf Levi zusammen mit Professor Hanji und Professor Smith, aber alle drei um viele Jahre jünger. Wie alt mochte das Bild sein?
"Trödel nicht herum, Bengel!" "Entschuldigen Sie!" Schnell folgte Eren der Stimme und kam vom kleinen Gang in ein Wohnzimmer mit Essecke. Auf dem Tisch lagen Unterrichtsmaterialien und stand eine Kanne mit zwei Tassen. "Ich hoffe du magst Tee." Sein Professor saß bereits und sah ihn an. "Ja, Tee ist okay." Eren setzte sich und holte seine Sachen aus dem Rucksack.
"Nochmal vielen Dank Professor Ackermann, dass sie sich die Zeit nehmen!" Levi zog ein Buch an sich heran und schlug es an einer markierten Stelle auf. "Schon gut. Ich möchte deinem Vater beweisen, dass du es schaffen kannst." Der Professor griff nach zwei Arbeitsblättern.
"Hast du eigentlich alle Bücher bekommen, Eren?" Levi schob das Buch zwischen sie, sah seinen Studenten an. "Ja, habe ich und meine Medizinbücher auch schon verkauft." Wie es schien, war Eren entschlossen. Das gefiel Levi.
Zusammen lernten sie den Nachmittag durch. Levi erklärte Eren geduldig alles, auch zweimal wenn es sein musste. Es war ja nicht nur seine Vorlesung, Sozialpsychologie, die Eren nachholen musste, sondern auch den Stoff, der anderen Fächer.
Von seinen Kollegen hatte sich Levi Arbeitsblätter des bisherigen Stoff geben lassen und wenn er das so sah, würde es nicht bei einem Nachmittag Nachhilfe bleiben. Was ihn aber nicht mal störte. Er mochte Eren und er mochte ihn bei sich.
Vielleicht sollte er wirklich Mike mal wieder anrufen. Vielleicht hatte Levi es einfach nur nötig und reagierte deshalb so auf Eren.

~ * ~

Levi stand an der Roten Ampel und wartete bis sie endlich umschaltete. Es war bereits kurz vor Mitternacht. Er war länger bei Mike gewesen, als geplant. Aber das war egal. Heute war Freitag und morgen hatte er Frei. Zwar hatte Mike ihm angeboten, zu Übernachten, aber er wollte in sein Bett.
Der Regen prasselte unaufhörlich auf das Autodach und die Straßen waren wie leer gefegt. Eine Person hatte aber Levis Interesse geweckt. Eren! Was machte die Rotznase bei diesem Wetter und um diese Uhrzeit draußen?
Die Ampel schaltete auf Grün und er fuhr an. Auf Erens Höhe hielt er wieder und ließ das Fenster herunter. "Hey! Rotznase! Was machst du hier?" "Professor?" Eren sah auf. Waren seine Augen rot? Oder wirkte das nur so wegen des Lichts? "Steig ein, ich fahr dich heim." Fest klammerte sich Eren an seine Tasche und schüttelte heftig dem Kopf. "Mein Vater hat mich rausgeschmissen." "Steig trotzdem ein!" Deshalb also die Sporttasche. Sicher hatte er flüchtig ein paar Sachen eingepackt.
Eren zögerte. Aber er wusste nicht, wo er hingehen sollte. Geld hatte er keines, da ihm sein Vater schon länger den Geldhahn zugedreht hatte. Armin konnte er nicht belästigen, zumal sein Vater ihn dort als erstes suchen würde, um ihn doch wieder zurück zu holen. "Rotznase, nun mach schon!" Knurrte Levi und beobachtete, wie sich der Student langsam in Bewegung setzte. Er rannte über die Straße und stieg zu seinem Professor ins Auto. "Danke. Ich mach jetzt aber ihr Auto nun ganz dreckig." "Ich habe zwar einen Putzfimmel, aber das heißt nicht, dass ich dich deshalb im Regen stehen lasse, Rotznase."
Auf der restlichen Fahrt sprachen sie kein Wort mehr miteinander. Nachdenklich sah Eren aus dem Fenster. Wie sollte es weitergehen? Wie sollte er sein Studium finanzieren, wenn sein Vater wirklich die Drohung wahr machte, die Kosten nicht mehr zu übernehmen?
"Willst du hier sitzen bleiben?" Levi hatte die Beifahrertür geöffnet und sah auf Eren runter. Wann waren sie in die Tiefgarage gefahren? Schnell stieg der Jüngere aus. "Entschuldigung Professor!"
Zusammen stiegen sie in den Aufzug und fuhren in den 4. Stock. Im Schlaf hätte Eren den Weg zu Levi gefunden. Er war gerne hier. Er war gerne bei seinem Professor, dem wichtig war, was er wollte. Ja, er hatte Gefühle für Levi. Aber ihm war auch bewusst, das diese nie erwiedert werden würden. Und trotzdem war da etwas, was Eren sich nicht erklären konnte. Ein Gefühl, das so tief ging. Wofür ihm aber jegliches Wort zum beschreiben fehlte.
"Am besten nimmst du erst einmal eine heiße Dusche, nicht das du noch krank wirst." Riss ihn Levi aus den Gedanken. "Ja Herr Professor." Erens Blick fiel auf den Hals seines Professors. Dort war deutlich ein frischer Knutschfleck zu sehen. "Schau nicht so, Rotznase, auch ich habe eben Bedürfnisse und nun ab ins Bad!" Leicht rot um die Nase nickte Eren und verschwand im Bad.
Natürlich hatte sein Professor eine Freundin. Wie konnte er nur annehmen, er sei Single? Er sah gut aus und war freundlich. Etwas enttäuscht zog sich Eren aus und stieg unter die Dusche. Das heiße Wasser tat gut. Er hatte gar nicht bemerkt, wie durchgefroren er war.
"Ich lege dir hier frische Handtücher her." Eren wurde wieder rot, als er Levis Stimme hörte. "Ja... Ja danke!" Antwortete er schnell. Konnte Levi etwas von ihm sehen? Sie waren doch beides Männer. Warum schämte er sich?
Viel konnte der Professor nicht von Eren sehen, aber was er gesehen hatte, gefiel ihm durchaus. Ein durchtrainierter Körper und der Silhouette nach auch gut bestückt. Um sich abzulenken, holte er das Gästebettzeug und legte es aufs Sofa. Dann machte er sich und Eren einen Tee.
Levi schenkte sich gerade etwas vom Tee ein, als sein Student das Wohnzimmer betrat. Er trug eine lockere graue Jogginghose und ein weißes Shirt. Mit einem Handtuch versuchte er seine Haare etwas trocken zu reiben. Ohne ein Wort füllte Levi auch ihm eine Tasse mit Tee.
"Danke für die Dusche, Professor." "Du kannst hier bleiben." Vorsichtig setzte sich Eren auf das Sofa. "Ich will ihnen nicht zur Last fallen." "Und ich möchte nicht, dass du alleine draußen herum läufst. Was ist überhaupt passiert?"
"Vater und ich sind in Streit geraten und er hat mich vor die Tür gesetzt. Obwohl, eigentlich bin ich freiwillig gegangen. Er hat mir schon länger den Geldhahn zugedreht und hat mir jetzt noch gedroht, die Studiengebühr nicht mehr zu bezahlen, solange ich weiter Psychologie studiere." Stumm hörte Levi der Erzählung von Eren zu, trank dabei seinen Tee. "Und warum bist du nicht zu einem deiner Freunde?" Fragte er nach. "Mein Vater hätte mich dort als erstes gesucht, um weiter in mich einzureden." Eren hatte die Tasse Tee fest umklammert. "Ich brauche einfach Abstand."
"Du kannst ein paar Nächte hier bleiben." Levi leerte seine Tasse mit einem Schluck. "Professor! Danke, aber... Störe ich sie nicht? Ich meine, wenn Ihre Freundin mal kommen möchte?" Levi stand auf und nahm die Kanne vom Tisch. "Ich habe keine Freundin." "Aber der Fleck an ihrem Hals?" Sofort wurde Eren rot. "Entschuldigen Sie Professor, es geht mich nichts an." "Richtig Rotznase, mein Privatleben geht dich nichts an."
Eren sah dem Ältesten nach, der das Wohnzimmer verließ und in die Küche ging. Hieß das, er war doch Single? Warum freute es ihn? Lächelnd stand auch Eren auf und folgte Levi. Dieser spülte gerade seine Tasse und nahm Eren seine aus der Hand, um auch diese zu spülen. Der Jüngere griff nach seinem Geschirrtuch und trocknete ab. Er würde versuchen, Levi so wenig wie nötig zur Last zu fallen.

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