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Ich zuckte heftig zusammen und wäre beinahe von der OP-Tisch-ähnlichen kalten Liege gefallen, als sich die Tür mit einem lauten Zischen öffnete. Der Klang schien plötzlich so laut in meinen Ohren zu hallen, als würde sich eine dampfende Lokomotive nähern.

Schnell richtete ich mich auf und versuchte, meine Gedanken zu sammeln. Irgendwie musste es mir gelungen sein, gestern einzuschlafen. Ich konnte mich kaum daran erinnern, wann und wie das eigentlich passiert war. Die Erinnerungen verschwammen in einem Nebel aus Verwirrung und Unsicherheit.

Hektisch blickte ich mich um, als die Erinnerungen an den gestrigen Tag wie ein heißer, greller Blitz durch meinen Kopf schossen. Doch inmitten meines aufgewühlten Geistes tauchte plötzlich ein Tablett mit duftenden Brötchen und dampfendem Kaffee auf, das scheinbar schwerelos über den Boden zu gleiten schien und zielstrebig auf mich zusteuerte.

Verwirrt und fasziniert zugleich beobachtete ich das Tablett, das wie von unsichtbaren Händen geführt schien. Es war ein seltsames und unwirkliches Bild, das sich vor meinen Augen entfaltete. Die Brötchen strahlten eine verlockende Frische aus, und der Duft des Kaffees erfüllte den Raum.

Ich blickte verdutzt drein und zog meine Beine enger an meinen Körper. Mein Vorhaben, die Liege zu verlassen, verwarf ich augenblicklich. Die Türen schlossen sich wieder, und niemand außer dem Tablett schien den Raum betreten zu haben. Die Szene vor meinen Augen schien jeglichen physikalischen Gesetzen zu widersprechen, als das Tablett plötzlich jeglichen Gravitationskräften zu trotzen schien und sich in die Lüfte erhob.

Überrascht und verwirrt versuchte ich, das Geschehen zu begreifen. War das ein Trick? Eine Illusion? Oder gab es hier etwas Übernatürliches vor sich? Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug, und beinahe hätte ich mit meinen Armen wild herumgefuchtelt, um das schwebende Tablett wie eine lästige Fliege zu verscheuchen.

Ich starrte auf den runden, tennisballgroßen Gegenstand, der unter dem Tablett hervorgeflogen war. An ihm war eine Linse befestigt, ähnlich wie bei einer Videokamera. Die Kugel schien mich genau zu mustern, denn die Linse bewegte sich hin und her, mal nach oben und unten, dann wieder von links nach rechts. Dabei machte sie mechanische, summende Geräusche, als würde sie Daten aufnehmen oder analysieren.

Verwirrt und neugierig beugte ich mich näher, um den Gegenstand genauer zu betrachten. War das etwa ein Spionagewerkzeug? Oder eine weitere Kreation von Dr. Jiseong? Fragen wirbelten in meinem Kopf, während ich versuchte, das Rätsel zu lösen.

Erst als ich behutsam nach dem Tablett griff, ohne dieses merkwürdige Ding aus den Augen zu lassen, und darunter vier weitere dieser Kugeln zum Vorschein kamen, drehten sie ab und schwebten geräuschlos aus dem Zimmer.

Mein Blick klebte an der Tür, selbst als diese sich schon längst geschlossen hatte. Mein Kopf füllte sich mit immer mehr Fragen und doch war er so leer. Genauso leer, wie mein Magen, der aufgrund des Frühstücks anfing seinem Verlangen nach Nahrung lautstark Ausdruck zu verleihen.

Ohne auch nur eine Minute einen Gedanken daran zu verschwenden, ob die Speisen vergiftet oder mit sonstigen willenlos machenden Substanzen angereichert sein könnten, vertilgte ich gierig die beiden Brötchen, die Apfelstückchen und auch die Tasse Kaffee sowie das Glas Orangensaft innerhalb weniger Minuten.

Sodann erhob ich mich und blickte mich langsam um. Ein wenig unschlüssig saß ich auf der Liege, ließ meine Beine herunterbaumeln und krallte meine Finger fest um die Kante. Die Neugier, ob die Tür sich öffnen möge, würde ich mich ihr nähern, bewegte mich wie von selbst auf diese zu und mit einem Zucken meinerseits, schob sich der Stahl zischend zur Seite.

Die leise Zen-Musik kam mir entgegen und wäre fast dazu in der Lage gewesen auch meine Herzfrequenz zu senken. Aber nur fast, denn mein Herz sprang in diesem Moment fast aus meiner Brust und ich hielt den Atem an.

Vorsichtig lugte ich zu beiden Seiten hinaus in den schwach erleuchteten Raum, in dem ich mich gestern auch schon befunden hatte. Eventuell hatte es dieser vermeintliche Doktor gar nicht mitbekommen, dass sich die Tür erneut geöffnet und sein Gefangener nun dabei war den Raum zu verlassen. Eventuell war er ja gar nicht anwesend.

Die Luft war rein und mein Blick fuhr geradewegs zu einer großen Doppeltür und mein Gefühl sagte mir, dass dies der rettende Ausgang war, doch meine Beine versagten mir den Dienst. Ich wollte sie bewegen, einfach losrennen und an den gottverdammten Türklinken reißen und zerren, doch ich stand wie angewurzelt da.

"Komm schon..", flüsterte ich und presste meine Lippen fest aufeinander. Mühselig schob ich letztendlich ein Bein vor das andere und betrat sodann, so langsam wie ein Chamäleon, das Wohnzimmer. Hektisch fuhren meine Augen hin und her und ich versuchte so flach wie möglich zu atmen, was zu einer unangenehmen Atemnot führte und mich immer wieder tief Luft holen ließ, um meine Lungen zu füllen.

Die Sohlen meiner Schuhe klebten an dem glänzenden Marmorboden und ich hatte das Gefühl, dass jede einzelne meiner Bewegungen solch einen Höllenlärm verursachte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis mich jemand entdeckte.

Doch bisher schien niemand sonst anwesend zu sein und nur noch wenige Schritte trennten mich von der Tür, die vielleicht meine Rettung sein würde. Plötzlich räusperte sich jemand und ich wäre fast panisch in den Raum mit der Liege zurückgestolpert, doch stattdessen drehte ich meinen Kopf in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war.

Hinter einer Glasscheibe konnte ich an einem Tisch in einer offenen Küche Dr. Jiseong sitzen sehen. Er hatte mir den Rücken zugewandt und schien an einem Laptop zu arbeiten. Der Mann hatte mich nicht bemerkt und als er seelenruhig nach seiner Tasse griff, die neben ihm stand, um einen Schluck zu nehmen, wollte ich erleichtert weiterschleichen, als ich diese schwebenden kleinen Bälle erblickte und ich abermals innehielt.

Die Kugeln schwebten in der Küche umher und schienen die Schranktüren und Ablagen zu reinigen, denn sie flogen in perfekt synchronisierten Formationen immer wieder darüber hinweg und schienen sich im Takt zur Musik zu bewegen. Es war ein nahezu hypnotisierendes Schauspiel und nur schwer riss ich mich von dem Anblick los, um meinem Vorhaben zu fliehen weiter nachzugehen. 

Während ich mich der Doppeltür weiter näherte, ging ich in Gedanken durch was ich tun könnte, wenn diese verschlossen war. Selbst in diesem Raum waren keine einzigen Fenster vorhanden. Vielleicht befand ich mich in einem ausgebauten luxuriösen Keller oder irgendeiner unterirdischen versteckten Basis. 

Als ich meinem Ziel zum Greifen nah war, erregte der dunkle große Bildschirm meine Aufmerksamkeit. Gestern noch hatten sich dort bunte Linien befunden, die sich zu der Computerstimme bewegt und in einem schillernden Nebel aufgelöst hatten, doch nun war der Monitor tiefschwarz und schien ausgeschaltet zu sein.

Misstrauisch runzelte ich kurz die Stirn und mir kam absurderweise in den Sinn, dass diese Stimme mich vielleicht verraten würde, doch das war natürlich albern. Wie sollte dieser Computer mich sehen und verraten können. Dann auf einmal, stoppte die Zen-Musik und es herrschte einen Moment lang Stille.

"Dr. Jiseong, Objekt 42 hat das Atrium betreten", hörte ich plötzlich diese Yoongi-Stimme laut durch den Raum schallen und das Blut gefror vor Schreck in meinen Adern. Mit zu Schlitzen geformten Augen, wanderte mein Blick langsam zu dem glatten Bildschirm und ich schaute ertappt und hasserfüllt zugleich diesen unsäglichen Wellenlinien dabei zu wie sie umherschlängelten, als vollführten sie bei diesem Verrat auch noch einen schadenfrohen Tanz.

Gleich darauf konnte ich vernehmen wie Dr. Jiseong seinen Stuhl nach hinten rückte, um aufzustehen. Schnell drehte ich mich von der Tür weg und tat so, als hätte ich mich nur interessiert umgesehen. Dabei stierte ich auf die Regenbogenlinien und verzog erbittert meinen Mund.

"Schön, dass du mir keine Schwierigkeiten bereitest", drang Dr. Jiseongs ruhige Stimme an mein Ohr, während seine Schritte sich mir langsam näherten. "Dann können wir ja nun mit der neuropsychologischen Untersuchung beginnen. Uns steht viel Arbeit bevor."

Sicher wäre es nun das Beste ruhig zu bleiben.

Ruhig bleiben und das Spielchen mitspielen.

Vorerst zumindest.

K.I. --- YoonminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt