𝑰-17 | Schokofrosch

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——I——
KAPITEL SIEBZEHN
SCHOKOFROSCH
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Manchmal hasste ich mich selbst. Manchmal hasste ich mich selbst mehr, als alles Schlechte auf der Welt zusammengenommen. Mehr als ich schlechte Noten oder manche Menschen hasste. Mehr als Reinblüter Muggel hassten.

Ich seufzte ergeben, auf Grund des vielen Hasses, während der letzte Umhang in meinem Koffer landete und sich der Reisverschluss mit einem Wink meines Zauberstabes von selbst zu zog.

Innerlich wollte ich weinen und schreien, weil ich seit Tagen nicht mehr Malfoys Stimme gehört hatte und seine Augen mich seit unserem letzten Gespräch nicht mehr ständig durchbohrten. Ab und zu dachte ich, ich fühlte seinen Blick auf mir liegen, doch dieses unverkennbare Stechen blieb aus.

Äußerlich gab ich mich, wie es sich für eine Avery gehörte. Bloß keine Schwäche zeigen. Aufrecht gehen, lächeln und sich sicher geben, egal wie es einem gerade ging. Vielleicht machte Malfoy genau das gerade auch. Vielleicht hatte er, nachdem ich den Blick abgewandt hatte, gemerkt, was kommen würde und meinen ganzen Vortrag über Zeit gehabt, sein Gesicht versteinern zu lassen. Bloß keine Schwäche zeigen, aufrecht gehen und sich sicher geben. Wahrscheinlich hatten seine Eltern ihm so etwas in der Art von frühester Kindheit auf eingebläut, genauso wie es bei mir gewesen war.

„Gehst du schon?", fragte Daphne, als ich mich dem Slytherintisch in der großen Halle näherte. Unser Haustisch war nur spärlich besetzt. Die meisten Kleinkinder aus der ersten bis dritten Stufe waren nach Hause gefahren. Auch aus unserer Stufe saßen nur Daphne und Nott an der langen Tafel. Crabbe und Goyle trieben sich noch irgendwo im Schloss herum und würden das wohl auch die gesamten Frühjahrsferien tun. Ansonsten waren alle schon abgereist. Malfoy war abgereist.

„Ja, ich hab dir doch gesagt, dass ich kurz nach dem Frühstück los muss." Ich schenkte meiner Freundin ein halbherziges Lächeln, das sie mit einem besorgten Blick quittierte. Wir hatten schon darüber geredet. Nur wir zwei. Über die Malfoy-Sache. Sie verstand, dass ich gerade nicht in der Lage war viel mehr als ein Zucken der Mundwinkel aus mir raus zu kitzeln, obwohl sie mir immer wieder gesagt hatte, dass er sicher eine Mitschuld dafür trug, wie es jetzt zwischen uns war.

„Naja, ich geh dann mal.", sagte ich und wünschte den beiden noch schöne Ferien. Daphne rief mir noch ein gewitzeltes „Bring dich nicht um" hinterher, dann verließ ich die schützende Wärme der großen Halle. Für Ende März war es heute früh erstaunlich kühl und als ich den Weg nach Hogsmeade hinter mich brachte, begleitete mich eine frostige Kälte, die meinen Atem sichtbar machte. Im Zaubererdorf stiegen mir die verlockendsten Düfte in die Nase und langsam spürte ich, dass es ein Fehler gewesen war, nur so wenig zum Frühstück zu essen. Mein Magen fühlte sich leer und kalt an.

„Auf der Fahrt werde ich mir wohl was kaufen müssen.", murmelte ich in mich hinein, während ich an dem Schaufenster des Honigtopfs vorbei ging, in dem wieder allerlei Leckereien ausgestellt waren. Bei dem Gedanken an eine Packung Pfefferkobolde lief mir beinahe das Wasser im Mund zusammen. Gerade wollte ich meinen Schritt beschleunigen, als jemand aus der Tür des Ladens kam und wir zusammenprallten. Ich strauchelte zur Seite, konnte mein Gleichgewicht durch den Koffer in meiner Hand aber halten, die andere Person hatte da weniger Glück.

„Potter?", fragte ich, als ich mir den am Boden liegenden Jungen genau ansah. Er hatte einen schwarzen Hoodie an, den ich mir an ihm nie auch nur hatte vorstellen können und eine dunkelblaue Jeans, die alles andere als passend wirkte. Seine dunklen Haare standen wild von seinem Kopf ab und die Brille auf seiner Nase saß schief. Verdutzt sah Harry zu mir auf.

Seit der einen Zaubertrankstunde, in der Flitwick plötzlich häuserübergreifende Zweierteams zusammengestellt hatte und Harry und ich ein Team gebildet hatten, hatten wir nicht mehr richtig miteinander gesprochen. Klar hatte man sich mal mit Unterricht oder auf dem Schulgelände getroffen, aber ein richtiges Gespräch war schon länger her. Genauso lange, wie du und Malfoy euch schon aus dem Weg geht, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Die kleine fiese Stimme, die mich immer wieder an die blonden Haare und den scharfen Blick erinnerte, der einfach fehlte.

Ich streckte dem Jungen, der – nach dem Sturz noch - lebte, meine Hand hin und half ihm auf die Beine.

„Danke", sagte er und schaute etwas verlegen zur Seite. Was hatte ich ihm letztes Mal von wegen beide Seiten erzählt? Hatte er das schon vergessen? „Du siehst irgendwie traurig aus, ist etwas passiert?"

Schwerfällig zog ich die Luft ein. Wie war ihm das so schnell aufgefallen?

„Das ist nicht von Bedeutung. Wenn du mich entschuldigen würdest." Mit einem gezwungenen Lächeln schob ich mich an ihm vorbei. Sehr charmant, wirklich Marry, super.

„Marry Adeline Avery, nicht wahr?", fragte der Junge da plötzlich hinter mir und ich hielt an. Wann hatte ich ihm denn meinen vollen Namen gesagt? „Ja, ich würde dich sehr gerne näher kennenlernen."

Woher nahm der Gryffindor, der in meiner Gegenwart plötzlich immer zu einem stotternden Kleinkind mutierte, plötzlich all das Selbstvertrauen? Ich drehte mich zu ihm.

„Du fährst über die Ferien offenbar nach Hause." Er deutete mit dem Kopf auf meinen Koffer und ich nickte.

„Fährst du denn nach Hause?", fragte ich und sah wie sich etwas in seinem Blick verdüsterte. Ich wusste, dass seine Eltern gestorben waren – wer wusste es nicht – doch ich hatte angenommen, er hätte bei irgendwelchen Verwandten ein Zuhause gefunden. Nach seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, stimmte das jedoch nicht.

„Ich bleibe lieber in Hogwarts, als nach Hause zu fahren.", antwortete er und lächelte mich an. Wie konnte er bei solchen Worten lächeln? Er hatte praktisch zugegeben, dass ihn zu Hause nichts erwartete. Hatte er denn keine Familie, die ihn als den Helden aufgezogen hatte, der er war? Er hatte immerhin als einziger Mensch den Tötungsfluch überlebt und die gesamte Zaubererwelt von der Schreckensherrschaft des bösesten aller Zauberer befreit.

„Ich verstehe.", murmelte ich, auch wenn ich nicht verstand. Nicht wirklich.

„Hier, Marry!" Er warf mir eine dunkelblaue sechseckige Verpackung zu. Ein Schokofrosch. „Hab schöne Ferien, ja?"

Er legte seinen Kopf schief und lächelte schon wieder. Seine Augen glänzten in einem wunderschön intensiven Grün und ich konnte gar nicht anders, als ihm ebenfalls ein Lächeln zu schenken. Zumindest ein kleines Lächeln hatte er verdient, für all die Traurigkeit, die hinter seinen Worten verborgen lag.

Jetzt musste ich mich beeilen, um noch rechtzeitig zum Express zu gelangen.

„Schöne Ferien, Harry", murmelte ich, als ich schon längst im Zug saß und die Süßigkeit, die er mir geschenkt hatte, betrachtete. Die Geste erfüllte mich mit einer angenehmen Wärme. Er konnte ja nicht wissen, dass ich keine Schokolade mochte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 26, 2021 ⏰

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