In diesem Aufnahmelager für Spätaussiedler waren wir in einer Wohnung in der kleinen Stadt Kitzscher bei Leipzig untergebracht. Wir teilten uns ein halbes Jahr eine drei Zimmer Wohnung mit einer anderen Familie. Eine komplette vierköpfige Familie wohnte im Wohnzimmer und wir, auch zu viert, in den anderen beiden Zimmern. Ich denke, wir bekamen mehr Platz, da ich und meine Schwester schon größer und älter waren, als die anderen beiden Kinder.
Das war nicht nur ein Kulturschock, sondern auch eine sehr schwierige Zeit für mich. Ich wollte nicht von Sibirien nach Deutschland ziehen und all meine Freunde und anderen Familienangehörigen zurück lassen. Ich hatte ein Gespräch mit meinem Onkel, der mir dann erklärte, dass sich unsere Eltern eine bessere Zukunft für uns Kinder wünschen und deshalb nach Deutschland ziehen. Ich fühlte mich aber nicht willkommen in Kitzscher. Wir wurden in der Schule gehänselt, angespuckt, ausgelacht und verprügelt, da wir nicht deutsch waren, zumindest nach deren Ansicht.
Ich kann mich noch sehr gut an den Tag erinnern, als Hitler´s Geburtstag von den Rechtsradikalen gefeiert wurde. Es muss im Jahr 1996 gewesen sein. Sie kamen zu unserem Aufnahmelager und haben alles klein geschlagen. Sie durchbrachen die Wohnungstüren und verprügelten alle, ob jung oder alt, Mann oder Frau, die ihnen in den Weg kamen. Zum Glück wohnten wir im fünften Stock und sie haben es nicht geschafft zu uns hoch zu kommen, da die Polizei noch rechtzeitig kam. Wir waren hilflos, denn wir durften damals nicht entscheiden, in welches Bundesland wir ziehen. Wir mussten in Sachsen bleiben, sonst hätten wir keine Unterstützung vom Staat bekommen. Wir waren sehr schockiert und entsetzt, dass es auch nach so vielen Jahren immer noch Rechtsradikale gab.
Nach diesem Vorfall haben sich meine Großeltern, die beide deutsch sind, dazu entschlossen zurück nach Sibirien zu gehen. Sie waren traurig und enttäuscht, da sie was anderes erwartet haben. Sie hatten es in Sibirien auch nicht leicht und dachten, dass es in Deutschland besser wird und sie endlich sich „zu Hause“ und akzeptiert fühlen. Meine Großeltern erzählten mir von der Kriegszeit, dass sie mit ihren Familien von den deutschen Dörfern in Russland nach Sibirien vertrieben wurden, so dass sie bei den russischen Familien unterkommen mussten. Sie ernährten sich teilweise von den Essensresten der russischen Familien wie z.B. Kartoffelschalen und wurden schrecklich behandelt. Meine Mutter litt auch während ihrer Schulzeit und wurde als Faschistin beschimpft. Auch die Beziehung zu meinem Vater war nicht leicht, da er nicht deutsch ist und es wurde nicht so gerne gesehen, dass sich die Rassen mischen. Doch meine Eltern hielten zusammen. Aus diesem Grund sind wir auch mit meiner Schwester sehr tolerant und offen aufgewachsen. Wir bekamen mit auf dem Weg, dass wir mit allen Menschen mit Respekt umgehen sollen und den Menschen helfen sollen, wo wir nur können.
Meine Eltern jedoch haben sich nach dem Vorfall im Aufnahmelager und den Umständen in Sachsen entschieden, nach Nordrhein-Westfalen umzuziehen. Dort lebten bereits viele Verwandte von uns, die vergleichsweise ein glückliches und erfolgreiches Leben schon führten.
Mein Vater, der zu diesem Zeitpunkt kaum deutsch sprach, ging nach Nordrhein-Westfalen um dort schnell eine einfache Arbeit zu finden. Wir hatten Glück und er ergatterte schnell einen Job als Maler/Lackierer. Mit allem Sack und Pack sind wir dann mit vollbepacktem Auto umgezogen. Die Angst war groß wieder in eine neue Schule zu gehen, neue Leute kennen zu lernen und in einer unbekannten Stadt zu leben.
Wie das Schicksal es so wollte, ging es glücklicherweise langsam aufwärts. Meine Schwester und ich haben schnell Anschluss in der Schule gefunden und es wurde besser. Ich hatte allerdings nur ein paar „russlanddeutsche“ Freundinnen, da ich weiterhin in der Schule gehänselt wurde. Meine Freundin kam ursprünglich aus Russland und wohnte nicht weit von mir. Wir trafen uns fast jeden Tag, um zusammen durch die Stadt zu schlendern, schwimmen zu gehen oder einfach mal zusammen abzuhängen. In meiner Klasse wurde ich wegen mangelnder Sprachkenntnisse und wegen meines Kleidungsstils gehänselt, insbesondere, da ich keine Markenkleidung trug.
Ich muss kurz ausholen und dir erzählen, dass mein Vater von der Halbinsel Sachalin kommt und seine Familie ist ständig umgezogen. So wurde auch die Tradition bei uns weitergeführt. Nach nur ein paar Monaten zogen wir weiter. Ich war in der neunten Klasse und musste mich wieder neu akklimatisieren. Ich hatte unheimlich viel Glück, da ich eine sehr nette Klasse erwischte, jedoch war meine Klassenlehrerin leicht rassistisch veranlagt und diskriminierend. Sie wollte mich unter anderem vor der ganzen Klasse zum Logopäden schicken, wobei ich noch mitten im Prozess war, eine neue Sprache zu erlernen und das „R“ nicht richtig aussprechen konnte. Eine weitere „lustige“ Story passierte in der Klasse meiner Freundin, in der dieselbe Lehrerin unterrichtete. Da fragte sie vor der ganzen Klasse, ob nicht eine von den russlanddeutschen Mamas bei ihr zu Hause putzen könnte. Ich möchte hier nicht weiter ausholen, aber heute lache ich über diese Lebensanekdoten nur noch.
Es vergingen zwei Jahre und erstaunlicherweise sind wir in der selben Stadt geblieben, wechselten jedoch drei Mal die Wohnung. Während meiner Schulzeit lernte ich nicht nur erfolgreich Deutsch und Englisch, sondern auch Französisch. Ich entdeckte meine große Leidenschaft für Sprachen und entschied mich für einen Weg, bei dem ich noch Spanisch lernen konnte. Im Jahr 2001 begann ich meine Ausbildung als staatlich kaufmännisch geprüfte Assistentin, die ich 2004 erfolgreich absolviert habe, wobei ich die spanische und englische Kommunikation erlernt habe.Während der Ausbildung habe ich auch meinen Führerschein gemacht, an Hip-Hop Tanzmeisterschaften teilgenommen und in einem Supermarkt an der Kasse gearbeitet. Ich liebte schon damals tausend Dinge gleichzeitig zu machen. So war ich effektiv, glücklich und hatte auch noch viel Spaß dabei. Als ich nach Deutschland kam, habe ich nicht mehr getanzt bis ich eines Tages eine Gruppe Hip Hop tanzen gesehen habe. Das haute mich so um, dass ich nicht anders konnte, als auch mit dem Tanzen wieder anzufangen. Meine große Leidenschaft Tanzen blühte wieder in voller Pracht auf. Ich fragte die Gruppe, die bei unserer Abschlussfeier von der 10. Klasse, auftrat, wo sie denn trainieren würden und wie ich auch so toll tanzen lernen könnte. Es begann eine Tanzkarriere als Animateurtänzerin. Ich fing an für die Hip Hop Meisterschaften zu trainieren und gründete mit paar Freunden eine eigen Tanzgruppe, um in verschiedenen Diskotheken und Feiern, aufzutreten.
Anschließend konnte ich nach Dortmund weiterziehen, um dort mein International Business Studium zu beginnen. Es war ein Doppeldiplom-Studiengang, der einen Auslandsaufenthalt beinhaltete. Ehrlich gesagt, habe ich mich für das Studium nur wegen Spanien entschieden. Ich wollte die Welt sehen und endlich spanisch sprechen lernen und wieder weiterziehen. So gelang es mir vor meinen persönlichen Problemen, Sorgen und Ängsten zu fliehen. Ich bin nach Valencia in Spanien gezogen.
Es war eine wunderschöne Zeit. Am Strand lernt es sich tatsächlich besser. Stell dir vor, du bist in einem langen Urlaub, bei dem du erst und nur am Ende des Semesters dich an den Tisch setzen musst, um das Studium zu beenden. Ich hatte Glück, dass mein Kurzzeitgedächtnis so toll funktionierte. Ich verpasste keine Party, brutzelte gerne wie ein Grillhähnchen am Strand, lernte und lebte meine Lieblingssprache Spanisch irgendwie automatisch.
Nach einem halben Jahr merkte ich wieder mal, dass mir nur zu studieren zu wenig war. Ich wollte mehr und nahm das Angebot, ein Praktikum bei der größten Werbeagentur in der Region um Valencia zu machen, an.
Ich konnte mein Glück nicht fassen. Es war einfach unglaublich spannend, interessant und verrückt. Ich durfte bei den Segelregatten „America´s Cup“ für eine große Automobilmarke aus Deutschland arbeiten, indem ich zwischen der Werbeagentur und dem deutschen Kunden vermittelt habe. Ich arbeitete in jeder freien Minute und studierte nur nebenbei. Da wären wir wieder mal bei meinem Charakterzug, dass ich immer tausend Dinge gleichzeitig machen möchte. Ich merkte dann in der Prüfungsphase, dass es zu viel wurde. Ich habe mich entschieden, mich auf die Prüfungen zu konzentrieren, in dem ich beim Praktikum eine Pause einlegte. Doch es war wahrscheinlich schon zu spät. Ich fuhr immer auf Hochtouren, wollte mehr machen und besser funktionieren.
Für mein letztes Semester ging es wieder zurück nach Dortmund. Ich wohnte in einer 2er-Wohngemeinschaft mit einer guten Freundin mitten in der Dortmunder Innenstadt. Das erste Jahr war sehr schön, lustig und aufregend. Wir haben viel unternommen, zusammen gelacht, gekocht und waren für einander da. Tagsüber tanzte ich viel Hip Hop und abends bzw. nachts schrieb ich meine Diplomarbeit. Es fiel mir leicht, so dass ich schnell und erfolgreich mein Studium beenden konnte. Doch dann kam der Ernst des Lebens. Es bedeutete, dass ich mit der Jobsuche anfangen musste. Ich musste auch die Partys und Tanzen bei Seite legen und hatte natürlich weniger Freizeit.
Ich hatte die Idee! Ich wollte unbedingt zur angesagten Werbeagentur in Düsseldorf und begann alles dafür zu tun, um den Traum zu verwirklichen...
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KAT GONE CRAZY
NonfiksiMein durchgeknallter Weg aus der Psychose Ich vertraue dir meine ganz persönliche und ehrliche Geschichte an, wie ich den richtigen Weg aus der Psychose gefunden habe. Was für eine Achterbahnfahrt! Ich nehme dich mit auf eine spannende und verrückte...