WORK

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Obwohl die Speise schon kalt war, genoss ich sie bei einer heißen Tasse Kaffee - es war köstlich! Andreas konnte von Glück reden, dass er so eine begabte Frau gefunden hatte. Ach ja, dieses Glück wollte ich auch gerne haben.
Ehe ich mich versah, war der Teller auch schon leer. Ich platzierte ihn an eine freie Stelle im Geschirrspüler und putzte mir meine Hände an der Hose ab; auch wenn sie meinen Bruder gehörte. Sodann machte ich mich gefasst auf, zur Firma zu gehen - die war ohnehin nur wenige Meter von hier entfernt.

Ich schlich mich in mein Büro, welches auch mehr oder weniger das Büro meines Bruder war. Denn nur eine schiebbare Glaswand inklusive Glastür war zwischen unseren Schreibtischen. So konnte man besser Gespräche am Telefon führen - zwar so, dass keiner den anderen stört.
Ich dachte, dass mich hier Papierstapel höher als der Eiffelturm erwarten würden, wie sonst auch immer. Doch nur die Skizze eines Bühnenbildes war im Ordner eingeordnet. Und die hatte ich da vor wenigen Tagen abgelegt. Ich warf einen Blick auf den Schreibtisch meines Bruders. Aha! Da waren die gesuchten Stapel ja. Andreas hatte sie alle zu sich getragen. Womöglich dachte er wirklich, dass ich heute nicht mehr zur Arbeit auftauchen werde. Tja, da hatte er sich geirrt!
Ich ging durch die Glastür hinüber und suchte mir den größten Papierturm heraus - Das war ich ihm schuldig. Ich wollte schon wieder zurück, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Andreas. "Ah, da bist du ja", sagte er, nahm mir den Stapel ab, legte ihn zurück und zog mich mit ihm mit.

"Du hast deine müffelnde Kleidung gegen welche von mir getauscht?", erkannte er auf dem Weg nach unten. "Gut!", fügte er hinzu. Ich erwartete alles, aber nicht dass er es gut fand. "Sag mal, wo willst du hin und was hast du vor?", fragte ich verwirrt nach, während ich auf die letzte Stufe nach unten trat. "Halt die Klappe und komm einfach mit!", forderte er nicht böse gemeint und zog mich die letzte Stufe hinunter. Wir gingen noch ein Stück. Jedes Crewmitglied, welchem wir begegneten, schaute mich hasserfüllt an. "Was haben die alle?", hakte ich nach. "Das fragst du noch! Die sind alle sauer, weil du nicht zur Teamsitzung gekommen bist und du weißt, was wir besprechen wollten!", erklärte mir mein Bruder. "Ja, wann wir wo und wie die Show spielen", anwortete ich. "Genau, und den groben Ablauf!", fügte Andreas hinzu. "Aber wenn der kleine Herr Ehrlich lieber feiern geht, antatt sich auf diese große Show vorzubereiten..." "Ja, ist gut. Ihr seid sauer, weil ich feiern war!", meinte ich. Andreas blieb stehen. "Fast. Wir sind nicht sauer, weil du feiern warst, sondern weil wir wegen dir sämtlichen Journalisten die Interviews absagen mussten! Du kannst dir selbst ausmalen wie sich das auf die Presse auswirkt!" "Das tut mir ja auch leid. Aber... wir haben doch erst vor wenigen Wochen die Tour zu Ende geführt. Da darf es mir doch erlaubt sein, einmal im Jahr mit Lyla Trinken zu gehen..." Mein Bruder unterbrach mich und winkte ab: "Darum geht es doch gar nicht! Chris, du verstehst nicht..." Diesmal unterbrach ich ihn: "Nein, ich verstehe es auch nicht! Ganz ehrlich? Ich bin froh, dass die Tour vorbei ist und ich mal Zeit für mich hab. Aber ihr macht jetzt schon wieder Stress wegen einer Show, die noch meilenweit entfernt liegt!" Ich wollte noch etwas sagen, doch etwas aufgebracht entgegnete Andreas, dass diese große Show gar nicht mehr so weit entfernt lag. Und damit hatte er ja auch Recht, aber zugeben wollte ich es nicht - Dazu trug meine große Sturheit bei. "Die Fans wissen noch nicht mal von diesem Plan...", murmelte ich geärgert weiter. "Aber wir schweifen gerade vom Thema ab. Sag Anne dass sie diese Interviews auf den nächsten freien Tag verschieben soll und wir holen jetzt die Teambesprechung nach. Einverstanden?", berichtete ich Andreas von meinem spontan eingefallenen Plan. "Von mir aus. Aber das mit den Interviews kannst du Anne ruhig selbst sagen", meinte mein Bruder. Meine Kopschmerzen kamen langsam wieder, aber davon ließ ich mich nicht ablenken. Doofer Kater. Dann packte er mich wieder am Arm und zog mich weiter mit.

Andreas befahl mir im Besprechungsraum Platz zu nehmen. Er trommelte die obersten Crewmitglieder zusammen und holte Anne, unsere Managerin, dazu. Mein Bruder kam dann neben mir zum Stehen und flüsterte mir zu, dass er mich eigentlich hierhin mitgeschleppt hat, damit ich mich beim Team entschuldige. Und dies tat ich dann auch, nachdem Andreas um Ruhe bat. "Hört mir mal alle zu! Ich weiß, dass wir mitten in den Vorbereitungen der Show stecken und ich weiß auch, dass ich euch unnötig weitere - meine - Arbeit angeschafft habe. Dass ich es versaut habe. Diesbezüglich will, oder besser muss, ich mich bei euch allen entschuldigen! Ich weiß, dass diese Worte mein Fehlverhalten und mein falsches Handeln nicht mehr rückgängig machen können, und deswegen habe ich mir eben aus dem Augenblick heraus überlegt, der kompletten Crew heute noch ein Bier vorbeizubringen! Ist das was?" Das mit dem Bier brachte ich jetzt aus Prinzip. Schnell unterbrach ich das jubelnde Team: "Natürlich wird auch das nichts daran ändern, dass ich euch im Stich gelassen habe, aber so kann ich euch zeigen, dass es mir wirklich leid tut!" Ein kurzer Applaus ertönte. In einem leisen Ton bat ich Anne, die Interviews zu verlegen. Danach begannen wir darüber über das zu sprechen, weswegen wir überhaupt hier waren. Diese eine Show.
Da wir tatsächlich schon einen festen Ablauf hinsichtlich der Illusionen, der Pausen, der kurzen Musikeinlagen und der Auf-und Abbauphasen festlegen konnten, einigten wir uns darauf, die Show in exakt drei Wochen zu geben. Meiner Meinung nach, war das Beste daran, dass wir wieder in ein bereits bekanntes Stadion gingen - Es war das Gleiche, wie damals bei "Flash". Allerdings mussten wir, das hieß Anne, es erst in Antrag stellen. Ich war froh, dass wir das Vorhaben des heutigen Tages doch noch irgendwie geregelt bekommen hatten - bis auf die Interviews natürlich. Aber so hatte ich meinen Fehler weitestgehend ausgebügelt. So weit, so gut!

Bevor ich mich dem zuvor ausgewählten Papierstapel widmete, bat ich Lyla per Telefon heute Abend um ein Treffen. Ich musste wissen, wer für die Liebesmale auf meinem Hals verantwortlich war und was da gestern wirklich abging. Mein Kopf dröhnte wieder stärker, also nahm ich eine Aspirin von Andreas ein. Er hatte sie mitgebracht; zumindest einer dachte an meine Kopfschmerzen.

Noch vor Feierabend holte ich mehrere Bierkästen aus einem Getränkemarkt. Der Blick des Kassierers, als ich mit dem vielen Bier an die Kasse kam - unbeschreiblich...witzig! Der dachte wohl, dass ich Komasaufen würde.
Später verteilte ich das Bier an jedes Crewmitglied, selbst an meinen Bruder. Nur ich blieb leer aus; es war ein freiwilliger Verzicht. Denn ich wollte mir keinen Ärger einhandeln - nicht schon wieder.
Diese eine Flasche, die übrig blieb, hob ich für Lyla auf. Obwohl die ruhig auch darauf verzichten hätte können.

"Soll ich dich nach Hause fahren?", fragte mich mein Bruder, als die Mannschaft die Firma verließ. "Wenn du jetzt noch fahren willst...", meinte ich. "Bruder, ich hatte ein Bier, nicht mehr und nicht weniger!" "Dann bitte, fahre mich. Aber ich warne dich, wenn etwas passiert, komme ich nicht für die Schäden auf!", drohte ich ihm mit ernster Stimme, bevor ich mir das Lachen nicht mehr verkneifen konnte.
Andreas öffnete die Beifahrertür und verbeugte sich unspektakulär. "Bitte, steigen Sie ein, mein Herr". Ich weiß nicht, wer von uns beiden als erstes losprustete, aber mein Bruder hörte als Erstes wieder auf. "So lustig war das jetzt auch wieder nicht", stellte er fest. "Da hast du Recht", stimmte ich zu und stieg ein. Nachdem auch Andreas in seinem Wagen war, fuhr er los.

Meine beste Freundin wartete bereits vor der Eingangstür des Hauses, welche mehrere Wohnungen beinhaltete. Als sie das Auto hörte, drehte sie sich um. Ich stieg aus und lief, mit der Flasche in der Hand, auf sie zu.
"Hier, für dich!", sagte ich, bevor ich ihr das Bier gab. Keine gefühlten zwei Minuten später war dieses leer. Was ne Alkoholikerin!
"Lyla, ich muss dich was fragen", startete ich das Gespräch. Durch das Licht der Lampe, welche oberhalb der Haustüre angebracht war, sah ich, dass sie sich zu mir drehte. Durch die extreme Dunkelheit konnte man dies ohne Licht kaum erkennen. "Alles außer Intimes, bitte!" Ich schüttelte nur den Kopf. "Weißt du noch was gestern alles passiert ist?", wollte ich wissen und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Wie damals. "Naja, das, was ich noch weiß, ist, dass wir ziemlichen Spaß hatten", antworte sie mit ihrer sanften Stimme. Wir? Spaß? Bitte nicht... War sie wirklich der Grund für meine Knutschflecke? Wenn ja, war es gut, dass sie von ihr waren und nicht von einem Fan? Tausende Fragen schossen durch meinen Kopf. "Haben wir...?", wollte ich schüchtern nachfragen, doch sie sprach dazwischen: "Hölle, nein! Ich schwöre dir, zwischen dir und mir war nichts. Jedenfalls nichts, von dem ich noch wüsste..." Ich schreckte auf. "Ach, Chris. Ich will dich doch bloß veräppeln. Nur ein Spaß, okay? Das Einzige, woran ich mich erinnern kann, ist, dass du mit einer ziemlichen heißen Dame geflirtet hast. Sie könnte auch für dein... die Deko auf deinem Hals verantwortlich sein", meinte Lyla und grinste mich an. "Naja, solange es nicht mehr war...", murmelte ich irgendwie erleichtert. "Wer weiß? Ich habe gesoffen und du größtenteils gekotzt, keine Ahnung, was du noch so getrieben hast...!" Mir lief eine Schauer über den Rücken. Ja, keine Ahnung was ich noch so getrieben hatte. Wenn ich es wüsste, hätte ich nicht so blöd gefragt! "Sag, willst du mir Angst machen?", hakte ich nach und versuchte cool zu wirken. "Vielleicht". Dieses freche Grinsen...ich hasste es!
Sie trat näher. Und ich hätte schwören können, dass ich ein Glitzern in ihren Augen erkannte. Sie legte eine Hand auf meine Wange und hauchte mich an. Wir schlossen unsere Augen und... ruckartig wurde ich nach hinten gezogen.
"Sag mal geht's noch?", raunte mir mein Bruder zu. War er die ganze Zeit hiergeblieben? Scheinbar. Hatte unser Gespräch belauscht? Möglich. Ich riss mich los. Schneller als ich schauen konnte, verließ Lyla das Grundstück. Andreas ließ von mir ab und stampfte wütend Richtung Auto. Was hatte er denn? Eines stand für mich fest. Diesmal würde ich morgen meinem Bruder um eine ordentliche Erklärung für sein Verhalten bitten!

Sauer trottete ich in meine Wohnung und kuschelte mich in meine Bettdecke. Wieso war er dazwischen gegangen? Nicht dass ich mit etwas mit Lyla vorstellen könnte... Sie war meine beste Freundin! Nicht mehr und nicht weniger! Ich empfand für sie nichts außer Freundschaft und eine enge Verbundenheit. Aber... wieso ließ ich sie dann trotzdem wieder an mich heran?
Nach langem und ziellosen Kopfzerbrechen fand ich dann endlich Ruhe und konnte einschlafen.

Ich wollte nicht den gleichen Fehler begehen wie damals...

BUT I NEED YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt