BROKEN

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Kannte man das? Diese Unwissenheit. Wie lange warteten wir schon auf das Ergebnis? Ich wusste es nicht. Es war als stände die Zeit still.
Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern wann es anfing, aber seither war schon einige Zeit verstrichen. Immer und immer wieder hatte Lyla die Vermutung, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Dass irgendetwas ihr Leben verändern würde. Um es korrekt zu bezeichnen, unser Leben. Und die Anzeichen waren auch da. Aber wir wollten uns nicht festlegen. Deshalb hatte sie diesen Test gemacht, um uns Klarheit zu beschaffen. Sie befürchtete tatsächlich eine Schwangerschaft. Ob das gut oder schlecht war, musste jeder für sich selbst entscheiden. Ich war im Zwiespalt. Denn noch hielten wir unser Verhältnis vor der Presse und den Fans geheim. Auch wenn sich damals, bei dem Foto, einige Gerüchte ansammelten. Doch natürlich würde ich mich auch freuen. In Anbetracht dessen, dass ich es vielleicht endlich geschafft hatte, meine Kaulquappen sinnvoll einzusetzen. Aber nun mussten wir ohnehin erst einmal warten, damit sich unsere Unsicherheit entweder bestätigte oder als falsch auswies.

"Und, zeigt er schon was an?", wollte ich wissen, als Lyla einen Blick auf den Test warf. Sie schüttelte nur den Kopf. Ich hockte angelehnt hinter der Couch auf dem Boden. Es spannte mich zu sehr auf die Folter. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und fragte, wieso das denn solange dauerte. "So ist das nun mal", kam zurück. Es trat Stille ein. Ich hielt es nicht mehr aus, ging zur Küche, nahm mir ein piekfeines Glas aus dem schwarzen Hochglanzregal und befüllte es mithilfe des Wasserhahns. Ich nippte mehrmals daran. Als ich mich das nächste Mal zu Lyla umdrehte, musste ich aufpassen, das Glas nicht fallen zu lassen. Sie weinte. Ob durch Freude oder Leid konnte ich nicht erkennen. Vorsichtig stellte ich das Trinkgefäß am Tresen ab. Daraufhin setzte ich mich in Bewegung. "Hey, ist alles okay?", fragte ich vorsichtig, ging vor Lyla in die Hocke und nahm ihre Hände. Ein Blick auf den Test beschaffte mir Wissen.
Zwei Streifen.

Positiv.

Mein Herz begann schneller zu schlagen. Ich blickte in ihr verweintes Gesicht. "Weißt du, was das bedeutet?", hakte ich vorsichtig nach und konnte mir mein Grinsen nicht verkneifen. "Ich werde Papa", stellte ich fest und erhob mich. Am liebsten wollte ich Freudensprünge machen, doch Lylas Gesichtsausdruck hielt mich davon ab. Ich setzte mich neben sie. "Nicht cool?", fragte ich und wischte ihr die Tränen mit der Hand weg. "Das ist das Schlimmste, was je passieren konnte", meinte sie leise. Es schockierte mich ein bisschen, dass sie sich nicht freute. "Aber warum denn?", wollte ich wissen. "Weil du nicht weißt, was ich weiß".

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Und nun waren wir hier. Sie im Untersuchungsraum und ich im Gang. Was sollte das alles? Wie lange würde sie noch brauchen? Und wieso durfte ich nicht mit hinein? Der Stuhl war ziemlich unbequem, weshalb meine Beine mich nun tragen mussten. Oder war es doch, weil ich nicht mehr stillsitzen konnte? Meine Schritte lenkten mich in Richtung der Tür, hinter der meine liebste Person war. Ich presste mein Ohr gegen das feste Material. Doch alles, was ich hörte, war ein Schluchzen. Ich begann mir Sorgen zu machen. Vielleicht war auch das der Grund, warum ich nicht mitbekam, dass mich eine Krankenschwester antippte und fragte, was ich denn hier tat. Ich zuckte nur. Und die Frau bat mich, mich wieder hinzusetzen. Gegen meinen Willen gehorchte ich. Aber als die Schwester gegangen war, führte mich mein Weg wieder zurück zur Tür.

Und dann wurde nach mir gerufen.

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Als wir wieder Zuhause waren, funkelten ihre Augen nicht mehr. Sie waren gerötet. Ihre Pupillen geweitet. Als Lyla das schwarz-weiße Foto in das Album legte und es zuklappte, kamen auch mir die Tränen.

Dieses Kapitel war zu Ende.

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Sie lehnte ihre Stirn an meine Brust und ließ ihre Tränen auf meinen Schoß tropfen. Ich küsste ihre Scheitel und fuhr ihr vorsichtig durch ihr violettes Haar. "Warum wird mir sogar das genommen?", fragte sie schwach und mit zittriger Stimme. Ich wusste nicht, wie ich sie trösten sollte. Meine Hände berührten nun ihre Wangen. Ich drehte ihren Kopf so, dass Lyla mich anschauen musste. Ihre Augen, nur so von Wasser gefüllt. Bis es wieder hinab floss. Sie war so zerbrechlich geworden. Fast schon verloren. Diese ganzen Schicksalsschläge, die sie erleben musste. Es tat mir so leid. Und jetzt auch noch unser Glück.

Obwohl ich es nicht ausstrahlte, zerbrach ich doch selbst daran. So viele Gefühle stiegen in mir hoch. Ich wollte nicht, dass sie sich schuldig fühlte. Aber ich verstand es, dass sie es tat. Denn sie war Schuld.
Ich wollte ihr zeigen, dass ich für sie da war, aber ich traute mich nicht, sie jetzt zu küssen. Meine Finger streichelten sanft ihre Haut, bevor ich ihren Kopf losließ. Sofort ließ sie ihn fallen und schloss ihre Augen. Sie zitterte am ganzen Körper. Und ich konnte nichts anderes tun, als dabei zuzusehen, wie sie kaputt ging.

Dieser Moment als sie mir berichtet hatte, dass ich es nach so vielen Jahren geschafft hatte, ein Lebewesen zu zeugen, welches mein Blut trug. Der Test, der nun in einer der Seiten im Fotolbum klebte. Der fast eintönige Ausdruck von ihrem Bauch. Das Bild in meinem Kopf begann Risse zu bilden. Nur um dann in kleine Scherben zu zerbrechen. Das Einzige, was hinterlassen wurde, waren tiefe Narben. War das wirklich real? Ja, das war es. Und es gab keinen Weg es zu verändern. Dieser Lebensabschnitt war vorbei, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. Und, obwohl ich es nicht wahrhaben wollte, war Lyla daran Schuld.
Ich war aber nicht sauer auf sie. Dafür liebte ich sie zu sehr. Ich wollte einfach immer für sie da sein. Selbst in den dunkelsten Zeiten. Das war ich ihr schuldig. Um meine Fehler in der Vergangenheit wieder gut zu machen. Ich hatte sie in Dinge hineingezogen, womit sie nichts zutun haben wollte. Und jetzt hatte sie eben einen Fehler gemacht. Aber mit diesem Verlust mussten wir jetzt irgendwie weiterleben. Zu ändern war es nicht mehr.

Ich sah, wie sie zur Schachtel griff, um eine Zigarette herauszunehmen. Keine Sekunde später war sie entzündet. Als sie zur Weinflasche langte, um sie von dem Korken zu befreien, erblickte ich ihre Narbe. An dieser Narbe war ich schuld. Wegen mir hatte sie sich wehgetan. Auch wenn es ihr Wille gewesen war.
Lyla nahm die Zigarette und die Flasche und verschwand damit im Badezimmer. Danach wurde von innen die Tür abgeschlossen. Und ich? Ich öffnete das Album, nahm das Foto heraus, ließ meine Tränen darauf landen und presste es gegen meine Brust; an mein Herz. Genau da würde dieses Wesen immer bleiben. Immer.

Weil du nicht weißt, was ich weiß.

BUT I NEED YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt