PART TWO: FEAR

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Etwas verdattert legte in meinen Autoschlüssel auf den Schreibtisch. Ich hatte doch mit ihr abgeschlossen, warum also ging mir das Bild von ihr, wie sie da lag, nicht aus dem Kopf? Ich wollte wissen, was passiert war. Aber ich konnte doch nicht einfach zu ihr ins Krankenhaus kommen und fragen. Nicht, nachdem was sie mir angetan hatte. Das konnte ich nicht bringen.

Ich setzte mich auf den Bürostuhl und warf einen Blick in meinen Papiereimer. Mein gezeichneter Storch lag noch in einzelnen, verknitterten Teilen da. Leise schnaufte ich aus. Dann sah ich Andreas an, der auf der Tischkante das und in seine leere Kaffetasse starrte.
Was hatte denn er denn für einen Grund so traurig zu sein? Ich setzte mich neben ihn und hielt meine Hand vor sein Gesicht. "Hallo, Bruder" Er schloss die Augen. Langsam nahm ich meine Hand zurück und legte stattdessen beide auf seine Schulter, sodass er sich zu mir drehen musste. "Liebstes Bruderherz, ich sehe dass da was im Busch ist. Also, willst du mir erzählen, was dich bedrückt?", fragte ich nach. Andreas öffnete die Augen und sah mich an. "Nichts ist", antwortete er. "Ich kenne dich. Also mach mir nichts vor. Was ist los?", hakte ich nun etwas deutlicher nach, da mein Bruder nicht mit der Sprache herausrücken wollte. "Nichts", wiederholte er und schmiegte seinen Kopf an meine rechte Wange. Da es auf meiner Schulter plötzlich nass wurde, nahm ich an, dass er weinte. Ich nahm ihn in den Arm. "Ich hab es vergeigt" Das ist alles, was er sagte. Was? Was hatte er vergeigt? Als er aber von sich aus nichts mehr sagte, wollte ich auch nicht mehr näher nachfragen. Wenn er es wollte, würde er es mir schon mitteilen. Ich wollte ihn zu nichts zwingen. "Egal, was es ist, ich bin für dich da, wenn du reden willst", sagte ich. "Ich weiß nicht, ob du es wissen willst...", murmelte er fast unverständlich. Andreas setzte leise fort: "Es ist vermutlich besser, wenn du es nicht weißt".

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Stefanie und die Kids aßen bereits zu Abend. Ein kurzer Blick auf den Tisch verriet mir, dass ich willkommen war. Denn es war ein Teller mehr als die Familie sonst benötigte platziert. Andreas gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange und nahm seine Kinder kurz in den Arm. Dann setzten wir uns und befüllten unsere Teller. Anders als eben im Büro von Andreas suchte er das Gespräch und ließ sich nicht anmerken, dass er eben noch geweint hatte.
Wie meistens, wenn ich hier aß, half ich Stephanie nach dem Essen beim Abwasch, während mein Bruder die Kinder ins Bett brachte.

Ich nutzte die Gelegenheit und fragte sie, ob sie wusste, was in Andreas vorging. "Natürlich ist mir aufgefallen, dass ihn irgendetwas bedrückt - sowas kann er nicht verbergen, dafür kenne ich ihn zu gut. Aber ich weiß nicht, was es ist", gab sie mir als Antwort. "Ah, du weißt es also auch nicht", erkannte ich und stellte den Wasserhahn ab. "Vielleicht möchte er es mir ja bald erzählen", meinte ich und schloss somit das Thema ab. "Chris, tu mir einen Gefallen und sei nicht immer so neugierig", beendete sie unser Gespräch und stellte das letzte Teller in das, im Gegensatz zu meinem, hölzerne Regal.

Mit kleinen Schritten ging ich die Treppe hinauf zum Badezimmer. Dort frischte ich mein Gesicht mit etwas kaltem Wasser auf. Es tat gut. In meinem Kopf ging ich nochmal durch, was alles in letzter Zeit passiert war. Durch Zufall bei meinem Blutcheck sah ich, wie Lyla regungslos in einem der weißen Betten lag. Und mein Bruder verheimlichte irgendetwas, was ihn sehr bedrückte und mir nicht sagen wollte, weil es laut ihm besser war, es nicht zu wissen.
Toll. Ganz toll.

Obwohl ich es eigentlich nicht tun wollte, beschloss ich, morgen das Zimmer aufzusuchen, in dem die größte Lüge meines Lebens lag. Nur um zu schauen, wie es ihr ging. Und vielleicht auch auch zu erfahren, was passiert war. Ich wusste, dass es mich nicht kümmern sollte, weil ich sie aus meinem Leben verbannt hatte, aber irgendwie... irgendetwas drängte mich dazu, zu ihr zu gehen.

Meine Füße trugen mich ins Gästezimmer. Ich ließ mich ins Bett fallen und kuschelte mich in die Bettdecke hinein. Ich erinnerte mich daran, dass ich hier mit Lyla geschlafen hatte. Sofort verbot ich es mir daran zu denken.
Nachdem ich mich in die Bettdecke gekuschelf hatte, schlief ich ein - ohne zu wissen, was der nächste Tag ans Licht brachte.

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Als ich meine Augen öffnete, war es noch Dunkel. Ich knipste das Licht an, setzte mich auf und dehnte mich. Ich sah, als ich sie dem Fenster blickte, dass die Sonne noch nicht aufgegangen war. Meinen Gähner unterdrückte ich. Ich hasste es, wenn jemand gähnte. Sodann stieg ich aus dem Bett und zog mir die Kleidung von gestern an. Nach einem kurzen Ausflug ins Badezimmer und einem gerösteten Toast mit Honig war ich bereit für den Tag.

Ich lief hinüber in Andreas heimisches Büro, holte meinen Autoschlüssel, flüchtete die Treppe hinunter, verließ das Gebäude und setzte mich in mein Auto, mit welchem ich zum Krankenhaus fuhr.
Je näher ich dem Krankenhaus kam, desto langsamer wurde das Tempo. So langsam, dass ich schon angehupt wurde um schneller zu fahren. Also drückte ich das Gaspedal wieder fester, bis ich dann parkte.
Das Aussteigen zog sich ziemlich lange. Ich überlegte mehrmals, ob ich nun reingehen sollte. War sie wach? Wollte sie mich überhaupt sehen? Wollte ich sie überhaupt wirklich sehen? Trotz diesen Gedanken entschied ich mich dazu, zu Lyla zu gehen.

Ich setzte einen Fuß vor den Nächsten. Als ich am richtigen Gang ankam, wurden meine Beine immer schwerer. Dennoch stand ich nach kurzer Zeit vor ihrer Tür. Diesmal war sie geschlossen. Wollte ich da jetzt wirklich rein? Meine Hand berührte die Klinke, aber drückte sie nicht nach unten. Ich atmete laut ein und wieder aus. Dann öffnete ich doch die Tür.

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Die Anspannung fiel ab, als ich sah, dass Lyla schlief. Wenn ich mich leise verhielt, würde sie nichts von meinem Besuch mitkommen. Ich schaute von ihrem Gesicht ihren Körper hinab. Jedoch konnte ich keine Verletzungen entdecken, da die bis zum Hals zugedeckt war. Nur ein Arm schaute aus der Bettdecke heraus. Es war der Arm mit der Narbe. Ich wollte sie anfassen, traute mich aber nicht. Ich blickte wieder in ihr Gesicht. Sie sah so friedlich aus. Ich erschrak als plötzlich ein Handy klingelte. Es war Ihres. Lyla schien einen tiefen Schlaf zu haben, denn sie wachte nicht auf, obwohl der Klingelton ziemlich laut war. Ich warf einen Blick auf das Display. Ein sogenannter Jeremy. Ohne zu überlegen schnappte ich mir das Handy und nahm den Anruf an. "Ey, du Dirne. Sag deinem Bodyguard, dass er dafür büßen wird. Wir sind noch nicht fertig!", brüllte mich eine raue Stimme an. Dann wurde aufgelegt. Mit offenem Mund legte ich das Handy zurück. Ich setzte mich aus Furcht gleich umzukippen auf die Bettkante. Im selben Moment ertönte eine ganz ruhige Stimme: "Chris?"

Es war besser, wenn ich es nicht wusste.

BUT I NEED YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt