Kapitel 4: Glühendheiße Tränen

31 7 13
                                    

Die nächsten Tage verbrachte ich in Dunkelheit. Nania ließ uns nun gar nicht mehr nach draußen gehen. Sie hatte sogar die Fenster abgedunkelt, weil sie Angst hatte, irgendjemand könnte uns wieder nach draußen locken. Nun saß ich schon seit Stunden in meinem Zimmer, das ich zum gefühlt zehnten Mal putzte um mich hier drinnen, so abgesondert wie ich war, irgendwie nützlich zu machen und fragte mich, wie wir so überleben sollten. Wenn Mutter mich nicht jagen gehen ließ, würden wir sowieso sterben, wenn nicht durch irgendein Gift von einer Fremden, dann eben durch den Hunger! Je länger ich hier drinnen festsaß, desto schwerer würde es mir fallen, wieder etwas aufzutreiben. Niemandem würde es helfen, wenn ich abmagerte und zu nichts mehr zu gebrauchen war. Nania war gerade dabei, uns in einen Teufelskreis hineinzuverfrachten, aus dem es womöglich kein Entrinnen mehr gab - zumindest keins, das mir in den fünf Tagen, die ich hier drinnen verbracht und in denen ich sehr viel Zeit zum Nachdenken gehabt hatte, eingefallen wäre. Mutter versuchte uns zwar zu retten, machte dabei aber alles nur noch schlimmer. Ihr das beizubringen, war nahezu unmöglich. Ich seufzte schwer, stand auf und überprüfte, wie immer wenn ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte,  unseren Mehlvorrat. Doch wir hatten kaum etwas da, und das, was wir hatten, würde nicht einmal für ein Brötchen reichen.

Nania war gestern wieder nach Denva gezogen und hatte wieder nichts mitgebracht. Dabei würden wir nicht viel länger ohne Essen durchhalten, Majvi erst recht nicht. Anstatt sich zu erholen schien es meiner Schwester mit jedem Tag schlechter zu gehen. Sie schlief die meiste Zeit, wachte nur hin und wieder auf, wenn sie sich an ihrem Husten verschluckte oder ihr Zittern sie hochschrecken ließ.

Ich seufzte und setzte mich zu ihr ans Bett. Im Moment schlief sie wieder. Ihr kleiner Brustkorb hob und senkte sich schnell. Ihr Atem war wieder flach und ich vermutete, dass sie in den nächsten Minuten erneut aus dem Schlaf fahren würde. Ich strich ihr über die Schulter und machte mich dann zur Küche auf. Die Treppen knarzten unter mir, als ich mich nach unten bewegte und erinnerten mich unwillkürlich daran, wie alt unser Haus war. Eigentlich war es nicht die optimale Herberge für eine Familie, doch seine vielen Unvollkommenheiten hatten es preiswert gemacht. Das war da wohl der schlagende Punkt gewesen, der Nania und meinen bereits verstorbenen Vater dazu bewegt hatte, unser Haus überhaupt zu kaufen - leider hatte es aber sonst nicht viel mehr Positives an sich. Vielleicht hatte Olita Recht gehabt als sie meinte, dass es uns wo anders besser gehen würde.

Ich zuckte mit den Schultern und kramte einen Apfel aus unserem Schrank, den ich in kleine Stücke schnitt und diese dann auf einen Teller häufte. Nania würde sich ganz bestimmt nicht zum Gehen bewegen lassen und auch ich war mir nicht sicher, ob ich das wollte. Wir wussten schließlich nicht, ob es irgendwo da draußen etwas Besseres für uns gab als hier und selbst wenn, würden wir die Reise dorthin wahrscheinlich nicht überleben. Es hatte also keinen Sinn, darüber nachzudenken.

Ich hielt inne, als ich bemerkte, wie meine Hände feucht wurden. Etwas irritiert betrachtete ich meine Haut, auf der sich kleine Schweißperlen bildeten. Ich schwitzte. Anscheinend musste es heute ziemlich sonnig sein, wenn mir sogar hier drinnen derart warm wurde. Etwas wehmütig dachte ich an die Sonne und den Frühling zurück, die mich jedes Mal erwartet hatten, wenn ich die Türe öffnete. Gras, Schmetterlinge, Bienen, schillernde Libellen und wuchernde Blumen. Das alles hatte ich in den letzten Tagen vermisst. Ich konnte nicht einmal mehr die Sonne sehen, lediglich ein paar ihrer Strahlen, die Nanias Tücher nicht hatten verschlucken können.

Träge fuhr ich mir durch die Haare und trug das zubereitete Essen zu Majvi nach oben - Motivation an solch einem eintönigen Alltag zu entwickeln, war eine wahre Herausforderung. Meine kleine Schwester hatte noch immer die Augen geschlossen, nur ihre Finger zuckten immer wieder im Schlaf. Ich lächelte sanft und stellte den gerichteten Teller neben ihr ab.

Herzensjägerin - Dunkle MelodieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt