Kapitel 6: Dorf des Handels

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Als der Morgen graute, zogen wir weiter. Wir wanderten einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang durch das Tal, bis wir auf Denva, das kleine Fischerdorf mit den vielen Steinbauten, stießen. Die begehrtesten Handelswege ganz Sellatas' zogen sich durch das gut besuchte Dörfchen. Zahlreiche Künstler und Pioniere reisten täglich hier ein, um mit dem Adel Geschäfte zu machen. Entsprechend begehrt war das Dorf, in dem sämtliche Händler ihre Waren für unrealistisch hohe Summen anpreisten, in der Hoffnung auf einen finanziellen Aufstieg. Darum waren die Standplätze - insbesondere solche, die sich nahe des Schlosses befanden - unfassbar teuer, so manch einer hatte dafür sogar schon sein halbes Erspartes verprasst. Der Wunsch nach Freiheit und Wohlstand war es, der die Menschen zu derartigem verleitete, das nicht selten in deren Ruin endete. Denva war also ein zweiseitiges Schwert - entweder es schenkte einem Reichtum oder es nahm ihm das ohnehin schon knappe Geld. Umso absurder erschien es, dass ausgerechnet Mutter, die genauso gut wusste wie ich, dass wir kaum etwas zu bieten hatten, hier täglich ihr Glück versuchte. Es war schon schwer genug, inmitten der Berge an Waren überhaupt irgendwie aufzufallen – da hatten Leute wie wir erst recht keine Chance.

Ich verzog den Mund. Aber Nania hatte mir ja nie zuhören wollen, da sie immer alles besser wusste, dachte ich verbittert, eigentlich ist sie diejenige die hier stehen und sehen sollte, wozu das alles führt.

Mit einem tiefen Seufzer schüttelte ich all die Wut und den Frust, die sich in mir aufgestaut hatten, ab. Warum regte ich mich eigentlich darüber auf? Was geschehen ist, ist geschehen, sagte ich mir, ich habe nicht die Zeit, mich im Selbstmitleid zu suhlen. Wenn ich mich nicht rechtzeitig auf das Duell vorbereite, dann wird es um mich sicherlich nicht besser stehen. Ich schluckte schwer, als mir bewusste wurde, dass dasselbe für Majvi galt. Falls ich verlor, würde sie darunter genauso sehr leiden, wie ich.

Fest umfasste ich ihre Hand. Ich hielt sie eng an meiner Seite, als ich mich an einigen Kaufmannsleuten und beladenen Händlern vorbeiquetschte, an kreischenden Schulkindern, die mir wie Ameisen um die Beine wuselten und alten Ehepaaren, die müde inmitten der Gassen standen und wohl nicht so recht wussten, wo sie eigentlich hinwollten. Wie immer roch die Luft streng – es war eine unangenehme Mischung aus Fisch-, Schweiß- und Metallgeruch.

Die Leute hier jedoch schien das wenig zu stören. Sie schlenderten gemütlich die Handelswege entlang, während ich nur schnellstmöglich von hier fort wollte. Anscheinend hatten sich einige hier schon an die müffelnde, viel zu stickige Luft gewöhnt.

Bei einem messingfarbenen Wasserspeier blieb ich stehen und machte eine kurze Rast. Ich hätte zwar noch ein gutes Stück weiterlaufen können, aber Majvi sah ziemlich kaputt aus und hatte zu jammern begonnen. Ihr war anzusehen, dass sie Hunger hatte. Es schien fast schon so, als würde sich das Schicksal über uns lustig machen, wenn man bedachte, dass uns das Angebot an verschiedensten Lebensmitteln nahezu überflutete, es in jeder Ecke penetrant nach Fisch und sonstigen Meeresbewohnern roch und wir trotz allem nichts zu essen hatten.

Unser letztes Geld war mit dem Wald in Flammen aufgegangen. Wir hatten nichts mehr – gar nichts mehr. Zumindest für's Erste. Vielleicht würde sich das ändern, falls ich bei dem bevorstehenden Duell gewann - was jedoch unwahrscheinlich war, da ich absolut nicht im Kämpfen geübt war. Viel eher würde ich damit mein eigenes Todesurteil unterschreiben, was sich unfassbar naiv und dumm anfühlte. Ich verzog das Gesicht. Nur leider lässt mir das Schicksal wieder keine Wahl.

Wir wurden während unserer kurzen Pause von einigen betrunkenen Händlern angequatscht, die uns irgendwelche »magischen« Cremes oder Tränke verkaufen wollten, die angeblich die Lösungen aller Probleme sein sollten - was sich bei den vielen abergläubischen Menschen, die sich hier tummelten, augenscheinlich auch gut verkaufen ließ. Irgendwann wurde es mir zu viel und wir gingen wieder weiter. Denva war zwar wunderschön, hatte aber auch einige Ecken, an denen dunkle Geschäfte geführt wurden. Ich wollte mich lieber gar nicht erst darin verirren.

Herzensjägerin - Dunkle MelodieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt