Kapitel 5: Verlockendes Angebot

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Es hatte zu regnen begonnen, als Majvi und ich uns durch den Wald schleppten, oder eher durch das, was noch von ihm übrig geblieben war. Der Himmel war grau und blass, während es über und um uns herum knurrte und knarzte. Es schien so, als wäre der Wald von dem Feuer erzürnt und ich konnte ihn da gut verstehen. Ich war heilfroh über den plötzlichen Wetterumschwung, der das Feuer erlischt hatte. Es stank zwar noch und dunkler Rauch hatte sich über die Luft gelegt, aber das waren die letzten Reste des Brandes.

Das Feuer war verschwunden – und mit ihm unsere Heimat, Olita und Nania. Ich seufzte und musterte besorgt meine Schwester, die sich an meinen Arm geklammert hatte und ihr Gesicht in meinem Mantel vergrub, um den Rauch nicht einatmen zu müssen. Olita hatte Recht: Ich muss sie von hier wegbringen. In diesem dunklen, kalten Albtraum gibt es wirklich keine Zukunft für uns beide. Jetzt erst recht nicht mehr.

Mein Blick schweifte über den zerstörten Wald. Auf unzählige tote Bäume und Baumstümpfe, auf eingeweichte Asche, Matsch, Regen und das, was einmal Pflanzen waren. Kaum zu glauben, dass das einmal meine Heimat war, dachte ich bitter. Dieser staubige, schlammige Haufen Elend.

Ich war ganz froh dass Majvi ihr Gesicht versteckt hielt und das alles nicht mitansehen musste. Sie hatte den Wald geliebt, auch wenn sie selbst kaum draußen gewesen war. Aber ich würde ihr einen neuen Wald suchen. Ganz bestimmt. Davor müssen wir nur irgendwie hier raus.

Einige gefallene Bäume versperrten uns den Weg, über die ich Majvi heben musste. Während dem ganzen Marsch sagte meine kleine Schwester kein einziges Wort. Sie klammerte sich nur still an mir fest und ließ sich von mir führen. Wohin wir genau liefen oder überhaupt laufen wollten, wusste keine von uns.

Während wir durch das graue, staubige und doch ekelhaft schlammige Trümmerland liefen, verdichteten sich die Wolken über uns und es wurde immer dunkler und trüber. Als es dämmerte, hatten wir schon eine beachtlichen Strecke hinter uns gebracht.

Ich blieb stehen und rieb mir erschöpft den Ruß von der Stirn. Majvi neben mir atmete schwer. Ich hatte sie den halben Weg lang getragen und trotzdem schaffte sie es kaum mehr, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie hustete wieder und presste ihr Gesicht in mein Kleid. Ich seufzte und streichelte ihren Kopf. Weit würden wir beide nicht mehr laufen können, erst recht nicht bei Nacht. Wir mussten uns ein Lager bauen, ehe es dunkel wurde. Einen Moment lang ließ ich den Blick über all die kargen, dunklen Baumstümpfe schweifen, die das Feuer verschont hatte. Ich verengte ein wenig die Augen, konnte aber nichts erkennen, was mir irgendwie vertraut vorkam. Jegliche Anhaltspunkte hatten die Flammen aufgefressen. Vielleicht lag nur noch ein kurzer Marsch zwischen uns und Denva, es konnte aber auch noch eine Tagesreise sein. Mir fiel auf, dass die Bäume lichter geworden waren. Ich kratzte mich am Kopf. Kann sein, dass der Wald bald enden wird. Oder wir befinden uns nur in der Nähe von irgendeiner Lichtung.

Ich seufzte und straffte die Schultern. Wie auch immer. Wir würden jetzt erst einmal nicht weiterreisen können. Davor mussten wir dringend schlafen. Majvi konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten!

Ich setzte meine kleine Schwester auf einem Baumstumpf ab, auf dem sie schnaufend niedersackte. Sie atmete schwer und hatte den Kopf gesenkt, der müde hin und her baumelte. Besorgt hielt ich sie von der Seite fest und kniete mich für einen Moment neben sie. »Alles gut«, flüsterte ich, »wir machen gleich eine Pause. Wir müssen nur irgendetwas finden, wo wir die Nacht verbringen können.«

Majvi reagierte kaum. Sie hob nicht einmal den Kopf. Als ich sie wieder hochhob, stöhnte sie und wimmerte leise in sich hinein. Ich wollte ihr nicht wehtun, doch noch weniger konnte ich sie hier zurücklassen. Also führte ich sie behutsam weiter, wobei sie mehrmals stolperte oder an etwas wie einem im Weg stehenden Strauch oder Ast hängen blieb. Bei einer kleinen Felshöhle blieben wir stehen. Ich lächelte ihr aufmunternd zu und nickte nach vorne. »Ich glaub ich hab was gefunden. Es sind nur noch ein paar Meter.«

Herzensjägerin - Dunkle MelodieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt