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"Ava, du brauchst es dir gar nicht zu gemütlich machen, wir gehen nämlich gleich runter an den kleinen Strand.", rief meine Mutter, während sie im anderen Schlafzimmer das Nötigste dafür aus der riesigen, braunen Tasche suchte. Das riss mich sofort aus dem Lesefluss. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! "Wir sind gerade erst angekommen, und jetzt gehen wir schon wieder? Das ist doch nicht entspannend!", nörgelte ich. Meine Mutter zuckte nur die Schultern, es war ihr egal, ob es mir gefiel oder nicht. Ich hatte mitzukommen, da duldete sie keine Wiederrede. "Du kommst mit, ob's dir passt oder nicht. Sei lieber froh, dass wir heute nicht mehr in die Stadt reingehen, sondern nur an den Strand." Ich schnaubte missbilligend. "Nur" and den Strand. Ja klar. Alles überfüllt mit schreienden Kindern und alten Fettsäcken, die braun werden wollten, und deren Frauen dazu alles baumeln ließen. Seufzend fügte ich mich meinem Schicksal, und packte Buch, Bikini und Handtuch in meine weiße Strandtasche.

Wie sich herausstellte, war der Strand weder überfüllt, noch war es so heiß, dass viele ältere, schwitzende Menschen dort waren. Schon etwas zufriedener breitete ich mein Handtuch unter dem einzigen Baum auf, der weit und breit zu sehen war. Die riesige Trauerweide spendete einen angenehmen Schatten, der wie dafür geschaffen war, dass nur ich darin lag. Von den üblichen Strandproblemen unserer Familie - Sand in der Badehose, Sand auf dem Eis, Sand dort wo er nicht hingehört - bekam ich nicht viel mit. Das Buch, das ich gerade las, war einfach so faszinierend. Ich hatte es mir zwei Tage vor den Ferien gekauft, da ich vor jedem Urlaub ein kleines Büchershopping für Ferienlektüre machte. Das kleine Buch war mir durch Zufall, im wahrsten Wortsinne, in die Hand gefallen. Es fiel direkt über mir aus dem Regal, ich fing es auf, und beschloss aus einer Laune heraus es zu kaufen. Das war das einzige Buch, dass ich an diesem Tag kaufte, was normalerweise nie vorkam. Ich hatte mir nicht einmal den Klappentext durchgelesen, worauf ich erst in der Straßenbahn nach Hause draufkam, und das sofort nachholte. Es stellte sich heraus, dass es um Elfen ging, die mich schon fanszinierten, seit ich ganz klein war. Seit drei Tagen las ich nun schon darin, und war fast damit fertig. Eine Viertelstunde später war ich es. Ich legte das Büchlein weg, und setzte mich auf. Kurz musste ich mich daran erinnern, wo ich war. Dieses Buch war verdammt fesselnd gewesen. Jetzt wo der Zauber des Buches gebrochen war, konnte das Meer den Seinen entfalten, also war ich zwei Minuten später im Wasser.

Am Liebsten verbrachte ich meine Zeit im Wasser damit, schöne Muscheln, Steine und andere hübsche Dinge zu suchen. Diese Sammlerleidenschaft hegte ich schon seit meinem dritten Lebensjahr, also seit dem Jahr, in dem ich das erste Mal in Berührung mit Wasser gekommen war. Ein paar Jahre später bekam ich zum Geburtstag eine kleine rötlich-braune Tasche aus einem feinen Stoff, die ich an einem robusten Band um die Hüfte tragen konnte, und die ich immer mithatte, wenn wir ans Meer fuhren. Dort drin sammelte ich meine kleinen Schätze. Auch heute wurde ich schnell fündig. Die schwarzen Felsen, die Meer und Küste trennten, wenn es keinen Strand gab, boten ein perfektes Versteck für Krebse und Muscheln aller Art. Bald schon war mein Beutel zum Bersten gefüllt mit Einsiedlerkrebsen, kleinen Muscheln und bunten Steinen. Da ich nicht zum Strand zurückschwimmen wollte, um den Beutel auszuleeren, lies ich ein paar hübsche Steine liegen, und schwamm weiter in wildere Gewässer. Ich fühlte mich so frei, wie seit Ewigkeiten nicht. Blickte ich nach links, war dort dass wilde schwarze Meer, blickte ich nach rechts, waren dort die scharfen Felsen. Selnst unter Wasser schlugen mich die Wellen immer wieder zu den Steinen, und ich hatte nicht genug Kraft um mich dagegen zu wehren. Eigentlich sollte ich umdrehen, und zum Strand zurückschwimmen, meine Eltern würden sich schon Sorgen machen...Aber was war das? Ich machte ein paar kräftige Beinschläge, um hinter den dort vorne Felsen blicken zu können, und schrie. Alle Luft entwich mit einem Schlag aus meiner Lunge, und schwebte in Blasen zur Oberfläche. Ich hätte es ihnen gleichtun sollen, aber ich konnte nicht. Fassungslos starrte ich das Ding an, das da vor mir im Wasser schwamm. Und das Ding starrte fassungslos zurück. Auf einmal kam meine Lunge darauf, dass sie ja Luft zum Überleben brauchte, und ich wurde von dem übermenschlichen Drang zu Atmen, davon abgehalten diese seltsame Kreatur im Auge zu behalten. Hustend und spuckend kam ich an die Oberfläche. Mit der linken Hand wischte ich mir das Slazwasser aus den Augen, um etwas sehen zu können. Promt donnerte mir Gischt ins Gesicht. Die unbändigende Kraft der Welle trug mich. Und schleuderte mich auf die Felsen. Panisch versuchte ich mit meiner lezten Kraft von den tödlichen Spitzen wegzukommen. Ich schaffte es nicht. Ein letztes Mal noch machte ich unter Wasser die Augen auf, bekam das seltsame Wesen zu Gesicht, wie es mich erschrocken ansah. Dann spürte ich den Aufprall.

Die UnendlichenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt